Präsident Evo Morales verliert Rückhalt in der bolivianischen Gesellschaft

Präsident unter Druck

Der bolivianische Präsident Evo Morales verliert an Popularität. Eine knappe Mehrheit stimmte gegen eine Verfassungsänderung, die dem Staatsoberhaupt drei Amtszeiten hintereinander ermöglicht hätte.

Am Sonntag konnten die Bolivianerinnen und Bolivianer über eine Verfassungsänderung entscheiden, die es dem Präsidenten und seinem Stellvertreter ermöglichen sollte, nicht wie bisher für maximal zwei, sondern für bis zu drei aufeinander folgende Amtszeiten regieren zu können. Dass Präsident Evo Morales und sein Vize Álvaro García Linera trotz der derzeit noch geltenden Regelung bereits in ihrer dritten Amtszeit regieren, liegt daran, dass bei der Verfassungsreform von 2009 frühere Amtszeiten explizit von der Zählung ausgenommen worden waren. Auch bei der Verfassungsänderung, über die nun entschieden wurde, sollten vergangene Amtszeiten nicht gezählt werden. Doch nach ersten vorläufigen Ergebnissen hat eine knappe Mehrheit gegen die Änderung gestimmt.
Entscheidend für den Ausgang des Referendums dürften die Ereignisse in den vergangenen Tagen gewesen sein. Es begann mit Enthüllungen über eine Beziehung des Präsidenten zu einer jungen Frau. Morales gab schließlich in einer öffentlichen Stellungnahme zu, er habe eine Beziehung mit der heute 28jährigen Gabriela Zapata gehabt, aus der 2007 ein Sohn hervorgegangen sei, der kurze Zeit später verstorben sei. Danach, so Morales, habe er den Kontakt zu Zapata verloren.
Es darf bezweifelt werden, dass dies schon die letzte Version der Geschichte ist, denn wenig später wurden Fotos verbreitet, auf denen Morales und Zapata beim Karneval 2015 gemeinsam zu sehen sind. Morales erklärte daraufhin, »diese Frau« habe sich ihm genähert, er habe sie aber nicht erkannt, obwohl sie ihm »bekannt vorgekommen« sei. Zapata jedenfalls wurde nach dem angeblichen Ende ihrer Beziehung zu Morales zu einer erfolgreichen Geschäftsfrau. Derzeit ist sie in leitender Position beim bolivianischen Tochterunternehmen des chinesischen Baukonzerns CAMC tätig. Dieses erhielt in den vergangenen Jahren bolivianische Staatsaufträge im Wert von über 500 Millionen US-Dollar, für Vorhaben wie den Bau von Anlagen zur Zuckerverarbeitung und Lithiumförderung bis hin zur Errichtung von Bahntrassen. Die Beteiligung Zapatas am Unternehmen CAMC als kaufmännische Geschäftsführerin, noch dazu mit zweifelhafter fachlicher Qualifikation, legt den Verdacht auf Cliquenwirtschaft nahe.
Angesichts dieser Anschuldigungen reagierte die Regierung nervös und die Situation in Bolivien verschärfte sich immer weiter, bis am 17. Februar ein Bürogebäude des von der Opposition regierten Rathauses der Millionenstadt El Alto von Demonstranten angegriffen und angezündet wurde. Einigen Mitarbeitern gelang es, auf das Dach flüchten, doch sechs Menschen konnten dem Rauch nicht mehr entkommen und starben im brennenden Gebäude. Polizei und Feuerwehr griffen erst nach Stunden in das Geschehen ein. Obwohl unter den Anführern der Angreifer recht schnell Unterstützer der Regierungspartei identifiziert worden waren, sprach ein Staatssekretär von einem »Selbstattentat«, das die Bürgermeisterin angeblich gegen ihre eigenen Leute organisiert habe. Es war nicht das erste Mal, dass Polizei oder Justiz sich beim Vorgehen gegen Angriffe auf Oppositionelle auffällig zurückhielten. Diese Ereignisse und die Affäre um Zapata und CAMC, die im Unterschied zu vorherigen Korruptionsskandalen direkt die Person Evo Morales betrifft, dürften für viele Bolivianer den Ausschlag gegeben haben, ihrem Präsidenten, den sie drei Mal mit absoluter Mehrheit gewählt hatten, diesmal dieUnterstützung zu entziehen.
