Berlin Beatet Bestes. Folge 312.

Wer ist dieser Optimus Prime?

Berlin Beatet Bestes. Folge 312. Reiner Schöne und die Jazzin’ Kids: Ledernacken-Blues (Mr. President) (1966).

Mr. President, sie sagten heut’ Nacht,/Amerika muss verteidigt sein./Nun fallen wir sengend und brennend und mordend/in Asien ein./Das Reisfeld brennt und der Bambus heizt./Mr. President, da hab’ ich gedacht,/warum man uns Soldaten zu Mördern macht?/Und wer soll uns das jemals verzeihen?/Mr. President, sie fügten hinzu,/wir zögen als Befreier hinaus./Aber Mr. President, ich stehe ja hier./Die Reisbauern kämpfen um jedes Haus./Wir werden hier sterben mit Mann und Maus./ Mr. President, ich find keine Ruh’,/hier führen alle Wege nach Dien Bien./Und wie kommen wir wieder nach Haus’?«
Dieses Lied ist zwar nicht so anrührend und war sicherlich nicht so wirksam wie der Anti-Bush-Song »Dear Mr. President«, den Pink 2006 sang. Dafür lässt sich mit dem »Ledernacken-Blues« eine kleine deutsche Kulturgeschichte erzählen.
Der von Reiner Schöne und Gitarrist Helmut Scherner im Dixieland-Stil komponierte Song klingt zunächst so, als hätte er Mitte der sechziger Jahre überall in Deutschland geschrieben worden sein können. Antikriegslieder von Fasia Jansen zum Beispiel, die sie für das Dortmunder Label Pläne aufnahm, unterschieden sich sowohl textlich als auch musikalisch kaum davon. Dieser Song gegen den Krieg in Vietnam entstand jedoch in der DDR, und um dort überhaupt ins Aufnahmestudio zu gelangen, musste der Text zuvor vom Politbüro abgesegnet werden. Während so ein klassischer Antiimp-Text im Westen also eine Sache der außerparlamentarischen Opposition war, drückte sich im Osten durch ihn die Staatsdoktrin aus. Im Westen kriegte man als Langhaariger 1966 vielleicht ein bisschen Prügel von alten und neuen Nazis, im Osten hingegen einen Haarschnitt auf dem Polizeirevier und ein paar Jahre Bautzen. Und die Langhaarigen im Osten waren ja noch nicht einmal eine richtige politische Gefahr. Sie kamen dafür in den Knast, dass sie Beat-Fans waren. Für Musik!
Mit den »Ledernacken« sind die als knallhart geltenden US-Marines gemeint. Neben dem politischen Text ist auch die musikalische Begleitung durch die Jazzin’ Kids herausragend: Posaunist Dagobert Darsow, Trompeter Roland von Kujawa und Klarinettist Hans Hochbaum streuen im Mittelteil einige wirklich schöne, wenn auch zu kurz geratene, improvisierte Soli ein. Der Schauspieler Reiner Schöne hatte übrigens bereits 1968 genug von der DDR und setzte sich nach einem Konzert in den Westen ab. Schnell nahm er wieder Schallplatten auf, spielte in unzähligen Filmen, zog 1985 auf eine Ranch in der Nähe von Los Angeles und wurde in den USA durch Auftritte in Serien wie MacGyver, Matlock und Mord ist ihr Hobby bekannt, in Deutschland vor allem als Stimme von Darth Vader und Optimus Prime.
Die Ende der Fünfziger gegründeten Jazzin’ Kids lösten sich 1968 auf und fanden sich erst 24 Jahre später als Jazzin’ Kids Revival Band wieder zusammen. Reiner Schöne, der in Deutschland und den USA erfolgreich war, lebt seit 2002 wieder in Berlin. Nur wer zum Teufel ist Optimus Prime?
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.