Rassistische Projektionen in der Debatte über Sexismus

Die falschen Männer am falschen Ort

Sexualität, rassistische Projektion und dann noch der Islam – unterm Patriarchat über Köln zu diskutieren, das konnte ja nur schief gehen.

Der gesellschaftliche Schaden, der durch den Sturm der Entrüstung in den Kommentarspalten angerichtet worden ist, ist nicht zu quantifizieren. Faktisch verkleinert er nicht nur die Handlungsräume von Personen, die in das bequeme Täterbild passen, sondern auch die von Frauen. Wenn Simone Schmollack in der Taz frohlockt, dass man jetzt endlich von Vergewaltigung betroffenen Frauen den Gang zur Polizei raten könne, weil »das jetzt anders ist«, gleichzeitig aber ihre Geschlechtsgenossinnen dazu aufruft, nicht sofort Anzeige zu erstatten, weil sich jemand »mal im Ton vergreift«, dann ist das nur ein Hinweis von vielen, dass auch das feministische Establishment die vergangenen sechs Wochen nicht überstanden hat, ohne dass es durch das sowieso schon löchrige Dach nun vollends hineinregnet.
Doch nicht nur die Linksliberalen, die durchaus zu Recht gegen die Flut an Scheiße ankämpfen, die sich seit Neujahr über Personen ergießt, die nicht als deutsch gelten, drehen in ihren Projektionsleistungen völlig frei. Was den Rest an den Übergriffen von Silvester vornehmlich zu stören scheint, ist, dass sie von den falschen Männern am falschen Ort verübt wurden. Der Mob, der sich auch jetzt nicht ir­ritiert darin sehen wird, bei jeder Schweinerei gegen Frauen und ihre Rechte mitzumachen, will die bei sich selbst stets unter den Teppich ge­kehrten Zustände der Sexualkultur – wie immer – an demjenigen Feind vermeintlich bekämpfen, den er eh schon stets bekämpft hat. Wenn Jus­tizminister Heiko »Nein heißt vielleicht Ja« Maas die Kölner Attacken Anfang Januar nicht ohne Faszination »dreist« genannt hat, liegt das auf der von der Mehrheit praktizierten Linie, sich für die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen nur so lange zu interessieren, wie sie nicht von der »richtigen« Männlichkeit, etwa der von einer irgendwie »guten alten Schule«, ge­brochen wird. Seinen Kabinettskolleginnen entgegnete er im Zuge der ­Debatte über die noch immer ausstehende Reform des Vergewaltigungs­paragraphen bekanntermaßen, sie sähen das Problem »zu weiblich« – sie bestanden nämlich auf der Richtschnur »No means no«.
Wenn es wieder einmal eine Debatte über »Sextäter« gibt, ist kaum jemand in der Lage, ein ethisches Urteil zu fällen, weil in Fragen von Geschlecht, Sexualität und Gewalt sowieso nur über Ästhetik diskutiert wird – über die bessere Männlichkeit, über den besseren Stil –, von Konsensualität ganz zu schweigen. Unsere Sexualkultur ist durchzogen von Abwehrmechanismen, die jede Politisierung des Sexuellen konsequent unterbinden. Diesem Volksempfinden ist dasselbe fiese Angela­bere von der Seite oder aus der Gruppe, derselbe sexualisierte Kommentar auf einem Bahnhofsvorplatz ein Skandal, der in der Diskothek nicht bloß hingenommen, sondern ins positive weibliche Selbstbild eingebaut werden soll. Wohlgemerkt hinter der Tür, an der die »Schwattköppe« zuvor ausgesiebt worden sind. Das Feld, das die anständigen Kartoffeln unter anderem den »Nafris«, wie dem Kölner Express zufolge Männer mit nordafrika­nischem Aussehen von der Polizei nun genannt werden, schon länger zur Frauenjagd überlassen haben, ist nicht denkbar ohne die Tatsache, dass eben diese weißen Typen sofort zu Spitzenleistungen aufdrehen, ist der Raum nur halböffentlich. Man ist ja kein »Asi«. Das gilt übrigens eingeschränkt auch für linke Kreise. Im Grunde war die Post-Köln-Debatte daher eine fiktive Unterhaltung unter verschiedenen Männern, in der die Fähigkeit, nur ausreichend verfeinerten Zwang zur Gewinnung der Kontrolle übers sexuelle Objekt zu gewinnen, zum Prüfstein der Integrierbarkeit geworden ist.
Dem Kampf gegen diese Rassisierung eines sozialen Problems untergräbt aber unter anderem mangels eines Begriffs von Rassismus (ersetzt durch bloße »Erfahrungen«) das Verständnis dessen, welche Bedeutung hinter der für Deutschland tatsächlich neuen Form des kollektiven Sexualgewaltrausches im öffentlichen Raum steckt. Dass er der ethnizistischen Zusammenrottung bedurft hat, um eine implizite Verständigung über Tatplan und Opfer zu erreichen, deutet hinreichend darauf hin, dass die ins Auge stechende Signifikanz der Attacken vor allem im sexualkulturellen Hintergrund wurzelt, den der Islam bildet. Nicht nur Maas’ Vermutung, hinter den Taten müsse Verabredung und Organisation stecken, zeigt