Die Angriffe auf Asylsuchende werden immer gefährlicher

Feuer frei

Die Gewalt gegen Geflüchtete nimmt weiter zu. Inzwischen wird sogar scharf geschossen. Effektive Gegenwehr gibt es kaum.

In Köln wird eine noch leerstehende Asylunterkunft mit Pyrotechnik in Flammen gesetzt. Ein junger Asylsuchender wird mit mehreren Stichen verletzt auf einer Kreuzung in Lohfelden bei Kassel gefunden. Im hessischen Dreieich werden mehrere Schüsse auf die Erdgeschossfenster einer bewohnten Asylunterkunft abgefeuert. Das sind nur Auszüge der bitteren Bilanz der ersten Tage dieses Jahres. Dass dem rassistischen Gedanken immer schon die konkrete Tat innewohnt, ist keine Neuigkeit. Doch effektive Gegenwehr gegen die Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte gibt es derzeit kaum noch. Ein kritischer Blick auf die rassistischen Verhältnisse, die diese Gewalt hervorrufen und begünstigen, scheint vollends zu fehlen.

Bereits im März 2011 polterte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) am politischen Aschermittwoch gegen die »Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme«. Er wolle dagegen »bis zur letzten Patrone« kämpfen. Was wie ein verbaler Ausfall eines rechten Hardliners anmutete, scheint vier Jahre später Realität zu werden. Die Schüsse von Dreieich sind der traurige Höhepunkt eines immer gewalttätiger werdenden Rassismus.
Bei einem Blick auf die zerschossenen Fenster der Unterkunft für Geflüchtete im Industriegebiet von Dreieich-Dreieichenhain lässt sich erahnen, wie leicht es hier zu Todesfällen hätte kommen können. Um etwa halb drei Uhr am ersten Montagmorgen des Jahres schoss eine vermummte Person sechs bis sieben Kugeln mit einer Handfeuerwaffe auf die Fenster im Erdgeschoss des Gebäudes. Die Kugeln trafen hüfthoch in die Glasfront, unmittelbar dahinter schliefen zwei Menschen. Es war ausschließlich dem Glück geschuldet, dass nur einer leicht am Bein verletzt wurde.
Andrea Ackermann von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Südosthessen versprach intensive Aufklärungsarbeit. Die Polizei setzte eine Sonderkommission ein. Ackermann betonte, es fehlten noch Erkenntnisse über den oder die Täter. Schließlich könne es sich auch um eine »Beziehungstat, interne Streitereien oder einen Trittbrettfahrer« handeln, sagte sie der Jungle World am Dreieicher Tatort. Diese Aussagen sind symptomatisch für Entpolitisierungsversuche durch Ermittlungsbehörden und Politik. Brennt eine Asylunterkunft, wird ein rechter Hintergrund nicht selten sogar ausgeschlossen. Oftmals dürfte die Hoffnung auf ein sauberes Stadt­image für die Lokalpolitik ein wichtiger Grund sein, jegliche rassistische Gewalt auf »verwirrte Einzeltäter« zu schieben und zu bagatellisieren. Vor dem Hintergrund der steigenden Zahl rechter Anschläge und Übergriffe in Deutschland liegt die Vermutung eines rassistischen Schützen in Dreieich jedenfalls nicht fern.
Recherchen der Zeit zeigen: Kaum ein Anschlag wird aufgeklärt. So kam es im vergangenen Jahr nahezu täglich zu schweren Anschlägen auf Unterkünfte. Aus den 747 Straftaten, die das Bundeskriminalamt bis einschließlich November 2015 zählte, rechnete die Zeitung alle »kleineren De­likte«, wie »Schmierereien, Propagandadelikte und Pöbeleien« heraus. Übrig blieben 222 Angriffe auf Unterkünfte, davon 93 Brandanschläge, zur Hälfte auf bewohnte Unterkünfte. Nur in 41 der 222 Fälle konnten Täterinnen oder Täter ermittelt werden. Es kam bislang lediglich zu acht Anklagen und vier Verurteilungen.

