Die arabische Frauenbewegung ist ein Motor des Fortschritts

Feministischer Frühling

Die feministischen Themen aus der Zeit des »arabischen Frühlings« sind zurückgedrängt worden. Dabei sind es gerade die Forderungen der Frauenbewegung nach Ideologiekritik und Säkularismus, die zu den größten Errungenschaften zählten.

Im Juni 2012 schrieb die ägyptische Feministin Mona Eltahawy: »Ja, Frauen überall auf der Welt haben Probleme, ja, die USA müssen noch ein weibliches Staatsoberhaupt wählen (…). Aber lasst uns die USA mal beiseite lassen. Nennt mir ein arabisches Land, und ich werde eine Litanei von Misshandlungen aufzählen, die durch eine Mischung aus Kultur und Religion angeheizt werden.«
Es war eine Stimme von Dutzenden arabischen Feministinnen, die kurz nach den Aufständen einen neuen Ton anschlugen. Weg von der Auseinandersetzung mit »dem Westen«, hin zu den eigenen Problemen. Nicht mehr der antiimperialistische Kampf und die Unterdrückung der Frau weltweit standen am Anfang der feministischen Argumentationen, um dann erst auf die spezifische miserable Lage an Ort und Stelle einzugehen.
Diese neuen Töne in der feministischen Debatte waren Ausdruck der allgemeinen revolutionären Stimmung. Erstmals kritisierten viele Menschen die Missstände der eigenen Gesellschaft, statt den äußeren, meist imaginierten Feind verantwortlich zu machen. Als die Brutalität der syrischen Diktatur gegen die eigene Bevölkerung offensichtlich wurde, benannten einige deutlich die Absurdität der bisherigen Debatten.
So schrieb Hussain Abd al-Hussain 2012 in der libanesichen Online-Zeitung Now Lebanon: »Palästina gab den arabischen Autokraten praktischerweise die Entschuldigung, jedem den Mund zu verbieten und die Tyrannei zu akzeptieren. Der ›arabische Frühling‹ hat das geändert. Jetzt hat jedes arabische Land seine eigenen Probleme, seine Toten, seine Verhafteten und die Aufgabe, seine Diktatoren zu stürzen, und eine Zukunft zum darüber Nachdenken.« Tariq Alhomayed schrieb in der Londoner Zeitung al-Sharq al- Awsat: »Wenn wir das Assad-Regime mit Israel vergleichen, entdecken wir das Ausmaß der Heuchelei in unserer Region, und eine ihrer Hauptquellen ist das Assad-Regime, Vater und Sohn, das auf der Lüge des Widerstandes (gegen Israel, Anm. d. Red.) gelebt hat.«

