Sozialdemokratische Proteste gegen Flüchtlinge

Kein Asyl im Norden

Mit der AfD hat auch die SPD neue Konkurrenz bekommen. Mancher Sozialdemokrat ist empfänglich für Propaganda gegen Flüchtlinge.

Essen ist eine gespaltene Stadt. Der Süden ist reich. Hier liegen Villenviertel wie Bredeney, hat in Werden die renommierte Folkwang-Universität der Künste ihren Hauptsitz und bevölkern die Hipster im schicken Rüttenscheid die Lokale. Im Norden, in Stadtteilen wie Altenessen, Karnap und Katernberg, ist die Arbeitslosigkeit hoch, bestimmen heruntergekommene Siedlungen und Industriebrachen das Bild. Einzig die für weit über 100 Millionen Euro ausgebaute und zum Weltkulturerbe ernannte Zeche Zollverein bringt ein wenig Glanz in die tristen Quartiere. Der Essener Norden war immer eine Hochburg der Sozialdemokraten. Früher, als es hier noch Fabriken und Zechen gab, verschafften die Arbeiter der SPD Wahlerfolge mit über 50 Prozent der Stimmen und immer noch haben hier die Ortsvereine mehr Mitglieder als im Süden der Stadt, wo CDU und Grüne Erfolge feiern. In dem alten Arbeiterquartier wehren sich Sozialdemokraten seit kurzem gegen die Unterbringung von Flüchtlingen. Ende Januar riefen die Ortsvereine Altenessen-Karnap und Vogelheim unter dem Motto »Genug ist genug, der Norden ist voll!« zu einer Demonstration auf. Ein sozialdemokratischer Ortsfürst träumte gar davon, einen zentralen Verkehrsknotenpunkt zu blockieren.
Als auch rechte Gruppen den Demonstrationsaufruf verbreiteten und das Vorhaben der SPD-Mitglieder bundesweit bekannt wurde, griff die nordrhein-westfälische Parteiführung ein und sorgte dafür, dass die Demonstration abgesagt wurde. Doch gaben die Sozialdemokraten aus dem Essener Norden nicht auf. Als Privatpersonen, nicht als Parteifunktionäre, gründeten sie die Initiative »Auch der Essener Norden hat ein Recht auf Zukunft« und handelten aus, dass mehr Flüchtlinge künftig im Süden der Stadt angesiedelt werden – wo allerdings grünkonservative Naturschützer gegen den Bau von Unterkünften protestieren, angeblich jedoch ohne gegen Flüchtlinge zu sein.
Was deutlich wird: Die SPD hat in der Flüchtlingsfrage ein Problem mit manchen Mitgliedern und Wählern. Während immerhin 33 Prozent der Anhänger der Union einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest-Dimap zufolge glauben, dass die Bundesregierung die Flüchtlingssituation im Griff habe, sind es bei den Anhängern der SPD nur 17 Prozent. Am 13. März wird die SPD die Vorbehalte gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und den Aufstieg der »Alternative für Deutschland« (AfD) allen Umfragen nach stärker zu spüren bekommen als die Union. In den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz gilt der Einzug der AfD als sicher. In Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg drohen der SPD bittere Verluste. Die Aussichten für die CDU sind hingegen besser.
Dass es die SPD und nicht die CDU ist, die unter dem Aufstieg einer zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus changierenden Partei am stärksten leiden würde, dürfte der SPD-Führung klar sein und erklärt ihr Schwanken in der Flüchtlingspolitik, in der sie immer wieder die Bundeskanzlerin und die CDU von rechts angreift. In etlichen europäischen Staaten gelang Parteien wie dem Front National und der FPÖ der Aufstieg, weil sie auch unter der Klientel der Sozialdemokraten Stimmen gewinnen konnten. Sowohl in Frankreich als auch in Österreich hat die Wählerschaft der rechtsextremen Parteien den höchsten Arbeiteranteil. Die Sozialdemokraten haben sich an das grüne Bürgertum angenähert und Wirtschafts- und Arbeitnehmerpolitik als ihre politischen Kernbereiche aufgegeben. Nun haben sie in der gesellschaftlich existentiellen Frage des Umgangs mit dem grassierenden Rassismus kaum noch genug Einfluss auf ihre Stammwähler, um sie von einer auch nur moderaten Flüchtlingspolitik überzeugen zu können. So droht die SPD zwischen denen, die reaktionäre proletarische Milieus an sich binden können, und den Christdemokraten und Grünen zerrieben zu werden.