Ein Fußballverein in der Türkei gilt als Symbol des kurdischen Widerstands

Spielen gegen die Mehrheit

Ein Verein aus Diyarbakır sorgt derzeit im türkischen Pokal für Sensationen. Der türkische Fußballverband reagiert mit harten Strafen.

Der Pokal hat seine eigenen Gesetze, heißt es. Das zeigt sich auch dieser Tage wieder im türkischen Cup, dem Türkiye Kupası. Um Fußball geht es dabei allerdings nur zum Teil, denn der Verein Amed SK ist längst zum Symbol des Widerstands in den Kurdengebieten geworden.
Gegründet wurde der Club 1990 in Diyarbakır im Südosten der Türkei. Der Drittligist ist derzeit der erfolgreichste Verein in der kurdischen Metropole. Vor allem im Pokal wachsen die Spieler in dieser Saison regelmäßig über sich hinaus. Schon dass sie die Gruppenphase überstanden und dabei unter anderem den Zweitligisten Şanlıurfaspor aus dem Wettbewerb beförderten, war ein großer Erfolg. Als Amed dann aber im Achtelfinale den Erstligisten und Meister von 2010, Bursaspor, mit 2:1 besiegte, war eine Sensation. Im Viertelfinale geht es nun gegen Vizemeister Fenerbahçe, das Hinspiel endete nach 2:1 Führung für den Istanbuler Großclub 3:3. Das Rückspiel findet am 2. März am Bosporus statt.
All das jedoch würde wohl nur halb so viel Aufregung verursachen, wenn der Amed SK nicht ausgerechnet aus Diyarbakır wäre. Schon der Name des Clubs ist eine klare politische Botschaft, denn Amed heißt die Stadt auf kurdisch. In Zeiten, in denen in weiten Teilen der türkischen Kurdengebiete Zustände herrschen, die mit dem Wort Bürgerkrieg noch recht vorsichtig beschrieben wären, ist für viele dort jedes Tor, das der Amed SK gegen die großen Erstligaklubs erzielt, ein Symbol des Widerstands.
Der unumstrittene Star des Teams spielte früher bei St. Pauli. Deniz Naki durfte allerdings nicht gegen Fenerbahçe auflaufen – kurz zuvor war er vom Türkischen Fußballverband gesperrt worden und das gleich für zwölf Spiele, weil er nach dem Sieg gegen Bursaspor »Wir widmen diesen Sieg den Menschen, die in den 50 Tagen der Unterdrückung getötet oder verletzt wurden« auf Facebook gepostet hatte. »Separatistische und ideologische Propaganda« nannte der Verband dieses Statement.
Es ist nicht das erste Mal, dass Naki es gut meint und dann für seine Naivität bestraft wird. Bereits als Spieler des FC St. Pauli, bei dessen Fans er noch heute beliebt ist wie kaum ein anderer ehemaliger Spieler der vergangenen Jahre, war er kritisiert worden. In Rostock hatte er 2009 nach einem Tor beim Jubeln eine Kopf-ab-Geste in Richtung Hansa-Fans gemacht und war dafür vom Verband für drei Spiele gesperrt worden. Er selbst verteidigte sich damit, dass er zuvor rassistisch beleidigt worden sei. Außerdem hatte er nach dem Abpfiff, als die St. Paulianer ihren Auswärtssieg feierten, eine Fahne in den Vereinsfarben in den Rostocker Rasen gerammt. Kenner des türkischen Fußballs werden dabei vielleicht an Galatasarays schottischen Trainer Graeme Souness gedacht haben, der 1996 nach dem Pokalsieg gegen den Lokalrivalen Fenerbahçe eine ganz ähnliche Aktion vollbrachte und dafür von den Fans des Vereins noch heute geliebt wird. Doch auch diejenigen Anhänger des Hamburger Kiezclubs, die diese Geschichte nicht kannten, werden Naki spätestens in diesem Moment ganz tief in ihr Herz geschlossen haben. Dass man ihn seither in Rostock nicht sehr mag, ist hingegen auch klar.
In Diyarbakır jedoch geht es um mehr als nur die längst zu Folklore gewordene Rivalität zweier deutscher Nordclubs, es geht um einen seit Generationen schwelenden und immer wieder blutig ausgetragenen Konflikt. Es geht um den türkischen Nationalismus und um die neoosmanischen Großmachtträume Recep Tayyip Erdoğans. Schon dass Naki »Azadî«, das kurdische Wort für »Freiheit«, auf den Unterarm tätowiert hat, würde ausreichen, ihn in den Augen türkischer Nationalisten zum Feindbild zu machen. Dass er es auch noch wagt, von »Unterdrückung« zu sprechen, könnte ihm weit Schlimmeres als bloß ein paar Spiele Sperre einbringen.
