Flüchtlinge spielen in einem Berliner Projekt Fußball

Grenzenlos offensives Fairplay

Im Berliner Projekt »Champions ohne Grenzen« können Flüchtlinge Fußball spielen. Mittlerweile gibt es auch schon ein ­Frauen-Team.

Als die Spieler des Kreuzberger Fußballvereins FSV Hansa 07 Anfang der neunziger Jahre mit dem Slogan »Catenaccio gegen Rassismus« auf der Brust aufliefen, war die Stimmung in Deutschland der heutigen sehr ähnlich. Nun prangt der Spruch wieder auf den Trikots, als Erinnerung an den im vorigen Jahr verstorbenen Halla Tolksdorf, den Initiator dieser Kampagne.
Propagiert die FSV Hansa 07 hier dem Wortsinn nach also einen Sperrriegel, eine auf Konterchancen wartende Totaldefensive, so ist die spielerische wie politische Ausrichtung des Fußballprojekts für Refugees »Champions ohne Grenzen« (CHoG) klar als ein offensives Spiel für die sogenannte Willkommenskultur, Inte­gration und gemeinsamen Sportspaß zu betrachten. Hansa 07 machte vor vier Jahren auch die erste Platznutzung durch das Projekt möglich. Derzeit stellen die Kreuzberger Hanseaten eine ihrer Hallen als Notunterkunft zur Verfügung. Trotz erheblicher Einschränkungen für den Spielbetrieb wird, statt zu murren, kräftig mit angepackt. Die Ü18 von CHoG trainiert jeden Mittwoch auf dem liebevoll »Wrangelritze« genannten Fußballplatz an der Kreuzberger Wrangelstraße.
Carolin Gaffron erzählt in einem Frühstückscafé im Berliner Stadtteil Wedding von dem von ihr mitinitiierten Projekt. Die 33jährige ist gebürtige Berlinerin, spielt seit ihrem elften Lebensjahr aktiv Fußball, studiert Soziokulturelle Studien mit Schwerpunkt Migration und Integration und ist Trainerin des Kreuzberger Mixed-Teams und des Frauen-Teams der Champions.
Seit 2012 gab es das Projekt CHoG als Teil von »Weil Fußball verbindet! e.V.«, seit 2014 sind die Champions ohne Grenzen ein eigenständiger Verein. Mittlerweile bekommen alle Trainer und Trainerinnen immerhin eine sogenannte Übungsleiterpauschale ausbezahlt. Crowdfunding bei betterplace.org, Solipartys, Spenden und Förderungen machen das möglich und sorgen für kontinuierliches Arbeiten, zumindest was die Coaches angeht.
Bei den Spielern und Spielerinnen herrscht dagegen eine relativ hohe Fluktuation. »Leider überschneiden sich die Trainingszeiten mit den Zeiten der Integrationskurse, die ausschließlich von 15.30 bis 17 Uhr angeboten werden.«, sagt Gaffron. Das sei einer der Gründe, warum es zurzeit vor allem Afghanen sind, die zum Training in Kreuzberg, Wedding und Spandau erscheinen, und nicht mehr so viele Menschen aus Syrien oder Eritrea, zwei der Länder, deren hierher geflohene ehemalige Bewohner das Recht auf Teilnahme an einem der begehrten Kurse haben. Da beim Training in erster Linie Deutsch gesprochen wird, lernen die jungen Männer aus Afghanistan auch beim Training etwas von der hiesigen Landessprache. Hier erfahren sie auch, dass sie Deutschkurse besuchen dürfen, nur eben nicht die offiziellen Integrationskurse. Die Teams der Verantwortlichen von CHoG, die meist aus Coaches, Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen und einer sprachmittelnden Person bestehen, organisieren dann gerne einen solchen, meist von Ehrenamtlichen angebotenen Deutschkurs, was die Heime offenbar nicht schaffen.
Ein Vereinswesen deutscher Prägung, das auch den Breitensport organisiert, ist den meisten Spielerinnen und Spielern bisher unbekannt gewesen. In ihren Herkunftsländern wurde meist Straßenfußball gespielt. Die eigenständige Kontaktaufnahme mit einem Verein ist für sie eher schwierig, die Champions sehen sich hier als Vermittler. Etliche Aktive konnten bereits erfolgreich an Berliner Vereine weitergeleitet werden. Manche haben es in den re­gulären Spielbetrieb des Berliner Fußballverbandes geschafft. So spielt Fidele Nikam mittlerweile für den Köpenicker SC in der Berlin-­Liga – die Champions selbst können am Liga-Spielbetrieb nicht teilnehmen. Viele der Aktiven dürfen allerdings wegen ihres ungeklärten Status keinen Spielerpass erhalten. Dies sei zwar teilweise schon leichter geworden, berichtet Gaffron, da die Bestimmungen der Fifa aber vom DFB strikt umgesetzt würden, sei es doch oft unmöglich, die ersehnte Spielberech­tigung zu erhalten. Hier müssten dringend bürokratische Hürden abgebaut werden, um eine spielerische Integration, wie beim gemeinsamen Fußball, möglich zu machen.
