Fragwürdige Berichterstattung über sexualisierte Gewalt in Bonn

Bonner Stimmungsmache

Nach der Kölner Silvesternacht berichtete ein Lokalblatt über mutmaßliche sexueller Belästigungen bei einer Party in der Nachbarstadt Bonn. Die hatte allerdings bereits vor zwei Monaten stattgefunden.

»Belästigungen bei Flüchtlingsparty«  – unter dieser Überschrift skandalisierte der Bonner General-Anzeiger im Zusammenhang mit den Berichten über die Kölner Silvesternacht eine Feier in Bonn. Diese hatte allerdings schon im November stattgefunden. Mit der Behauptung, erst jetzt sei ein entsprechendes Schreiben bekanntgeworden, berichtete das Blatt vor zwei Wochen über sexuelle Belästigungen bei der Feier, die unter anderem von »Refugees Welcome Bonn e.V.« und der studentischen Initiative für Flüchtlinge ausgerichtet worden war. Weil sich beide Gruppen bereits kurz nach der Feier an die Öffentlichkeit gewandt und eingestanden hatten, dass es auf ihrer Party zu entsprechenden Vorfällen gekommen war und ihre Maßnahmen gescheitert waren, von Anfang an für eine angenehme Atmosphäre zu sorgen, ernteten sie große Aufmerksamkeit insbesondere im rechten Spektrum inklusive einer Erwähnung in der neurechten Jungen Freiheit.
»Refugees Welcome Bonn« bekam daraufhin wütende Mails und Facebook-Kommentare von »besorgten Bürgern«, darunter zahlreiche Vergewaltigungsphantasien und -drohungen. Auch der General-Anzeiger war schon damals auf die Angelegenheit aufmerksam geworden und hatte sich von den Partyveranstaltern zehn Fragen schriftlich beantworten lassen, auf eine Berichterstattung dann aber verzichtet.
Zwar zog das Blatt den Artikel online kurz darauf zurück, weil ihm aufgezeigt worden war, dass die Behauptung, die sexuellen Belästigungen auf der Feier seien nun erst bekannt geworden, falsch war. Dennoch war die Geschichte in der Welt und auf Versuche, sie wieder einzuholen, verzichtete man – mit der Folge, dass der auf dem Bonner Markt ebenfalls starke Express mit der Schlagzeile »Bonn: Sex-Attacken bei Flüchtlings-Party« nachzog. Nachdem der General-Anzeiger Betroffene dazu aufgefordert hatte, Anzeige zu erstatten, begann auch die Bonner Polizei Ermittlungen, obwohl fraglich war, ob es sich um Nötigungen und damit Offizialdelikte handelte.

Bisher sind es drei Frauen, die Anzeige erstatteten und etwa von Grabschen und unerbetenen Küssen berichteten. Schnell folgten weitere Schlagzeilen wie »Von Migranten bedrängt« – hier ging es etwa um einen Antanztrick-Vorfall. Bei linken und antirassistischen Vereinigungen in Bonn spricht man von rassistischer Hetze, die »niederträchtige Stimmungslagen« weiter anfachen solle, worauf auch die Falschbehauptung des General-Anzeigers hindeute.
Doch nicht nur in der Stimmungsmache gegen Geflüchtete tun sich die Lokalmedien hervor. So ließen sie Bürger zu Wort kommen, die sowohl gegen den Verein »Refugees Welcome Bonn« als auch gegen die städtische Integrationsbeauftragte Schritte forderten, weil diese die Polizei nicht informiert hatten. Immerhin hätten sich ja nun drei Betroffene bei der Polizei gemeldet.
Der »Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff)« sieht allerdings anhand der Kölner Silvesternacht eine generelle Schwierigkeit bei der Strafbarkeit der meisten Nötigungshandlungen beziehungsweise sexueller Übergriffe: »Dem bff sind schon lange zahlreiche Fälle bekannt, in denen Frauen an öffentlichen Orten belästigt, begrabscht und an Geschlechtsteilen angefasst wurden.« In der Regel endeten dem Verband zufolge diese Taten für die Täter straflos, weil aufgrund der Überrumpelung der Betroffenen keine Nötigungsmittel angewendet werden müssen, um die sexuelle Handlung zu begehen. »Solche Überraschungsangriffe sind – so die Erfahrung der Fachberatungsstellen und von Rechtsanwältinnen – nicht durch den Straftatbestand der sexuellen Nötigung erfasst und damit systematisch straffrei«. Dies könnte auch für den Teil der in Köln begangenen Taten zutreffen, bei dem die Polizei lediglich wegen Beleidigung (»auf sexueller Grundlage«) ermittelt.
Ein Vertreter von »Refugees Welcome Bonn« sagte der Jungle World zu den Vorkommnissen bei der Bonner Party: »Unsere Entschuldigung für die entstandene Stimmung beruhte zunächst einmal auf unserem Anspruch, überhaupt einen sicheren Raum für Frauen zu schaffen. Aufgrund der uns auf der Party zugetragenen Beschwerden ergab sich uns das Bild einer unangenehmen Atmosphäre, wie in einer Großraumdisko.« Als um vier Uhr morgens die Lichter angingen, seien unter den Besuchern etwa die Hälfte Frauen gewesen – was nicht unbedingt für eine mit der Kölner Silvesternacht vergleichbare Situation spricht. Dementsprechend hatte sich nicht nur der General-Anzeiger, sondern auch Spiegel Online im November nach Kontaktaufnahme mit der Initiative gegen eine Berichterstattung entschieden.

Mit fragwürdiger Berichtererstattung zu sexualisierter Gewalt steht der General-Anzeiger freilich nicht allein. So kann zum Beispiel das Nahverkehrsunternehmen Hamburger Hochbahn AG in der Welt einen sexuellen Übergriff in einem seiner Busse bedauern und gleichzeitig behaupten, es sei »der erste Vorfall dieser Art in Hamburg«.
Die Folgen sind spürbar: Auch unter den Bonner Unterstützern von Geflüchteten bröckelt die Solidarität, Nutzer verlassen polternd entsprechende Facebook-Gruppen. Dass sich »Refugees Welcome Bonn« nach den Vorkommnissen im November mit Betroffenen an einen Tisch gesetzt und abgesprochen hatte, »weitere Maßnahmen zu ergreifen, um eine solche Situation in Zukunft zu vermeiden«, wie der Verein mitteilte, und dass sich damals alle Frauen gegen eine Anzeige entschieden hatten, ändert nichts am aufkeimenden Strafbedürfnis. So forderte eine Nutzerin der Gruppe »Flüchtlinge Willkommen in Bonn« mit über 4 600 Mitgliedern von Beteiligten, entsprechende Anzeigen auch ausdrücklich gegen den Willen Betroffener bei der Polizei einzureichen.