Naki weiß, wie gefährlich es ist, in der Türkei zugunsten der Kurden Stellung zu beziehen. Im Herbst 2014, damals spielte er gerade für den Erstligisten Gençlerbirliği aus der Hauptstadt Ankara, hatte er sich öffentlich solidarisch erklärt mit den Menschen in der vom »Islamischen Staat« (IS) belagerten syrisch-kurdischen Stadt Kobanê. Daraufhin wurde er in sozialen Medien angefeindet und schließlich sogar auf offener Straße angegriffen. Rückendeckung vom Verein erhielt er nicht. Naki bat um Auflösung seines Vertrags. Ein Dreivierteljahr später spielte er bei Amed in Diyarbakır.
Wenn deutsche Medien Nakis Äußerung einen »Aufruf zum Frieden« nennen, dann ist das eine Sichtweise, die in der Türkei wohl nur eine Minderheit teilen würde. Weitaus verbreiteter ist die Ansicht, dass die Aggression primär, wenn nicht ausschließlich von den Kurden ausgehe und die türkischen Sicherheitskräfte lediglich für Recht und Ordnung sorgen würden. Man darf nicht vergessen, dass bei den Wahlen in der Türkei im November knapp 50 Prozent für Erdoğans AKP, weitere zehn Prozent für die rechtsextreme MHP gestimmt haben. Die prokurdische HDP hin­gegen hat außerhalb des Südostens der Türkei nur in den Großstädten Istanbul und ­Izmir ein Ergebnis oberhalb der Wahrnehmungsgrenze erzielt. In Diyar­bakır hingegen holte sie 71 Prozent der Stimmen.
Bereits die Wahlergebnisse zeigen, wie tief der Graben zwischen den Kurdengebieten im Südosten und dem Rest der Türkei ist. Doch auch im Fußball scheint er fast unüberwindbar, wie jüngst auch Deniz Naki im Gespräch mit Deniz Yücel von der Welt berichtete. »Wir haben nicht nur gegen Bursaspor gespielt, sondern gegen die Medien, den Verband, den Staat«, erzählt der 26jährige, der ursprünglich aus Düren in Nordrhein-Westfalen stammt. Immer wieder würden sie als »Vaterlandsverräter« und »PKK-Terroristen« beschimpft. Außerdem brächten Fans vieler Vereine ausgerechnet zu Spielen gegen Amed SK Türkei-Fahnen mit, die sie sonst zu Hause ließen, meint Naki. Dass es ihnen dabei nicht um Fußball geht, dürfte offensichtlich sein.
Beim Heimspiel gegen Fenerbahçe allerdings blieb es ruhig im Seyrantepe-Diski-Stadion. Sehr ruhig sogar. Am lautesten zu hören waren die Kampfjets vom Typ F-16, die über das Stadion flogen. Das Stadion hingegen war leer. Der Verband hatte den Verein mit einer Platzsperre belegt. Wegen »ideologischer Propaganda« in Form von Fangesängen, wie es hieß. Der frühe Anpfiff um 13 Uhr Ortszeit an einem Dienstag, der es vielen nicht einmal möglich machte, das Spiel im Fernsehen zu verfolgen, wirkte vor diesem Hintergrund ebenfalls wie eine Strafe.
Einige Fans von Amed SK, darunter auch Ultras der Gruppe Barikat, versammelten sich dennoch außerhalb des Stadions, um von dort aus ihr Team anzufeuern. Dann kam die Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern und vertrieb sie – teilweise live übertragen von den Fernsehkameras, die gar nicht anders konnten, als das Geschehen jenseits der flachen Tribüne des kleinen Stadions mit ins Bild zu bekommen.
Im Stadion selbst präsentierten die Spieler von Amed ein Spruchband, auf dem sinngemäß übersetzt »Kinder sollen nicht sterben – sie sollen zum Spiel kommen« stand. Auch Spieler von Fenerbahçe betei­ligten sich an der Aktion. Vielleicht also sind die Gräben doch nicht gänzlich unüberwindbar in der Türkei. Als die Spieler von Amed nach dem Anpfiff aus Protest 24 Sekunden lang regungslos, den Blick auf die Haupttribüne gerichtet, verharrten, hielten die Gäste den Ball in den eigenen Reihen und griffen nicht an.