Emily Landau, Proliferationsexpertin, im Gespräch über den Atomdeal und das Verhältnis des Iran zum IS

»Der Iran ist langfristig gefährlicher als der IS«

Interview Von Jonathan Weckerle

Im Juni dieses Jahres kamen Vertreter der »5+1«-Gruppe (USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich plus Deutschland) und des Iran in Wien zusammen. Rund einen Monat später wurde nach dreizehn Jahren Atomstreit eine Einigung verkündet. Die Jungle World sprach mit Emily Landau, Leiterin des Waffenkontrollprogramms des Institute for National Security Studies in Tel Aviv, über die Gefahren des Abkommens und das Verhältnis des Iran zum »Islamischen Staat«.

Emily Landau
Emily Landau

 

 

Der Konflikt um das iranische Atomprogramm ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Wurde er erfolgreich mit dem Atomabkommen beigelegt?
Der Konflikt beginnt vielleicht gerade erst, wenn es um die Implementierung des Atomabkommens geht. Der weitere Fortgang ist alles andere als sicher. Es gibt keinen Grund, diese Krise für überwunden zu halten. Der Erfolg des Abkommens hängt davon ab, ob der Iran, der eine lange Geschichte an Täuschungen hat, sich daran halten wird. Beim Abkommen selbst gibt es eine Menge besorgniserregender Punkte, vor allem bezüglich der Kontrolle. Diese wurden von der »5+1«-Gruppe immer als wichtige Punkte beschrieben, es hieß immer, man vereinbare kein Abkommen, das auf Vertrauen basiert. Tatsächlich ist es aber so, dass es gerade bei den Atomanlagen, in denen Inspektionen am nötigsten wären, große Fragezeichen gibt. Es geht um militärische Anlagen wie Parchin, zu der Inspektoren seit Anfang 2012 Zugang fordern. Dies wurde vom Iran blockiert, zudem wurden dort Aufräumarbeiten durchgeführt. Das Abkommen sollte Inspektionen jederzeit und überall ermöglichen, wie von den »5+1« gefordert wurde. Jetzt haben wir managed access (kontrollierte Zugänge, Anm. d. Red.), die Auslegungssache sind. Natürlich wird der Iran auf seine Auslegung drängen und diese lautet, das hat Khamenei immer wieder betont, kein Zugang zu militärischen Anlagen.

Was lässt sich über die Implementierung des Atomabkommens und der Kontrollen bislang sagen?
Der Erfolg des Abkommens hängt nicht nur vom Iran ab, sondern auch vom politischen Willen der »5+1«-Gruppe, es durchzusetzen. Auf beiden Seiten gibt es seit Unterzeichnung des Abkommens Grund zur Sorge. Beim Konflikt um Parchin lief es darauf hinaus, dass Inspektoren die Anlage nicht betreten haben. Hochrangige Vertreter der IAEA bemängelten, dass es nicht reiche, wenn sie Bodenproben erhalten und nur von außen filmen dürften. Inspektoren müssten die Anlagen betreten dürfen. Die »5+1«-Gruppe hat ihre Zustimmung zur Einschränkung der Inspektionen gegeben, der Iran kam damit erfolgreich durch. Die »5+1«-Gruppe hat dies nicht nur akzeptiert, sondern auch noch argumentativ unterstützt und betont, dass die Kontrolle ausreichend sei. Im Sommer wurde eine Langstreckenrakete mit hoher Zielgenauigkeit und einer Traglast von 750 Kilogramm getestet, ausreichend für einen Atomsprengkörper. Dieser Test war zwar eine Verletzung der UN-Sicherheitsresolution von 2010, aber Raketen waren nicht Teil des Atomabkommens. So werden bald alle Beschlüsse über Sanktionen null und nichtig sein. Nach dem Atomabkommen wurde eine neue UN-Sicherheitsratsresolution beschlossen, darin wird dem Iran untersagt, Raketen für Atomsprengköpfe zu entwickeln. Aber da der Iran ja nach eigenem Narrativ nie ein Atomwaffenprogramm betrieben hat, behauptet das Regime, dass auch die Raketen nicht für Atomwaffen gedacht sind. Auch hier dehnt der Iran die Regelungen so weit wie möglich. Die »5+1«-Gruppe lässt das geschehen und wehrt sich, darin eine Verletzung des Atomabkommens zu sehen. Das Abkommen wird seit 2003 verhandelt, viel Energie, Zeit und Ressourcen sind darin investiert worden, vor allem nach 2013. Es ist für mich offensichtlich, dass die »5+1«-Gruppe keine Verletzung der Vereinbarungen erkennen will, die das Abkommen gefährdet. Das ist das Gegenteil von dem, was nötig wäre, nämlich den Iran wachsam zu beobachten.

Es wurde in den vergangenen Jahren viel vor einem nuklearen Wettrüsten in der Region gewarnt. Befürchten Sie, dass das passieren könnte?
Das Abkommen ist erst einige Monate alt. Aber selbst auf der verbalen Ebene gibt es von Saudi-Arabien die Aussage, dass es alle Möglichkeiten besitzen will, die dem Iran erlaubt werden. Das sind starke und für Saudi-Arabien ungewöhnlich bestimmte Worte. Die Sorgen der Golfstaaten beziehen sich aber weniger auf das iranische Atomprogramm an sich als vielmehr auf die Bedeutung von Atomwaffen für Irans hegemoniale Bestrebungen in der Region. In Israel war es andersherum, der Fokus liegt mehr auf den Atomwaffen. Grundsätzlich sind andere Staaten ebenso besorgt wie Israel. Je näher der Iran einer nuklearen Bewaffnung kommt, desto mehr werden ähnliche Aktivitäten in anderen Staaten zu beobachten sein. Das heißt nicht, dass andere Staaten schnell Atomwaffen entwickeln können, denn das grundsätzliche Interesse der USA und anderer Staaten an nuklearer Non-Proliferation betrifft auch sie.

