Die Islamverbände wollen eine Gleichstellung beim Religionsunterricht

Auf dem Weg zum Moscheenprivileg

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) befürwortet die rechtliche Gleichstellung von Islamverbänden mit christlichen ­Kirchen. Die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Volker Beck sehen das anders.

»Freiheit ist stets gleiche Freiheit«, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Wochenende im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. Er sprach sich deshalb für die Gleichstellung muslimischer Verbände mit den christlichen Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts aus. »Staatsverträge können ein wichtiger Schritt sein, um den Platz des Islam in der Mitte unserer Gesellschaft zu stärken«, so der Bundesjustizminister. Dazu müssten sich die Muslime jedoch »noch besser mitgliedschaftlich organisieren«.
Maas bezeichnete es als Problem, dass »Imame aus Ländern kommen, in denen es keine Freiheit, keine Vielfalt und keine Gleichberechtigung gibt«. Die Verbreitung islamistischer Ideologie sei deshalb besser zu verhindern, wenn islamischer Religionsunterricht »in staatlichen Schulen stattfindet, mit konkreten Lehrplänen und Religionslehrern, die in Deutschland ausgebildet worden sind«.

Volker Beck und Cem Özdemir (beide Grüne) dürften das anders sehen. Sie haben jüngst ein Positionspapier mit dem Titel »Den Islam und andere Religionen der Einwanderer ins deutsche Religionsverfassungsrecht integrieren – Gleiche Rechte für Muslime, Aleviten und Jeziden!« veröffentlicht. Darin kritisieren sie die großen Islamverbände als in ihrer derzeitigen Struktur ungeeignete Partner. Die vier großen muslimischen Interessenverbände, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZdM) und der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), seien »in ihrer Zusammensetzung national, politisch oder sprachlich, nicht aber bekenntnisförmig geprägt«. Beck und Özdemir beurteilen die vier Verbände daher »als religiöse Vereine und nicht als Religionsgemeinschaften«. Deshalb stehe ihnen kein Recht auf Erteilung des bekenntnisförmigen Religionsunterrichts zu.
Solche Aussagen sind neu. Bisher haben tonangebende Vertreter des gesamten bürgerlichen Milieus, ob konservativ, liberal oder links, eine kritische Auseinandersetzung mit den ultrakonservativen islamischen Wortführern vermieden. Dabei wäre eine grundsätzliche Diskussion notwendig. »Die Möglichkeiten und Privilegien, die das Grundgesetz den Religionsgemeinschaften bietet, stehen nicht nur den christlichen Kirchen offen, die können alle nutzen«, sagte Maas der Neuen Osnabrücker Zeitung. Das ist aber im Fall des Islam als in Deutschland nach dem Christentum bedeutsamster Religion eine große Herausforderung.
Auch wenn sie sich rechtlich gleichstellen lassen, gleichsetzen lassen sich Islam und Christentum nicht. Die christlichen Kirchen wurden mit der Aufklärung konfrontiert und haben sich unter dem Zwang bürgerlicher Revolutionen und politischem Druck – nicht konsequent und nicht überall im gleichen Maße – angepasst und säkularisiert. Sie finden sich mit der Trennung von Religion und Staat zumindest ab, während die orthodoxe islamische Theologie diese Trennung nicht kennt. Er ist in seiner derzeitigen Form eine politische Ideologie und wird von ultrakonservativen bis islamistischen Strömungen dominiert. In der »Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam« von 1990, einem offiziellen Dokument der aus 56 Staaten bestehenden »Organisation für Islamische Zusammenarbeit«, ist festgelegt, dass Menschenrechte nur soweit gelten, wie sie nicht im Widerspruch zur Sharia stehen.