Die polizeiliche Verfolgung dürfte nicht nur von der Vielzahl an Unterkünften, die kaum alle geschützt werden können, und dem zumeist nächtlichen Tatzeitpunkt erschwert werden. Auch werden nicht alle Anschläge von organisierten Neonazis verübt – eine solche Zahl an Taten dürfte für sie personell dann doch nicht zu bewerkstelligen sein. Doch gerade die sich radika­lisierenden, vermeintlich braven Bürgerinnen und Bürger müssen verstärkt in den Blick genommen werden. Nicht nur ihre schweigende Toleranz schützt die Täter – gerade im Hinblick auf die Empörung nach den Übergriffen in Köln zeigt sich ihre Doppelmoral deutlich.
Es sollte klar sein, dass sich »besorgte Bürger« nicht ausschließlich auf Facebook oder in Bürgerinitiativen zusammenfinden. Nach Recherchen der Sächsischen Zeitung wird in Wurzen bei Leipzig der Sohn eines »führenden Protagonisten« der Initiative »Wurzen gegen Asylmissbrauch« verdächtigt, einer aus Mazedonien zugezogenen elfjährigen Mitschülerin eine Knochenabsplitterung am Arm zugefügt zu haben. Es bleibt im Umfeld von Rassisten eben nicht bei Worten. Zwei Jugendliche, die im Verdacht stehen, eine noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft in Köln angezündet zu haben, sollen der Polizei zufolge dem örtlichen Pegida-Ableger nahestehen.
Für Bernd Mesovic von Pro Asyl ist insbesondere der »Wille zum Verletzen und Töten« von Asylsuchenden bei vielen Anschlägen erschreckend und besorgniserregend. Er fordert im Gespräch mit der Jungle World einen stärkeren Schutz von Asylunterkünften durch die Polizei statt durch private Sicherheitsfirmen, bei denen Zuständigkeiten und Befugnisse oft unklar ­seien. Mesovic attestiert den Polizeibehörden eine gewisse »Laxheit im Umgang mit der Sicherheit« von Asylunterkünften. Trotzdem dürfte es auch mit erhöhter Polizeipräsenz kaum möglich sein, alle Unterkünfte und alle Asylsuchenden vor rassistischer Gewalt zu schützen. Zudem zweifelt Mesovic, ob überhaupt alle vorhandenen Ermittlungsmethoden zum Einsatz kämen. In der Tat zeigen die Recherchen der Zeit, dass die Aufklärungsquote beispielsweise bei Brandstiftung normalerweise deutlich höher liegt, als es bei den Bränden in Asylunterkünften der Fall ist.

Verschiedene Medien berichteten seit Mitte 2015 vom zunehmenden Interesse an Waffen, die nicht unter das Waffengesetz fallen. So sei der Absatz von Pfefferspray in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stark angestiegen, berichtete Ende November, also lange vor den Übergriffen von Köln, der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Büchsenmacher und Waffenfachhändler (VDB) dem Mitteldeutschen Rundfunk. Doch es bleibt nicht bei vergleichsweise harmlosen Abwehrwaffen wie Pfefferspray. Aus einer Antwort der hessischen Landesregierung auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion, die der Jungle World vorliegt, geht hervor, dass sich auch Neonazis in den vergangenen Jahren zunehmend mit Waffen versorgten. So stieg die Anzahl an legalen Schusswaffen in den Händen bekannter Rechtsextremen allein in Hessen von 14 auf 90 – erworben auf ganz legalem Weg mit einem gültigen Waffenschein, den 27 von ihnen besitzen. Die Zahl der illegalen Waffen dürfte deutlich höher sein, auch wenn die hessischen Behörden hier­zu offiziell keine Erkenntnisse hatten. Vor einigen Wochen prahlte die nordrhein-westfälische Rechtsextremistin Melanie Dittmer auf Facebook mit Fotos von Schießübungen auf einem Feld.
Nach den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht riefen der lokale Pegida-Ableger und Nazi-Hooligans aus dem Umfeld von Hogesa zur Gründung von Bürgerwehren auf – zum vermeintlichen Schutz »unserer Frauen, unserer Kinder, unserer Eltern und Großeltern«. Pegida-Chefrassist Lutz Bachmann posierte auf Facebook in einem Shirt mit dem Aufdruck »Rapefugees not welcome – stay away«, das er zum Kauf anbieten wollte und das ihm eine weitere Anzeige ­wegen Volksverhetzung einbrachte. Die Jugendorganisation der AfD reagierte auf den Vorschlag der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, man solle zum Schutz vor sexuellen Übergriffen wie in der Silvesternacht »eine Armlänge Abstand« von fremden Männern halten, in dem sie auf Facebook das Foto einer Pistole postete – verbunden mit dem Kommentar: »Wenn die Politik nicht handelt, halten die Menschen vielleicht in Zukunft wirklich eine ›Armlänge Abstand‹, Frau Reker.« Die rechte Darstellung von Geflüchteten als homogene Masse von Frauenverächtern und potentiellen Vergewaltigern folgt den für den Rassismus typischen negativen Zuschreibungen und Kulturbildern.
In verschiedenen Städten haben sich inzwischen Notfallnetzwerke wie die Initiative »Red Button Frankfurt« gegründet. Bei Angriffen auf Asylunterkünfte wollen sie schnellen Schutz für deren Bewohnerinnen und Bewohner organisieren. Die Erfahrungen der vergangenen Monate bei Pegida und den rechten Aufmärschen in der Stadt hätten bestätigt, dass nicht auf die Polizei vertraut werden könne, befand die Initiative. So wichtig und notwendig der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner sowie ihrer Unterkunft ist, so sehr scheinen all diese Konzepte dem alltäg­lichen rechten Terror kaum noch gerecht zu werden. Auf staatlichen Schutz ist immer weniger zu hoffen – da braucht man gar nicht erst an das Gewährenlassen der Terrorgruppe »National­sozialistischer Untergrund« (NSU) durch staatliche Behörden denken. Gegen die schiere Schutz­losigkeit gegenüber den vielen verstreuten Deutschen, die ihre vermeintlichen Belange in die ­eigene Hand nehmen wollen, scheint es kaum noch wirksame Mittel zu geben.