Der SPD-Parteitag

Die Harke der Sozialdemo­kraten

Der Bundesparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) war für Sigmar Gabriel eine gute Übung für einen gewissen Wahlabend irgendwann im Herbst 2017.

Es gibt so viele schöne Berufe – eine Menge sogar mit Kontakt zur Kundschaft, falls man gern mit Menschen zu tun hat. Da ist es eigentlich schon sehr erstaunlich ist, dass die SPD überhaupt immer wieder jemanden findet, der gern Bundeskanzler werden möchte. Halt nein, realistischer: Kanzlerkandidat. Zumal der einzige valide Grund, sich den Stressjob überhaupt anzutun, nämlich im Fernsehen sitzen und rauchen zu dürfen, nun auch weggefallen ist, was die Partei sich übrigens dank der raucherfeindlichen Gesetze selber zuzuschreiben hat, aber das ist ein anderes Thema.
Aber Kanzler ist nun einmal das, was Sigmar Gabriel werden möchte. Und vermutlich ist es ihm nicht auszureden, auch wenn er beim Parteitag am Wochenende einen Moment lang so guckte, als könne er sich auch ein erfülltes Leben ohne seine Partei vorstellen. Oder zumindest eines ohne Parteitage. Die ja ohnehin eine Zumutung sind, denn durchorchestrierte Events mit Höhepunkten wie »stundenlange Rede des alten und neuen Parteivorsitzenden über dies und das« sind dann doch von begrenzter Unterhaltsamkeit. Auch wenn es diesmal eine veritable Sensation gab, die die Nation oder zumindestens deren SPD wählende Minderheit erschütterte. Gabriel, der ohne Gegenkandidat antrat, erhielt nämlich bloß 74,3 Prozent, in Worten vierundsiebzichkommanochwas Prozent, also nicht mal drei Viertel der Delegiertenstimmen. Was dazu führte, dass der arme Mann fassungslos um Fassung bemüht auf dem Podium saß, umringt und getröstet und ermutigt von Leuten, die eigentlich auch gern Kanzlerkandidat wären, aber sich gleichwohl sehr viel und nicht in jedem Fall erfolgreich Mühe gaben, so auszusehen, als tue ihnen der 74-Prozent-Mann unendlich leid.
Immerhin konnte Gabriel schon mal für den Ernstfall üben, also den großen Bundestagswahlabend 2017. Trotz enttäuschendem Ausgang tapfer dazusitzen und nicht in Tränen auszubrechen oder verdammt wütend zu werden – das muss man schließlich erst lernen. Wie natürlich auch die in Wirklickeit gar nicht so gemeinten mitleidigen Worte der parteiinternen Konkurrenz gefasst anzuhören, ohne aufzustehen und dem scheinheiligen Pack eine zu knallen. Das kann Sigmar Gabriel also schon mal alles, weswegen einer zumindest in diesen Punkten erfolgreichen Kanzlerkandidatur jetzt eigentlich nichts mehr im Wege stehen dürfte.
Vielleicht überlegt er sich die Sache ja noch einmal. Sich ein schönes Restleben zu machen und irgendeinem verhassten Parteikonkurrenten dabei zuzugucken, wie der 2017 versagt, könnte auch eine super Option sein. Aber so, wie die Dinge liegen, wird natürlich doch nur wieder der Anspruch auf die Kanzlerkandidatur verbissen verteidigt, und dazu werden also in den kommenden Monaten viele, viele lange Reden gehalten und Intrigen abgewehrt und entschlossene, kämpferische Interviews gegeben und flammende Appelle gehalten.Und das alles nur, um schließlich 2017 in der Berliner Runde sitzen und sagen zu können: Ja gut, es habe leider doch nicht geklappt, aber das Ergebnis sei doch insgesamt ein schöner Erfolg und man danke den Wählern und werde nun in eine Große Koalition sozialdemokratische Politik einbringen – uuups, da ist ja noch die FDP, gut, dann werde man der Regierung halt in der Opposition zeigen, was eine SPD-Harke ist, und die werde sich noch umgucken, das stehe mal fest.