Etwas Ähnliches geschah in der feministischen Debatte. Auch hier waren Forderungen nach mehr Rechten für Frauen bisher stets nach einer oft kruden Herleitung der Missstände von Imperialismus und Israel erfolgt.
Mit dem »arabischen Frühling« fiel dieser ideologische Unterbau. Feministinnen prangerten sogenannte Ehrenmorde, mangelnde politische Beteiligung und sexuelle Übergriffe an und benannten das eigene patriarchale System als Ursache. Vor allem aber stritten sie auch um ganz konkrete Rechte. In Ägypten entstand eine breite Bewegung gegen sexuelle Belästigung. Eine ihrer Initiativen, die »Harass Map«, feierte jüngst ihr fünfjähriges Bestehen. Zu ihren Errungenschaften zählt nicht nur die Initiierung einer Debatte über sexuelle Belästigung, sondern auch ein neues Gesetz, das den Tatbestand eindeutig strafbar macht.
Doch jenseits dieser Initiative scheinen viele feministische Projekte eingeschlafen zu sein oder sich nur noch wenig mit Frauenrechten zu beschäftigen. Aus Revolutionen wurden Kriege oder Attentate schüren Angst vor deren Ausbruch. In Ägypten wurden einstige Revolutionäre eingesperrt und Kritik wird schärfer verfolgt als zuvor unter dem gestürzten Diktator Hosni Mubarak. Da erstaunt es wenig, wenn feministische Blogs vorrangig Freiheit für Aktivisten und ein Ende der Bomben auf die syrische Bevölkerung fordern oder sich mit Kurdinnen in der Türkei solidarisch erklären. Auch die Auseinandersetzung mit »dem Westen« hat wieder begonnen, allerdings in völlig anderer Qualität. Es geht nicht mehr um einen entfernten Feind, der abstrakt verantwortlich gemacht wird, sondern um das, was Frauen real begegnet, beispielsweise das, was man als »westliche« Diskurse in ihren Gesellschaften bezeichnet.
Anschaulich zeigt dies der Comic »al-Qahera«. Darin tritt die gleichnamige Superheldin auf, die Kopftuch, weites Kleid und Handschuhe trägt, also eine Kleidung, die man von einer Islamistin erwarten würde. Doch kämpft Qahera für Frauen­rechte und geht zuweilen brutal gegen Männer vor. In dem letzten, im Juli veröffentlichen Strip steht sie mit einer Freundin, die ohne Kopfbedeckung in Hose und T-Shirt gekleidet ist, in einem Café und hört zwei Männern zu. Der eine lamentiert über die vielen Kopftuchträgerinnen, die seiner Meinung nach Ausdruck von Rückschritt sind. Der andere widerspricht und zitiert das salafistische Argument, Frauen ohne Kopftuch seien wie Lollis ohne Plastikumhüllung, auf die sich Fliegen setzen. Schließlich haut Qahera auf den Tisch und brüllt die Männer an: »Frauen existieren nicht als periphere Objekte in eurem Universum. Sie sind weder Lollis noch Edelsteine. Sie sind menschliche Wesen. Unsere Entscheidungen sind nicht eure politischen Argumente.«
Die Künstlerin Dina Mohammed lässt die Superheldin hier ein über 100 Jahre altes Problem von Frauen in der sogenannten islamischen Welt benennen: Ihr Körper ist Hauptsymbol im politischen Diskurs. Männer reden über die Kleidung von Frauen, um ihre politische Meinung kundzutun – und zwingen Frauen die Kleidung auf, die ihre politischen Ansichten symbolisiert.
Dass die Superheldin ein islamisches Kostüm trägt, mag man absurd finden, doch gelingt genau dadurch die Entkoppelung von Politik und weiblichem Körper, die die Autorin einfordert. Ihre Botschaft ist eine andere als die von hajabis (Kopftuchträgerinnen) in westlichen Ländern, die behaupten, das Tuch sei Ausdruck ihres Feminismus, weil sie sich dadurch nicht als sexuelles Objekt preisgäben. Dina Mohammed weiß darum, dass Frauen mit Kopftuch und ohne zum Objekt gemacht werden.

Eine andersartige Auseinandersetzung mit »dem Westen« haben die Übergriffe in Köln hervorgerufen. Auf vielen arabischen Blogs mahnen gerade hier Angekommene, dass man Sexismus nicht mit Rassismus bekämpfen könne. Andere greifen aber auch die Haltung der deutschen und europäischen Linken an. So kritisiert die Algerierin Marieme Helie Lukas in der Online-Publikation »Secularism is a Women’s issue«: »Es scheint, als könne Europa nie irgendetwas von uns lernen. Wie kann man das Vorwärtsschreiten der Fundamentalisten in Europa ignorieren? Der brutale Angriff auf die Präsenz von Frauen im öffentlichen Raum am 31. Dezember ist nur eine Illustration davon. Die verzerrende eurozentrische Sichtweise verhindert, dass die Ähnlichkeiten zu dem, was in Nordafrika und im Nahen Osten geschehen ist, gesehen werden.«
Damit ist Lukas einen Schritt weiter als Mona Eltahawy, die in ihrem im vergangenen Jahr erschienen Buch »Warum hasst ihr uns so?« und etlichen Interviews betont, dass Frauen im Westen Frauen in muslimischen Ländern nicht helfen können. Eltahawys Erklärung war: »Das ist unser Kampf.« Lukas macht hingegen deutlich, dass die islamistischen Frauenverächter alle Frauen angreifen, im Westen wie im Osten. Ihr geht es nicht um hohle Phrasen der Frauensolidarität angesichts patriarchaler Unterdrückung weltweit. Mit ihrer Forderung »Lernt von uns« setzt sie selbstbewusst die arabischen Feministinnen an die Spitze einer noch zu schaffenden Bewegung, die einen konkreten Feind hat.