Die politische Krise in Burundi

Schlimme Erinnerungen

In Burundi hält der Konflikt wegen der verfassungswidrigen Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten seit Monaten an. Über 300 Menschen wurden bereits getötet. Die Angst vor einer Ethnisierung des Konflikts und einem Genozid wächst.

»Wir sind sicher, dass es weder Krieg noch Völkermord in unserem Land geben wird«, sagte Willy Nyamitwe, der Kommunikationsbeauftragte des Präsidentenamts von Burundi, am 7. November. Man werde dies »nicht zulassen«, versicherte er der sogenannten internationalen Gemeinschaft. Die burundische Regierung reagierte damit auf die wachsende Besorgnis mehrerer Staaten, in dem zehn Millionen Einwohner zählenden Land könne es zu einem Ausbruch extremer Gewalt kommen. Die Sorge besteht jedoch nach wie vor.
Ende Oktober hatte der burundische Senatspräsident Révérien Ndikuriyo damit gedroht, die »oppositionellen Stadtteile« der Hauptstadt Bujumbura zu »pulverisieren«, falls die Proteste der Einwohner gegen das Regime von Präsident Pierre Nkurunziza nicht aufhören. Nkurunziza hatte sich über die Verfassung seines Landes hinweggesetzt, die ihm eine weitere Amtszeit verbietet. Er unterzog den Text einfach einer »Neuinterpretation«. Bei einer allgemein als Farce betrachteten Präsidentschaftswahl im Juli ließ er sich formal im Amt bestätigen (Jungle World 31/2015). Die Opposition, sofern sie sich im Land noch zu äußern vermag, und geflohene Burunderinnen und Burunder lassen seitdem in ihrer Kritik nicht nach.

Der Senatspräsident sprach auch davon, man könne die Bevölkerung des Landes notfalls »zum Arbeiten« aufrufen. In der Region versteht man diese Formulierung als Anspielung: Sie wurde 1994 während des Völkermords im Nachbarland Ruanda benutzt, um die Tätigkeit der mordenden Milizen, Soldaten und Zivilisten zu bezeichnen.
Wie die Bevölkerung Ruandas besteht auch die Burundis aus rund 15 Prozent Tutsi und über 80 Prozent Hutu. Beide Länder bildeten früher eine administrative Einheit, als sie unter der Bezeichnung Urundi-Ruanda in die damalige Kolonie Deutsch-Ostafrika eingegliedert wurden. Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg übernahm Belgien die Herrschaft über die beiden Territorien und verwaltete sie zusammen mit dem sogenannten Belgisch-Kongo (heute Demokratische Republik Kongo). Beide Kolonialmächte waren, im Sinne der damals vorherrschenden Ideologie, sehr um die Identifikation von »Ethnien« und »Rassen« unter der afrikanischen Bevölkerung bemüht. Im Falle Ruandas und Burundis lag eine Besonderheit darin, dass vormalige soziale Rangbezeichnungen – in einer Art durchlässigem Kastensystem – durch die europäischer Forscher und Verwalter als Rassenmerkmale aufgefasst wurden. Per Verwaltungsakt wurde zum Tutsi etwa erklärt, wer in der alten Ordnung mehr als zehn Rinder besaß. Die Europäer glaubten, die Tutsi seien aristokratische Krieger, die Hutu dagegen einfache Bauern. Soziale Unterschiede wurden dadurch rassifiziert, was dazu beitrug, die Grundlage für Jahrzehnte währenden rassenideologisch unterfütterten Hass zu schaffen. In Ruanda mündete die Situation schon kurz vor der Unabhängigkeit 1962 in ein System, in dem die Tutsi systematisch diskriminiert wurden. In Burundi hingegen blieben Tutsi noch länger an der Macht. Nkurunziza wurde als angeblicher Repräsentant der Hutu schließlich 2005 Präsident. Mittlerweile spielt er eher mit der Symbolik und der Ideologie des Hutu-Nationalismus, als dass er sich primär von ihr leiten ließe.

Um die seit Wochen von der Opposition vorgebrachten Vorwürfe, es werde ein Genozid vorbereitet, abzuwehren, behaupten hutu-nationalistische Medien, Nkurunziza arbeite auch mit Tutsi etwa unter den höheren Polizeifunktionären zusammen. So schrieb es die Zeitung The Rwandan am 15. November, auch wenn sie die betreffenden Personen nicht namentlich nennt. Zugleich zieht die Zeitung eine Parallele zu den Pariser Terroranschlägen und ihrer internationalen Verurteilung, um zu behaupten, auch Präsident Nkurunziza bekämpfe doch nur »lokale Terrorzellen«. Die Regierung selbst vergleicht ihre Gegner mit der islamistischen Miliz al-Shabab in Somalia, was jeglicher Grundlage entbehrt.
Dass Tutsi in Polizei und Armee auch in höheren Rängen dienen, geht nicht auf eine Entscheidung des Präsidenten zurück, sondern ist ein Ergebnis der Vereinbarungen von Arusha aus dem Jahr 2000. Das damals in der tansanischen Stadt geschlossene Abkommen sollte den »schleichenden Bürgerkrieg« beenden, in dem seit 1993 300 000 Menschen – sowohl Hutu als auch Tutsi – getötet worden waren. Das Regime baut seit über einem Jahr eine vorwiegend aus jungen und männlichen Hutu bestehende Miliz auf, die Imbonerakure, die vielen Menschen in Burundi Furcht einflößen. Viele Gewalttaten seit dem Beginn der Proteste im April gehen auf sie zurück, die Milizen begleiten Polizeikräfte bei Strafexpeditionen in missliebige Stadtteile.
300 Menschen wurden in den vergangenen Monaten auf offener Straße getötet. Über 200 000 Burunderinnen und Burunder flohen mittlerweile in die Nachbarländer. Gegner des Regimes von Nkurunziza finden sich unter Hutu ebenso wie unter Tutsi. Doch die Regierung versucht aus taktischen Gründen, den Protest zu ethnisieren und ihn als Angelegenheit der Tutsi-Minderheit darzustellen.
Auch der Minister für öffentliche Sicherheit, Alain-Guillaume Bunyoni, erinnerte an die Genozide in der Region, als er Anfang November unter Anspielung auf die Hutu-Bevölkerungsmehrheit drohte: »Falls die Sicherheitskräfte versagen, hätten wir neun Millionen Bürger, bei denen es genügen würde zu sagen: Tut etwas! In einigen Minuten wären sie vor Ort. Wer von denen, die sich dann nicht fügen, würde in einem solchen Fall überleben?« Diese Äußerung begleitete ein Ultimatum von Präsident Nkurunziza, der Oppositionskräfte, die mehrere Stadtviertel in Bujumbura dominieren, aufforderte, bis zum ersten Samstag im November »ihre Waffen niederzulegen«.
In der Nacht nach dem Ablauf des Ultimatums drangen Polizeikräfte in angeblich oppositionelle Wohnviertel ein und umstellten am frühen Morgen des 8. November den Stadtteil Mutakura im Norden der Hauptstadt. Im Süden von Bujumbura attackierten Bewaffnete eine von Oppositionellen besuchte Kneipe, wobei neun Menschen ums Leben kamen – Regierungsanhänger machten dafür jedoch »Terroristen« verantwortlich. Vor dem Ende des Ultimatums hatten viele Tutsi jene Viertel verlassen.

