Dalia al-Farghal im Gespräch über Diskriminierung von LGBTI in Ägypten

»Verstoß gegen die öffentliche Moral«

Von Zoé Sona

In Ägypten hofften Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexuelle (LGBTI) nach dem »Arabischen Frühling« auf Gleichberechtigung in einer demokratischen Gesellschaft. Doch ihre Situation hat sich seitdem eher verschlimmert. Immer wieder werden Schwule verhaftet und in Schauprozessen wegen »Ausschweifungen« zu Haftstrafen verurteilt. Lesben und andere Frauen sind auf der Straße täglich Übergriffen ausgesetzt und LGBTI können wegen der Diskriminierung keine offiziellen Organisationen aufbauen. Im vergangenen Jahr versuchten einige ägyptische LGBTI mit der Kampagne »Solidarity with Egypt LGBT« über Social-Media-Kanäle international auf die Situation aufmerksam zu machen und Unterstützung zu organisieren. Über die Situation in Ägypten sprach die Jungle World mit Dalia al-Farghal, einer der Gründerinnen der Kampagne.

Mit dem »Arabischen Frühling« 2011 gab es große Hoffnungen auf eine demokratische und gleichberechtigte Gesellschaft in Ägypten. Wie hat sich die Situation von LGBTI seit dem Aufstand für entwickelt?
Während der Revolution 2011 wurden LGBTI vom ersten Tag an akzeptiert und es gab keine Gewalttätigkeiten gegen sie. Die Leute richteten ihre Aufmerksamkeit darauf, Mubarak zu stürzen und die Rechte der Zivilgesellschaft zu stärken. Anfangs hatten wir große Hoffnungen, aber nach einer Weile veränderte sich alles. Das Militär kam an die Macht und steuerte die Entwicklung weitgehend. Es überzeugte Mubarak zurückzutreten und benutzte die Muslimbrüder als Strohmänner, um die Menschen zu ängstigen und Vorurteile gegen Minderheiten und LGBTI zu schüren.
Wie ist die Situation jetzt?
Wirklich schrecklich, weil das Militär den Hass der Bevölkerung auf sie schürt, um von den gesellschaftlichen Hauptproblemen abzulenken. Dafür stützt es sich auf eine moralisch aufgeladene Vorstellung von Männlichkeit und auf traditionelle Geschlechterrollen. Und es hat Erfolg damit, weil es von den Medien und den religiösen Institutionen unterstützt wird.
Wie genau geht das Militär vor?
LGBTI wird die Existenz abgesprochen, es werden Fatwas gegen sie ausgerufen und das Militär unterstützt die Justiz dabei, ihre Rechte zu verletzten. Viele LGBTI werden an Kontrollpunkten sexuell belästigt und von der Polizei auf der Straße, aber auch in ihren Wohnungen angegriffen. Die Polizei benutzt Kondome und BHs als Beweise, um sie zu verhaften und zu verurteilen. In Ägypten müssen LGBTI mit drei bis zwölf Jahren Haft rechnen.
Homosexualität ist in Ägypten eigentlich nicht illegal, es gibt keinen Gesetzesparagraphen, der das regelt.
Es gibt keine Gesetze dagegen, aber das Militär nutzt andere, wie den Paragraphen gegen »Ausschweifungen«. LGBTI werden auf dieser Grundlage der Prostitution beschuldigt oder des Verstoßes gegen die öffentliche Moral.
Welche Probleme haben LGBTI im Alltag?
Besonders Lesben und Transpersonen werden häufig auf der Straße schikaniert. Generell ist es für Frauen in Ägypten schwierig, sich öffentlich auf der Straße zu bewegen, weil sie ständig sexistischen Übergriffen ausgesetzt sind. Freundinnen von mir, die als Femmes leben, wurden wegen ihres femininen Aussehens angegriffen. Diese Diskriminierung gab es schon vor der Revolution, aber sie wurde danach schlimmer. Die Opfer werden für die Übergriffe selbst verantwortlich gemacht. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie zu weiblich aussehen oder sich zu freizügig kleiden, und damit werden die Belästigungen gerechtfertigt. Für viele LGBTI ist es schwierig, einen Job zu finden. Sie werden zu Objekten degradiert, auf ihre Sexualität reduziert und können oft in der Sexarbeit Geld verdienen. Und es ist schier unmöglich, die Geschlechtskategorie in einem Pass zu ändern: Man muss sich von einer religiösen Institution beraten lassen und danach eine medizinische Untersuchung durchlaufen. Es werden aber höchstens sogenannte Geschlechtskorrekturen vorgenommen, die das Geschlecht von Intersexuellen an das binäre Geschlechtersystem anpassen. Transitions, die hier »Geschlechtsumwandlungen« genannt werden, sind vom Staat verboten, weil man damit verändern würde, »wie Gott dich gemacht hat«.
