In Italien stehen die Mitglieder der »Hauptstadtmafia« vor Gericht

Flüchtlinge rechnen sich

In Italien hat der Prozess gegen die »Hauptstadtmafia« begonnen. Dem kriminellen Netzwerk gehörten Neofaschisten, Geschäftleute und Politiker rechter und linker Parteien an, die sich öffentliche Aufträge sicherten.

Während derzeit der Fernsehsender Arte die Verfilmung des Bestsellers »Gomorrha« vom Regisseur Stefano Sollima zeigt, läuft in den italienischen Kinos seit Mitte Oktober bereits seine neueste Romanverfilmung »Suburra«: eine Allegorie auf das jahrtausendealte Intrigenspiel um Macht, Geld und Sex hinter den Mauern der weltlichen und kirchlichen Paläste Roms. Auf der Leinwand wird die Ewige Stadt von sintflutartigen Regenfällen heimgesucht. Das Treiben geldgeiler Politiker, gewissenloser Kardinäle und brutaler Gangster kündet von der bevorstehenden römischen Apokalypse. Doch die internationale Aufmerksamkeit, die Anfang November der Auftakt des Prozesses gegen die Mafia capitale in Rom erfuhr, erweckt den Eindruck, Sollimas Politthriller sei nur das Vorspiel für ein noch größeres Medienspektakel.
Als »Hauptstadtmafia« bezeichnen die Ankläger ein Korruptionsnetzwerk aus alten und jungen Neofaschisten, skrupellosen Geschäftemachern und Politikern rechter und linker Parteien. Neben Geldwäsche, Wucher und Rechnungsbetrug wird dem Verbrecherkartell vorgeworfen, durch Erpressung und Schmiergeldzahlungen öffentliche Ausschreibungen manipuliert und somit die Bereiche der Stadtreinigung, des Stadtverkehrs und der Flüchtlingsunterbringung kontrolliert zu haben. Die entsprechenden Finanzmittel wurden veruntreut. (Jungle World 1/2015)

Als Boss der Mafia capitale gilt der ehemalige Rechtsterrorist Massimo Carminati. In Rom soll er nicht nur die Macht über die organisierte Kriminalität, sondern auch über den rassistischen Mob ausgeübt haben, der bei Bedarf so lange gegen »Ausländer«, »Zigeuner« oder »Illegale« mobilisiert werden konnte, bis auf politischer Ebene ein »Notstand« ausgerufen wurde. Die Verwaltung der daraufhin entstehenden »Notunterkünfte« soll der zweite Hauptangeklagte, Salvatore Buzzi, organisiert haben. Seine Kooperativen zur Resozialisierung ehemaliger Straffälliger und gesellschaftlich Benachteiligter galten insbesondere den römischen Linksliberalen von der Demokratischen Partei (PD) als Modellunternehmen.
In Anlehnung an den ersten großen Prozess gegen die sizilianische Mafia wird auch der erste große Prozess gegen das römische Verbrecherkartell »Maxiprozess« genannt. Angeklagt sind bisher 46 Personen, doch die Liste der städtischen Funktionäre, gegen die noch Ermittlungen laufen, ist deutlich länger. Mehr als 280 Zeuginnen und Zeugen hat die Staatsanwaltschaft bereits benannt. Geplant sind bis zu vier Verhandlungstage pro Woche im Gerichtsbunker der römischen Gefängnisanstalt Rebibbia. Die beiden Hauptangeklagten Carminati und Buzzi sollen aus Sicherheitsgründen nur per Videokonferenz aus ihren jeweiligen Haftanstalten in Parma und Udine zugeschaltet werden. Am ersten Prozesstag wiesen sie den strafverschärfenden Vorwurf der mafiösen Vereinigung zurück. Wie jeder süditalienische Clan-Boss vor ihm, bestreitet auch Buzzi die Existenz einer Mafia. Es gebe in Rom allenfalls »schlechte Sitten«, zu deren Überwindung er im Rahmen einer Verständigung mit dem Gericht hinsichtlich seines Strafmaßes gerne beitragen wolle. Eine entsprechende Absprache scheint bisher jedoch unwahrscheinlich. Die Anklage stützt sich auf Tausende von Telefonmitschnitten, die den Straftatbestand der mafiösen Vereinigung belegen sollen.