Grundsätzlich wäre eine rechtliche Gleichstellung in zwei Richtungen denkbar. Entweder werden die Privilegien der christlichen Kirchen abgebaut, oder Muslimen und anderen Nichtchristen werden dieselben Privilegien eingeräumt, so wie es unter anderem im Fall der jüdischen Gemeinden schon gängig ist. Die erste, die laizistische Variante wäre im Sinne einer grundsätzlichen Trennung von Staat und Religion konsequent. Aber sie dürfte auf absehbare Zeit nicht durchsetzbar sein. Allein um den konfessionellen Religionsunterricht als Fach an staatlichen Schulen abzuschaffen, wäre eine Grundgesetzänderung nötig. Denn in Artikel 7 ist festgelegt: »Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.«
Zudem sagte Maas im Interview: »Wenn es um einen Laizismus nach französischem Vorbild geht, in dem die Trennung von Staat und Kirche so weit reicht, dass in staatlichen Schulen selbst Schüler keine religiöse Kleidung oder Symbole tragen dürfen: Davon halte ich nichts.« Die Äußerung lässt erahnen, wie es um Mehrheiten für den Laizismus in Deutschland steht.
Muslimische Verbände haben also durchaus gute Aussichten, dieselben Rechte zu erhalten wie die anerkannten christlichen Religionsgemeinschaften. Es wäre an einer kritischen Öffentlichkeit, in diesem Prozess antidemokratischen, gegenaufklärerischen Einflussnahmen von Islamverbänden vorzubeugen und die Einhaltung von Minimalstandards einzufordern: etwa die Ablehnung religiös begründeter Gewalt; die Ablehnung von Antisemitismus und der Infragestellung des Existenzrechts Israels; die Anerkennung des Rechts, den Islam zu kritisieren; keine Vorgaben der Religions- und sonstigen Behörden anderer Staaten.
Auch für einen islamischen Religionsunterricht gäbe es solche Kriterien: Er muss in deutscher Sprache abgehalten werden; die Religionslehrer werden an hiesigen staatlichen Hochschulen ausgebildet; Islamisten und islamische Traditionalisten kommen als Religionslehrer nicht in Frage, traditionalistischen Verbänden wird kein Auswahlrecht für Lehrkräfte zugestanden; die Inhalte müssen wissenschaftlichen Standards entsprechen.
Daran müssten sich die Islamverbände messen lassen. Beurteilt man sie nach ihren öffentlichen Aussagen und Handlungen, ist offensichtlich: Die als Dialogpartner auf Bundes-, Landes- wie kommunaler Ebene gehandelten Verbände, vor allem die im Koordinationsrat der Muslime zusammengeschlossenen, erfüllen diese Kriterien nicht. Ditib ist eine Agentur der türkischen Religionsbehörde und vertritt ein extrem konservatives Islamverständnis. Auf der Website der saarländischen Ditib etwa hieß es 2008, eine Muslima dürfe keinen nichtmuslimischen Mann heiraten und sei zum Tragen des Kopftuchs verpflichtet. Diese und andere Aussagen wurden erst nach öffentlicher Kritik entfernt. Die anderen Verbände sind zum Teil noch reaktionärer (Jungle World 47/2015). Der Islamrat wird beispielsweise von der islamistischen Organisation Milli Görüs dominiert. Zu den Mitgliedsorganisationen des Zentralrats der Muslime gehören auch Muslimbrüder.

Dennoch haben die zwölf Bundesländer, in denen es bereits islamischen Religionsunterricht gibt, manche dieser Verbände mit dessen Trägerschaft betraut. In Hessen hat Ditib im Auftrag des Kultusministeriums ein Kerncurriculum verfasst, dem der aus Algerien stammende Freiburger Islamwissenschaftler und islamische Religionspädagoge Abdel-Hakim Ourghi in einem Gutachten bescheinigt, auf die dogmatische Vermittlung von Glaubensinhalten zu setzen und eine kritische Auseinandersetzung mit den islamischen Überlieferungen zu unterlassen. Das Gleiche gelte, so Ourghi, für das Curriculum des ebenfalls stockkonservativen Verbandes der Ahmadiyya-Muslime in Hessen. Auch Ourghi warnt deshalb vor der Gleichstellung der Traditionsvereine mit den Kirchen.