Berlin Beatet Bestes. Folge 315.

Die Sehnsüchte bleiben gleich

Berlin Beatet Bestes. Folge 315. Francuccio Noto: La Preghiera Dell’Emigrante (1965).

Eine hinreißende Ballade, gesungen vom damals elfjährigen Francuccio Noto: Per guadagnarmi il pane ho emigrato/Perché vivevo tra fatica e pene/E qui la mia fortuna ho trovato/Però non trovo chi mi vuole bene/Mamma, perdona se ho lasciato te/Perché l’ho fatto, mamma? Ma perché?

Das Thema Migration wird in der deutschen Popmusik seit den fünfziger Jahren verarbeitet. So sang Conny Froboess bereits 1962: »Zwei kleine Italiener/vergessen die Heimat nie.« Die Fülle des Materials ausländischer Musiker, die ihre Titel hierzulande in deutscher Sprache aufnahmen, spiegelt auch den Blick der Bundesbürger wider, der sehnsüchtig in die Ferne schweifte und zugleich die vermeintlich Fremden romantisierte. Die zahlreichen Immigranten, die in der Schlagerindustrie der fünfziger und sechziger Jahre arbeiteten, sangen zumeist ebenfalls auf Deutsch. Türkische Gastarbeiter nahmen in den siebziger Jahren dann sowohl traditionelle Musik als auch Pop und Rock in türkischer Sprache auf und thematisierten auf diese Weise die alltägliche Situation türkischer Migranten in Deutschland. Die im vergangenen Jahr von Imran Ayata und Bülent Kullukcu herausgegebene CD »Songs of Gastarbeiter« dokumentiert erstmalig dieses Material.
Auch die vorliegende italienischen Single hat Migration als Thema. In »La Preghiera Dell’Emi­grante«, dem Gebet des Immigranten, heißt es übersetzt: »Um mein Brot zu verdienen, bin ich ausgewandert/Weil ich mit Müdigkeit und Schmerzen gelebt habe,/fand ich hier Erfolg/Aber ich habe niemanden gefunden, der mich liebt/Mama, verzeih mir, wenn ich dich verlassen habe/Warum tat ich es, Mama? Warum?« Der junge Francuccio Noto klingt dabei wie ein italienischer Heintje. Allerdings ist die musikalische Begleitung – eine dezente elektrische Gitarre, ein ebenfalls dezentes Schlagzeug und eine seltsam quäkende Orgel – um einiges pfiffiger, als die der seichten Schlager von Heintje. Die Platte erschien auf Said, dem kleinen Indie-Label des Musikers, Autors und Bandleaders Salvadore Idà. Said sind die ersten Buchstaben seines Vor- und Nachnamens.
Francesco Noto ist heute immer noch als Musiker aktiv, auf Facebook zu finden und hat auch die Youtube-Videos von »La Preghiera Dell’Emigrante« mehrfach kommentiert. Er gibt an, dass die Platte weltweit über zwei Millionen Mal verkauft wurde. Leider wurde sie nie wieder veröffentlicht. Das Besondere ist der überraschend aktuelle Inhalt des Textes, denn natürlich werden auch heute noch Millionen Leute zur Emigration gezwungen, wenn sie in Würde überleben wollen. Die Sehnsucht der Migranten nach ihren Herkunftsländern bleibt also auch nach 50 Jahren dieselbe. Nur der christliche Schluss des Songs müsste etwas angepasst werden, denn die überwiegende Zahl der Migranten sind heute Muslime.

Jungfrau Maria, trösten Sie bitte meine Mutter/Denn sie ist weit entfernt/Geben Sie ihr Trost, Jungfrau Maria/Jungfrau Maria, bitte bewachen und schützen Sie alle Auswanderer/Bewachen und schützen sie meine Mutter.

Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.