Bei den Champions wird Fairplay schon deshalb großgeschrieben, um der drohenden Warteschlange vor dem Lageso zu entgehen. Da es immer noch keine Gesundheitskarte für Geflüchtete in Berlin gibt, kann und möchte sich niemand eine Verletzung leisten – weder im Training noch bei einem der zahlreichen Freundschaftsspiele oder bei kleinen Turnieren, wie dem jährlich eigens organisierten Kick Out Racism Cup in der Wrangelritze oder bei den Respect Gaymes im Jahnsportpark.
Dass Frauen Männer trainieren, sei für die meisten Neulinge ungewöhnlich, werde aber dann erstmal »als in Deutschland offenbar normal wahrgenommen«, sagt Carolin Gaffron. »Später, wenn sie merken, dass das hierzulande nicht die Regel ist, sind die meisten irgendwie stolz auf die Trainerinnen und deren Vorbildfunktion.« Übergriffigkeiten oder offenen Sexismus habe sie in den vergangenen vier Jahren hier nicht mitbekommen.
Die Frauenmannschaft von CHoG besteht seit ungefähr eineinhalb Jahren und freut sich über die Förderung durch die Jugend- und Familienstiftung Berlin. Zurzeit kommen freitags ungefähr zehn Frauen zum wöchentlichen Training der »Ladies« in Mitte. Etwa die Hälfte hat bereits in den Herkunftsländern erste Fußball­erfahrungen gemacht, die andere Hälfte kommt aus Neugier und auf der Suche nach Bewegung und Freizeitbeschäftigung. Auch hier ist der Durchlauf groß. Schwangerschaften, In­tegrationskurse, die Aufnahme einer regulären Arbeit oder einfach die Feststellung, dass Fußball doch nicht das Richtige ist, verursachen Fluktuation.
Die Trainerinnen und ehrenamtlichen Helferinnen, die normalerweise auch mitspielen, sorgen, wenn nötig, für Kinderbetreuung am Spielfeldrand oder helfen beim üblichen Ärger mit dem Jobcenter oder bei der Wohnungssuche. Das fußballerische Niveau ist bisher noch nicht vergleichbar mit dem der »Mixed-Teams«, bei denen, entgegen dem Namen, ­außer den einheimischen Helferinnen kaum Frauen mitspielen. »Es kamen zwar gelegentlich ein bis zwei, die waren dann aber meist auch nur mal schauen«, sagt Caro, »die meisten Frauen trauen sich das Fußballspielen mit Männern einfach nicht zu, so was machen meist nur geübte Fußballerinnen wie ich und meine Kolleginnen.«
Das war dann auch der Grund, ein eigenes Team zu gründen. Ein Schutzraum sei nötig, in dem die Frauen sich ohne Zuschauer erst einmal ausprobieren können, denn Fußball sei halt doch noch eine Männerdomäne, und dies in den Herkunftsländern der Frauen meist noch viel mehr als hier.
Die Hälfte des Trainings besteht daher auch aus Übungen, die in erster Linie Körper- und Ballgefühl trainieren und einen Einstieg auch für Anfängerinnen möglich machen. Für das Training in der kleinen Halle stoßen die beiden Trainerinnen gerade an den Rand der räumlichen Kapazität. Zum Beginn der kommenden Rasensaison würden sie sich aber durchaus auf neue fußballbegeisterte »Ladies« freuen, um ein dauerhaft spielfähiges Kleinfeldteam zu etablieren. Bei den männlichen Kollegen gibt es hingegen so viel Interesse, dass in erster Linie auf noch mehr Vermittlung an interessierte Vereine gehofft wird.
Bisher sind Kooperationspartner in der Regel Vereine wie Hansa oder der FC Interna­tionale. Aber auch Hertha BSC und der SC Siemensstadt kooperieren in einem Projekt für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, die nun in der Spandauer Siemensstadt regel­mäßig trainieren.
Beim SC Siemensstadt waren die CHoG am Sonntag zum Hallenturnier in die Günter-Maiwald-Halle eingeladen. Mit grenzenlos offen­sivem Fairplay erkämpfte sich das Team CHoG Spandau in hellblauen Trikots im letzten Spiel mit einem 3:0 gegen SG Stern 66 einen respektablen vierten Platz. Die Tore schossen Mahdi, Farhad und Jalal. Das deutsche Nationaltrikot brachte den Weddinger Kollegen wenig Glück, sie verloren ihr letztes Spiel gegen Steglitz Gençler Birliği knapp mit 1:2 und belegten so den letzten Rang. Jedoch gab es begehrte Trostpreise: Neben den verliehenen Medaillen durften sich die Kicker mit Hertha-Star Mitchell Weiser fotografieren lassen.