Hat die israelische Regierung akzeptiert, dass das Atomabkommen geschlossen wurde?
Offensichtlich ist Israel seit dem Abkommen sehr leise. Ich vermute, Netanyahu denkt, dass die Schlacht um das Abkommen vorbei sei und dass nun die Phase der Implementierung begonnen habe. Israel ist es wichtig, seine Sorgen bezüglich der Implementierung an die »5+1«-Staaten, besonders die USA, weiterzugeben, indem es auf die Schwäche der Kontrolle und auf Lücken des Abkommens hinweist. Es gibt beispielsweise Unklarheit darüber, was bei einem Verstoß seitens des Iran geschehen soll.

Wer entscheidet über die Schwere des Verstoßes, welche Konsequenzen folgen daraus?
Klare Regelungen sind für die Abschreckung notwendig, aber in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass bereits die Entscheidung darüber, ob eine Verletzung überhaupt vorliegt, sehr lange dauern kann, und verschiedene Staaten von eigenen Interessen beeinflusst sind. Das Hauptinteresse ist oft, keine Verletzung erkennen zu wollen. Israel wird sich also auf diesen Bereich konzentrieren. Grundsätzliche Kritik am Abkommen ist dagegen aus Israel kaum noch zu hören.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Atomabkommen und der Ausbreitung des »Islamischen Staats«?
Als der IS im Sommer 2014 auf die globale Agenda gelangte und erste Videos von Enthauptungen zu sehen waren, verstand der Iran sofort, dass das eine Chance sein könnte. Der Westen war entsetzt und wollte etwas gegen den IS unternehmen, und der Iran wurde als potentieller Partner in diesem Kampf gesehen. Aber wie sollte eine Partnerschaft während der laufenden Atomverhandlungen funktionieren? Also versuchte der Iran, die »5+1«-Gruppe davon zu überzeugen, schnell Konzessionen zu machen, um sich anschließend für eine Zusammenarbeit gegen den IS bereit zu zeigen. Bis zu einem gewissen Grad haben sich die USA darauf eingelassen, auch um bei anderen Krisen im Nahen Osten mit dem Iran kooperieren zu können. Zugeständnisse bei den Atomverhandlungen sind aber sehr problematisch, denn so furchterregend der IS derzeit aussieht, ist doch der Iran langfristig gefährlicher. Heute wird der Iran plötzlich nach Wien eingeladen, um über eine Lösung für Syrien zu reden, das Regime erfährt also Anerkennung und darf Forderungen bezüglich Assad stellen. Zugeständnisse beim Atomabkommen ziehen also Zugeständnisse in Hinblick auf Syrien nach sich. IS-Anschläge im Herzen Europas sind für den Iran gute Nachrichten, denn solange der IS das Monster ist, sieht der Iran weniger gefährlich aus.

Ist der IS so etwas wie ein willkommener Feind für das iranische Regime?
Der IS ist eine Herausforderung für den Iran, die Eroberung von irakischem Territorium durch den IS ist offensichtlich nicht in Irans Interesse, deshalb hätten auch keine Zugeständnisse an den Iran gemacht werden sollen, um gegen den IS zu kooperieren. Das Regime hat eigene Gründe, gegen den IS zu kämpfen, aber es tut so, als würde es den USA einen Gefallen tun. Der IS ist also ein Feind, der die Gelegenheit für die Manipulation anderer Akteure bietet.

Nach dem Terroranschlägen in Paris gab es Befürchtungen, dass der IS auch Anschläge mit chemischen oder biologischen Waffen verüben könnte.
Meine Einschätzung zu unkonventionellem Terror lautet schon lange, dass das eine Möglichkeit ist. Jedoch kommen Terrororganisationen bislang ganz gut mit konventionellen Waffen aus. Solange sie damit ihre Ziele erreichen können, ist es nicht in ihrem Interesse, sich in den Bereich unkonventioneller Waffen zu begeben. Dieser birgt viele Risiken, biologische Waffen können beispielsweise leicht auch ihre Anwender treffen, chemische Waffen sind kompliziert einzusetzen. Und dann hat selbst der IS eine Anhängerschaft, für die der Einsatz von Massenvernichtungswaffen eine Linie überschreiten würde. Aber warum sollten Terroristen das tun, wenn sie wie in Paris alles mit konventione

llen Waffen erreichen können? Dennoch könnte der IS an Chemiewaffen aus syrischem Arsenal gelangen und damit drohen.

Sie leben in Israel mit der täglichen Gefahr von Terror. Wie könnten Anschläge wie in Paris nach Ihrer Erfahrung das Leben in Europa ändern?
Das Leben mit der Terrorgefahr bewirkt eine Änderung der kollektiven Psyche. Der Tagesablauf ändert sich, es gibt alltägliche Gegenmaßnahmen. Am Eingang jedes Einkaufszentrums steht eine Wache und kontrolliert die Taschen. Neben verstärkten Sicherheitsmaßnahmen ändert sich durch Terror auch die geistige Haltung. Man lebt die ganze Zeit mit einer Bedrohung, das Alltagsleben wird ganz anders. Meine Kinder habe ich während der zweiten Intifada davor gewarnt, in der Nähe einer Menschenmenge zu sein. Das Bewusstsein von Gefahr wird alltäglich.