Repression von Arbeitskämpfen in Südchina

Arbeiter stören die Ordnung

Vor dem Hintergrund einer steigenden Zahl von Arbeitskämpfen sind Arbeiterorganisationen im südchinesischen Perlflussdelta mit einer Verhaftungswelle konfrontiert.

Seit Anfang Dezember sind NGOs und Personen, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, in der südchinesischen Provinz Guangdong mit einer neuen Welle staatlicher Repression konfrontiert. Insgesamt wurden seit dem 3. Dezember 33 Personen, die in Verbindung zu einer von mindestens vier Arbeiterorganisationen in den Städten Guangzhou und Foshan stehen, von staatlichen Sicherheitskräften verhört beziehungsweise vorübergehend festgenommen. Während die Polizeirazzien danach fortgesetzt wurden und Kontrollbehörden versuchen, die Berichterstattung sowie Kommentare in sozialen Medien zu unterbinden, wird inner- und außerhalb Chinas zur Solidarität aufgerufen.
Fünf NGO-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden nachweislich weiterhin in Polizeigewahrsam gehalten. Zeng Feiyang, dem Leiter des in Guangzhou ansässigen Panyu Dagongzu Service Center, sowie dessen Mitarbeiterin Zhu Xiaomei wird »Aufruf zur Versammlung und Störung öffentlicher Ordnung« vorgeworfen. Gegen He Xiaobo, den Leiter des Nanfeiyan Social Service Centre in Foshan, wird wegen Veruntreuung ermittelt. Nach wie vor unklar ist der formale Ermittlungsgrund gegen Peng Jiayong, den Leiter der Panyu Workers’ Mutual Assistance Group, sowie Deng Xiaoming, einen Mitarbeiter des ebenfalls im Bezirk Panyu der Stadt Guangzhou tätigen Haige Labour Center. Über den Verbleib der beiden seit Beginn der Polizeirazzien vermissten Aktivisten Meng Han und Tang Jian ist nichts bekannt. Eine Kontaktaufnahme mit ihrem Rechtsbeistand wurde allen Inhaftierten verwehrt.

Den betroffenen Organisationen ist gemein, dass sich ihre Mitglieder für die Rechte von Wanderarbeiterinnen und -arbeitern im Perlflussdelta, dem Zentrum der Weltmarktproduktion, einsetzen und dass sie als chinesische Vorzeige-NGOs galten. Das 1998 gegründete Panyu Dangongzu Service Center etwa war eine der ersten Arbeiter-NGOs im Perlflussdelta und konzentriert sich auf Rechtsberatung sowie auf die Vertretung von Beschäftigten in Konfliktfällen, zum Beispiel in Auseinandersetzungen um Entschädigungszahlungen nach Arbeitsunfällen. Abgesehen von Zeng Fei­yang waren alle Inhaftierten vor ihrer jeweiligen Tätigkeit in den NGOs selbst als Arbeitsmigranten in die Provinz Guangdong gekommen und jahrelang in Fabriken beschäftigt. Mitglieder aller vier Organisationen beteiligten sich zudem in der jüngeren Vergangenheit an der Unterstützung von Beschäftigten in Arbeitskämpfen und an Kollektivverhandlungen.
Über die konkreten Hintergründe für die in ihrem Ausmaß bemerkenswerte Repression können bislang nur Vermutungen angestellt werden. Zum einen wird in chinesischsprachigen Kommentaren und Blogposts auf die seit der Amtsübernahme Xi Jinpings als Parteivorsitzender und Staatspräsident und die angesichts der in China aufmerksam beobachteten Rebellionen im Nahen Osten deutlich verschärften Maßnahmen gegen soziale Organisationen und aktive Einzelpersonen verwiesen. Tatsächlich können die Ereignisse seit Anfang Dezember als Teil einer allgemein intensivierten Repression interpretiert werden. Dies umfasste die erzwungene Schließung des an der Sun-Yatsen-Universität in Guangzhou angesiedelten und gemeinsam mit der University of California betriebenen Zentrums für Arbeitsforschung, die Festnahme von fünf Feministinnen, die zum Weltfrauentag eine öffentliche Kampagne gegen sexuelle Gewalt geplant hatten, sowie die systematische Verhaftung von Menschenrechtsanwälten im Juli. In diesem Zusammenhang ist auch das derzeit in Revision befindliche »Gesetz über die Verwaltung ausländischer Nichtregierungsorganisationen« von Bedeutung, das den Einflussbereich ausländischer Institutionen beziehungsweise Finanzierungsquellen für chinesische NGOs eindämmen soll. So wurde darauf verwiesen, dass das Panyu Dagongzu Service Center finanziell von der Hongkonger NGO China Labour Bulletin unterstützt wurde und alle Inhaftierten in der Vergangenheit mit dem Panyu Dagongzu Service Center in Verbindung standen.

Um den Zeitpunkt der Verhaftungen sowie den Fokus der staatlichen Behörden auf genau diese Organisationen zu verstehen, ist es jedoch notwendig, auch die Krisenerscheinungen in der chinesischen Wirtschaft sowie die damit in Verbindung stehende Zunahme von Arbeitskämpfen als Erklärung heranzuziehen. Seit 2013 fielen die Wachstumsraten unter acht Prozent. Die von der chinesischen Regierung als »Neue Normalität« bezeichnete Situation führte in der Industrieproduktion zu sinkenden Profiten, stagnierenden Exporten und Überkapazitäten. Die vor allem im Perlflussdelta häufiger werdenden Fabrikschließungen und Verlagerungen von arbeitsintensiven Industrien nach Südostasien oder in das Landesinnere sind der Hauptgrund für die in den vergangenen Monaten erneut wachsende Arbeiterunruhe. So erhöhte sich die Zahl der Streiks und Proteste in der Provinz Guangdong den Erhebungen des China Labour Bulletin zufolge von 23 Vorfällen im Juli auf 56 im November. Entsprechend erscheint die jüngste Repressionswelle als ein Versuch der staatlichen Behörden, eine weitere Ausweitung von Arbeitskämpfen zu verhindern und hierfür vor allem jene Organisationen zu zerschlagen, die in der Vergangenheit eine wichtige Rolle in der Unterstützung von Arbeitern in Arbeitskämpfen einnahmen.
Mit einer Fortsetzung der Repression ist daher zu rechnen. Umso vehementer rufen Unterstützer (facebook.com/freechineselabouractivists/)derzeit zu Solidaritätsaktionen und zur Unterzeichnung einer von Arbeiterorganisationen in Hongkong initiierten Petition zur Freilassung der Verhafteten auf .