aber, dass, wenn schon über den Islam gesprochen wird, der Zusammenhang mit der Sexualität unverstanden bleibt. Es ist nicht ausschließlich der im Islam fixierte »Frauenhass«, der dazu ermächtigt und motiviert, »Schlampen« mit der Lust zu strafen, die sie bei den eigenen Trieben unterlegenen Männern auslösen, sondern dies ist eben auch der Unfähigkeit des Islam geschuldet, dasjenige Territorium kulturell wirklich zu beherrschen, das er politisch prägt, also ein Ende der sexuellen Gewalt durch seine jeweiligen Sittlichkeits- und Schamimperative an die Geschlechter zu erreichen. Die Selbstbezichtigung, das Unrecht gegen Frauen abgeschafft zu haben, zieht sich durch die islamische Literatur. Wenn Vertreterinnen dieser Religion nun entrüstet zu Protokoll geben, dass der Islam solche Taten doch »ausdrücklich« verbiete, stellen sie unter Beweis, dass sie ebenso weit entfernt sind von einem Verständnis sexualpsychologischer Dynamiken wie die deutsche Mehrheit und ihre Öffentlichkeit. Entsprechend zieht sich die Selbstbezichtigung, das Unrecht gegen Frauen historisch abgeschafft zu haben, durch die islamische Literatur. Es sind die gesellschaftlichen Widersprüche, die sich in den Individuen zeigen, und bei Männern ­dafür sorgen, dass diese nach unten aggressive Sexualität, nach oben aber sexuelle Aggression für Frauen übrig haben, mit Islam oder ohne.
Leider ist momentan sinnvoll nur innerhalb von ideologiekritischen Strömungen über die spezifische Rolle des Islam zu diskutieren, weil die Rassisierung der ­Misogynie gegenwärtig so heftig ist, dass ich entschieden davon abraten würde, damit auf die große Bühne zu ziehen – was freilich ge­wisse antifeministische Ideologiekritiker nicht davon abhalten wird, es trotzdem weiterhin zu tun, weil sie der Schaden an Frauen und Nichtweißen weitestgehend nichts angeht und sie Taktiererei nur deswegen gänzlich für ablehnenswert halten, da sie sich dem täglich wütenden Krieg zu entziehen vermögen.
In hiesigen muslimischen Kreisen gehört die Antilope, die man dem ­Löwen nicht vorwerfen dürfe, zu den obligatorischen Erziehungsbotschaften. Über die herrschende familiäre Gewalt in der Community machen auch »wir« uns noch kaum ein Bild, aber der Hijab ist auch »nur« die zu Gegenstand und Tat geronnene same old story des erdumspannenden Pat­riarchats, das schon immer und überall Frauen die Verantwortung für sexuelle Gewalt gegen sie zugeschrieben hat und deren westeuropäische Version in der Armlänge Abstand oder im berühmten zu kurzen Rock ebenfalls zuverlässig dafür sorgt, dass schon morgen die Betroffene die ihr angetane Grenzverletzung nicht nur verschuldet, sondern auch irgendwie selbst gewollt haben muss. In der Differenz zwischen den Kleidungsgeboten lässt sich zwar die Signifikanz ablesen, mit der die sexuellen Zumutungen unter islamischer Prägung diejenigen unter westeuropäischer übersteigen – aber als eine Frage von Grautönen. Wenn muslimische Männer doppelt oder dreifach so häufig sexuell straffällig würden wie Nichtmuslime, wie von manchen Nicht-Muslimen herbeiphantasiert wird und das zur entscheidenden Differenz gemacht wird, ist die Tatsache, dass die Differenz zwischen Männern und Frauen (im Hellfeld) etwa beim Faktor 100 liegt, längst als Naturkonstante akzeptiert. Der Ekel, den aufrichtig empfinden muss, wer (mit zum Allgemeinen fähiger Außenperspek­tive) muslimischen Frauen einmal intim zuhören darf, hängt daher auch vom Standpunkt und der unterstellten Norm ab. Er ist ein Gefühl, kein Urteil.
Die sexualkulturellen Zumutungen sind in den vergangenen Wochen schlimmer geworden. Welcher es um Wahrheit geht, die auch ein Leben im Hier und Jetzt beansprucht, die vermeidet den Kurzschluss von Sexualgewalt, rassisierten Tätern und Islam. Natürlich ist auch heute noch meist davon abzuraten, eine Vergewaltigung anzuzeigen. Die Vehemenz, mit der Zeitungen in diesen Wochen die Strafbarkeit von sexueller Belästigung und Übergriffen herbeigeschrieben haben (und das stellt einen Skandal für sich dar), spricht nur dafür, dass strafbar sein musste, was diese Maghrebiner da getan haben. Diejenigen, die sich darüber so sicher waren, denken aber im Traume nicht daran, sexuelle Belästigung, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung nicht nur differenziert zu diskutieren, sondern sie in ihrer Rolle als Souverän überhaupt (sinnvoll) zu inkriminieren. Und darin steckt schon die ganze Heuchelei des deutschen Anstandes, der nicht einmal Einigkeit mit sich darüber erzielen wollte, dass Rainer Brüderle eine Journalistin belästigt hat.