Dass der bekennende Postfaschist Gianni Alemanno als Oberbürgermeister Roms zwischen 2008 und 2013 zahlreiche alte Kameraden in den städtischen Müll- und Verkehrsbetrieben mit Posten versorgt hatte, war schon während seiner Amtszeit aufgedeckt worden, die neofaschistische Verfilzung der Mafia capitale konnte deshalb kaum überraschen. Allerdings vermochte die Staatsanwaltschaft Alemanno bisher keine direkte Verbindung zu Carminati nachzuweisen, der ehemelige Oberbürgermeister muss sich nur wegen mutmaßlicher Schmiergeldzahlungen an seine Stiftung Nuova Italia vor Gericht verantworten.
Dagegen hat die Verstrickung Salvatore Buzzis und mehrerer linksliberaler Funktionäre und Stadträte in die mafiösen Machenschaften die römische Sektion des PD in eine tiefe Krise gestürzt, die in den vergangenen Wochen in der Selbstdemontage der von den Demokraten geführten Stadtregierung mündete. Ende 2014 war die Demokratische Partei Roms zunächst der Kontrolle des nationalen Parteipräsidenten Matteo Orfini unterstellt worden. Er setzte eine parteiinterne Kommission ein, die im Sommer zu dem Ergebnis kam, dass 27 von 108 römischen Parteilokalen als »schädlich« einzustufen seien, weil ihre Aktivität nicht auf das Allgemeinwohl abziele. Die Bezirksverwaltung des südöstlich am Meer gelegenen Stadtteils Ostia wurde wegen mafiöser Infiltration aufgelöst und der römischen Präfektur unterstellt. Ignazio Marino, der als Kandidat der Zivilgesellschaft zum Amtsnachfolger Alemannos gewählt worden war, galt dem PD zunächst als Garant für eine mögliche Selbstreinigung der Partei. Doch schließlich geriet Marino aufgrund seiner politischen Unerfahrenheit immer mehr unter Druck und wurde im Oktober von seiner eigenen Partei zum Rücktritt gezwungen. Bis zu den angekündigten Neuwahlen im Frühjahr 2016 werden die Amtsgeschäfte der italienischen Hauptstadt nun kommissarisch von dem eigens aus Mailand berufenen Präfekten Francesco Paolo Tronca geführt.

Während sich die mediale Aufmerksamkeit auf die Protagonisten des Maxiprozesses und das politische Vakuum in Rom richtet, laufen andernorts die Geschäfte weiter. Der »Flüchtlingsnotstand« dauert schließlich an, die Einrichtung von Erstaufnahmestellen, Flüchtlingsheimen und Abschiebegefängnissen ist weiterhin ein lukratives Geschäft. Luca Odevaine, der am nationalen Verhandlungstisch für die Verteilung der Asylsuchenden saß und deshalb bei den Machenschaften des Netzwerks eine Schlüsselposition einnahm, hat mittlerweile zu Protokoll gegeben, nicht nur von Buzzis vermeintlich linken Kooperativen Bestechungsgeld entgegengenommen zu haben. 20 000 Euro pro Monat soll ihm auch die katholische Kooperative La Cascina für eine Manipulation der öffentlichen Ausschreibung und der dadurch erwirkten Übertragung der Leitung des großen Aufnahmelagers in Mineo auf Sizilien gezahlt haben. Die vier der Korruption beschuldigten Manager von La Cascina haben mit der Staatsanwaltschaft bereits ein Abkommen ausgehandelt; sollte das Gericht diesem zustimmen, würden sie aus dem Prozess gegen die Mafia capitale ausscheiden.
Derweil führen Kooperativen, die in der Vergangenheit mit La Cascina zusammengearbeitet haben oder aus einer Abspaltung hervorgegangen sind, die Geschäfte weiter. Sowohl La Cascina als auch ihre verschiedenen Ableger stehen in enger Verbindung zur religiös-konservativen Laienbewegung »Comunione e Liberazione« (CL), die wiederum traditionell enge persönliche Bande zu rechten Parteien unterhält. Derzeit stellt die der Bewegung nahestehende rechte Partei NCD mit Angelino Alfano den Innenminister, sie besetzt damit jenes Ministerium, das für die Verteilung der Flüchtlinge und für die Budgetierung der Einrichtungen verantwortlich ist. Einem Bericht der Tageszeitung La Repubblica zufolge kassiert allein die katholische Hilfsorganisation Senis Hospes für die Verwaltung von etwa 7 000 Flüchtlingsplätzen in Süditalien neun Millionen Euro im Monat. Von den durchschnittlich 40 Euro Tagessatz werden jedoch nur wenige Euro an die Betroffenen weitergegeben. Daran erinnerten zum Prozessauftakt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Flüchtlingsorganisationen. Sie protestierten vor dem Gericht gegen die anhaltenden Missstände in den Einrichtungen, forderten für die Zufluchtsuchenden eine bessere Versorgung und Integration und für sich eine Verbesserung ihrer prekären Arbeitsbedingungen.