Das Verhalten der burundischen Regierung rief internationale Kritik hervor. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte am 6. November vor einer »völligen Destabilisierung«. Die Lage wecke Erinnerungen an »schreckliche Bürgerkriege und Massaker«. Die USA warfen der Regierung Burundis »eine Sprache des Horrors, wie die Region ihn seit 20 Jahren nicht gekannt hat«, vor. Frankreich legte dem UN-Sicherheitsrat einen Resolutionsentwurf vor, der die burundische Regierung zur innenpolitischen Abrüstung und zum »Dialog« mit der Opposition auffordert. Sanktionen gegen Verantwortliche sind in dem Beschluss, der am 12. November im Sicherheitsrat einstimmig angenommen wurde, allerdings nicht vorgesehen – aus Rücksicht auf Staaten der Afrikanischen Union, in denen autoritär regierende Präsidenten keinen Präzendenzfall für eine Einmischung in ihre »inneren Angelegenheiten« schaffen möchten. Aber auch Russland bezeichnete einmal mehr Sanktionen gegen Machthaber in einem Land als unpassendes Mittel.
In der Region gibt es mehrere Präsidenten, die die Verfassung ihres Landes verändern wollen, um sich weitere Amtszeiten zu ermöglichen. Denis Sassou-Ngessou aus der Republik Kongo hat dies nach einem manipulierten Referendum Ende Oktober bereits geschafft. Joseph Kabila aus dem Nachbarland Demokratische Republik Kongo muss noch warten. Allerdings wird auch den Staatsoberhäuptern der Region angesichts der Vorgänge in Burundi offenbar mulmig. Die »Internationale Konferenz für die Großen Seen« (CIRGL) schloss in der dritten Novemberwoche ihre Niederlassung in Bujumbura.
Die dortige Regierung fährt unterdessen mit ihrer repressiven Eskalationspolitik fort. Am 23. November kündigte das Innenministerium an, die Aktivitäten von »Organisationen der Zivilgesellschaft«, etwa Menschenrechtsvereinigungen, würden »eingefroren«, denn die Justiz ermittele zu »ihrer Rolle in den begangenen Verbrechen«. Ein Sohn des prominenten Menschenrechtlers Pierre Claver Mbonimpa wurde am 6. November tot aufgefunden, kurz nachdem er von Polizisten mitgenommen worden war. Sein Vater erholt sich derzeit in Brüssel von einem Mordanschlag, der im August auf ihn verübt worden war.
Nicht alle Oppositionellen gehen ausschließlich mit friedlichen Mitteln vor, denn viele von ihnen glauben, ohne Gewalt lasse sich Nkurunziza nicht aufhalten. Am 26. November überlebte der Präsidentenberater und Abgeordnete Zénon Ndaruvukanye einen Attentatsversuch, sein Leibwächter wurde getötet. Anfang August wurde General Adolphe Nshimirimana getötet, der als Schlüsselfigur der Repression galt und zehn Jahre lang den berüchtigten Nachrichtendienst La Documentation leitete. Es wird vermutet, dass Armeeangehörige an der Vorbereitung bewaffneter Aktionen beteiligt waren, zumal diese mitunter professionell durchgeführt wurden.
Auch halten sich Gerüchte über das angebliche militärische Training von geflohenen Burundern in Flüchtlingslagern in Ruanda. Diese Behauptungen werden beständig durch hutu-nationalistische Medien wie La Tribune franco-rwandaise verbreitet, um das seit dem Ende des Genozids 1994 von Tutsi regierte Ruanda der »Destabilisierung« Burundis anzuklagen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR erklärte sich in der ersten Oktoberwoche besorgt über Nachrichten über eine solche Ausbildung in Flüchtlingslagern auf ruandischem Boden. Dessen Amtsleiter in Ruandas Hauptstadt Kigali, Saber Azal, dementierte jedoch: Er habe keine Hinweise auf die Richtigkeit solcher Behauptungen. Die USA forderten die ruandische Regierung zu einer ernsthaften Untersuchung der Vorwürfe auf.