Im April dieses Jahres hat sich Mona Hala, eine aufstrebende ägyptische Schauspielerin, in einem Fernsehinterview dafür ausgesprochen, geschlechtsspezifische Angaben in Ausweispapieren zu entfernen und allen Menschen die Freiheit zu gewähren, ihre sexuelle Identität uneingeschränkt ausleben zu können. Gleichzeitig hat sie die Diskriminierung auf Grund von Hautfarbe, Religion, Gender und sexueller Orientierung kritisiert. Was war die öffentliche Reaktion darauf?
Die Menschen waren verärgert und es hat ihre Popularität bestimmt beeinträchtigt, weil sie sich damit gegen die gesellschaftliche Moral gestellt hat. Alle waren schockiert, aber ich denke nicht, dass Hala das weiter gestört hat.
Einerseits ist es ermutigend für andere, wenn man sich outet, aber andererseits ist es Selbstmord, sich gegenüber allen zu outen. Ich selbst wurde nach meinem Outing von Männern, die ich für Freunde hielt, sexuell belästigt und angegriffen, weil sie fanden, ich hätte einfach bisher noch nicht den richtigen Mann gehabt und sie seien »der Richtige«.
Im vergangenen Jahr wurden mehrere Männer festgenommen und zu Analuntersuchungen gezwungen, weil sie an einer schwulen Hochzeitsfeier teilgenommen hatten. Als Reaktion darauf riefen ägyptische LGBTI dazu auf, weltweit auf Twitter und Blogs gegen die Diskriminierung zu protestieren. Wie hat sich der Protest entwickelt und welche Rolle spielen soziale Medien dabei?
Die Online-Kampagne »Solidarity with Egypt LGBT« lief über Social-Media-Kanäle, weil wir keine anderen Medien für unsere Aktionen nutzen können. Anfangs war es unser Ziel, die Übergriffe der ägyptischen Polizei international öffentlich zu machen und Menschen weltweit dazu zu bringen, vor ägyptischen Botschaften zu protestieren. Es ging uns insbesondere darum, uns mit people of color zu vernetzen, weil sie auch gesellschaftlich diskriminiert werden und wir unsere Erfahrungen mit ihnen teilen wollten. Die Kampagne entwickelte sich zu einer Initiative, aber wir können in Ägypten aufgrund der staatlichen Diskriminierung keine offizielle LGBTI-Organisation aufbauen. Momentan sind wir eher ein Knotenpunkt für Anwälte, LGBTI und ihre Familien. Wir unterstützen die Kommunikation zwischen ihnen und informieren Medien über Übergriffe.
Welche Rolle spielen die ägyptischen Medien bei der Diskriminierung von LGBTI?
Es gibt Fernsehsender, die von den ägyptischen Machthabern kontrolliert werden, sowie Privatsender von Geschäftsleuten, die mit den ägyptischen Machthabern zusammenarbeiten. Alle Medien verbreiten dieselbe Hassmentalität. Die Zeitungen arbeiten mit der Polizei zusammen. Immer wenn die Polizei gegen jemanden vorgeht, sind sie mit dabei, stellen die Opfer bloß und verbreiten Lügen über sie. Die Medien können das Thema für sich nutzen, weil Sexualität gesellschaftlich tabuisiert ist und sich deshalb alle dafür interessieren.
In den ägyptischen Medien wird von Verhaftungen von Schwulen berichtet. Lesben tauchen in der Berichterstattung nicht auf. Wie ist die Situation für Lesben in Ägypten?
Frauen werden nicht als Bedrohung wahrgenommen, weil es aufgrund der vorherrschenden militärischen Mentalität mehr um das Bild von Männlichkeit geht, dem Männer entsprechen müssen. Frauen werden nicht erwähnt, aber sie werden tagtäglich belästigt, sie sind Übergriffen ausgesetzt, wenn sie zu weiblich aussehen oder wenn sie der weiblichen Norm nicht entsprechen.
Im April diesen Jahres hat ein Gericht entschieden, dass es legal sei, homosexuellen Geflüchteten die Einreise zu verbieten und sie abzuschieben. Wie ist deren Lage in Ägypten?
Geflüchtete LGBTI werden nicht nur wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, sondern sind auch Rassismus ausgesetzt. Geflüchtete werden hier nicht versorgt, sie müssen auf der Straße betteln und viele Ägypterinnen und Ägypter denken, dass sie ihnen die Jobs wegnehmen.
Wie beeinflusst die Politik der europäischen Staaten die Situation in Ägypten?
Die europäischen Staaten spenden Geld für die Entwicklung von Menschenrechtsprojekten in schwach entwickelten Staaten, während sie gleichzeitig faschistische Regimes politisch und militärisch unterstützen. Auch al-Sisi profitiert von ihnen militärisch und ökonomisch, obwohl er die Diskriminierung von Minderheiten und LGBTI unterstützt, die Meinungsfreiheit unterdrückt und Menschen für Jahre in Gefängnissen verschwinden lässt. Das Militär beherrscht in Ägypten alles.