Die Gründe, weshalb Morales bisher einen so starken Rückhalt in der Bevölkerung genossen hatte, liegen unter anderem in der für Bolivien beachtlich langen Phase wirtschaftlichen Wachstums während seiner Präsidentschaft, von dem, anders als unter seinen Vorgängern, große Teile der Bevölkerung profitierten. Trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung wird Morales jedoch ein schwieriges politisches Erbe hinterlassen. Durch die skrupellose Bekämpfung von Kritikern einerseits und die Aufnahme ehemaliger politischer Gegner in die eigenen Reihen andererseits ist es ihm und seinen politischen Weggefährten gelungen, ihre Macht so weit zu festigen, dass die verbliebenen Reste der rechten Opposition nur noch wenig Zulauf haben und eine linke Alternative derzeit noch weniger in Sicht ist.
Die Chance, die ethnische Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, wurde kaum genutzt, weil der neue »plurinationale Staat« versucht, die Bevölkerung wieder in ein ethnisches Raster einzuordnen, das eher dem kolonialistischen Blick auf »indigene Völker« entspricht als der bolivianischen Lebenswirklichkeit, die von Binnenmigration und der ständigen Veränderung ethnischer, sozialer und kultureller Zugehörigkeiten geprägt ist. Außenpolitisch wurde ein streng »antiimperialistischer« Kurs gefahren, inklusive bester Beziehungen zu Venezuela und dem Iran und Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum »Terrorstaat« Israel. Die politische Folklore vom Schutz der Pachamama, der Mutter Erde, wirkt angesichts des auf Öl- und Gasförderung sowie Bergbau beruhenden Wirtschaftsmodells wenig glaubwürdig. Vor etwa zwei Jahren kündigte Morales sogar die Nutzung von Atomenergie an.
Beim Thema der Geschlechtergleichstellung schließlich lässt sich zunächst feststellen, dass sich die Regierungen der Partei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) durch einen hohen Frauenanteil im Kabinett auszeichnen. Doch nicht erst die jüngste Affäre wirft ein unvorteilhaftes Licht auf den Charakter des Präsidenten. So überrascht es kaum, dass Morales eine Beziehung zu einer gerade 18jährigen, vielleicht sogar noch minderjährigen Frau hatte, scherzte er doch einmal, er wolle die Zeit nach seiner Präsidentschaft mit einem charango (Saiteninstrument), einer Coca-Parzelle und einer quinceañera (15jährigen) verbringen. Solche und weitere Bemerkungen des Präsidenten stoßen in einem durch Machogehabe geprägten Land keinen Wandel an.
Es sollte jedoch nicht in Vergessenheit geraten, dass in Bolivien zu Beginn des Jahrhunderts tatsächlich eine bedeutende Umwälzung stattgefunden hat. Es ist noch immer eine große Errungenschaft der bolivianischen Protestbewegungen, dass die Herrschaft der alten Oberschicht aufgebrochen und die Diskriminierung und Ausgrenzung der indigenen Bevölkerungsmehrheit zumindest in der Politik beendet worden ist. Dass die neue Führungsschicht angeführt von Morales selbst sich in vieler Hinsicht nicht als besser erweist als die alte, ist eine Enttäuschung für alle, die einen weitergehenden Wandel in dem Land für möglich gehalten hatten. Optimisten können sich immerhin an die Erfahrung halten, dass in diesem Land erstaunlich schnell neue Akteure auf der politischen Bühne erscheinen und die Machtverhältnisse grundlegend verändern können.