Ethan Young über den Präsidentschafts­wahlkampf und die Linke in den USA

»Auf einmal hat die Linke einen Halt«

Ethan Young lebt als freier Autor und Herausgeber in New York City. Er ist Mitglied des Left Labor Project, einer New Yorker Gruppe linker Gewerkschafter. Zudem engagiert er sich beim linken Internetportal Portside.org und bei Peopleforbernie.com, einer der sogenannten autonomen Gruppen, die die Kampagne des demokratischen Präsidentschaftsbewerbers Bernie Sanders unterstützen, ohne unter deren direkter Führung zu stehen oder von ihr bezahlt zu werden.

Die Vorwahlen am Super Tuesday ­waren ein durchschlagender Sieg für die Demokratin Hillary Clinton und ein vielleicht etwas absehbarer Sieg für den Republikaner Donald Trump. War dies das Ende des »Summer of Sanders« und der Beginn eines Wettkampfs zwischen Clinton und Trump?
Die Antwort auf den ersten Teil der Frage lautet Nein und die auf den zweiten »wahrscheinlich«, aber es ist immer noch eine zu unberechenbare Situation, um das mit Sicherheit sagen zu können. Höchstwahrscheinlich wird es Clinton sein, die für die Demokraten kandidiert. Aber ich weiß nicht, ob es am Ende wirklich Trump für die Republikaner sein wird.
Wie wird es mit der Sanders-Kampagne weitergehen?
Die Sanders-Kampagne ist eine Anomalie – wie die Trump-Kampagne, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Gemeinsam ist beiden, dass sie während einer politischen Krise agieren. Es ist völlig präzedenzlos, dass ein Typ wie Trump oder eine Figur wie Sanders dermaßen erfolgreich sein können, und das auch noch in so kurzer Zeit. Keiner kann das wirklich erklären und das gilt auch für die Kandidaten selbst. Sie hatten nicht geahnt, dass die Dinge so laufen würden.
Was ist der Ursprung ­dieser Krise?
Die Wahl von Barack Obama bewirkte etwas wie einen nationalen Nervenzusammenbruch für einen Großteil des Landes. Keiner hat geglaubt, dass ein Schwarzer im Jahr 2008 Präsident werden könnte. Es gab die Annahme, dass das irgendwann in sehr ferner Zukunft geschehen wird. Das Resultat war ein enormer rassistischer backlash. Die Trump-Kampagne ist ein Kanal für dieses Phänomen, das viel größer ist als seine Person.
Halten Sie in dieser Situation den Begriff »Faschismus« für angebracht?
Nein! Aber Faschismus spielt definitiv eine Rolle hier. Es hat immer kleine faschistische Elemente in den Vereinigten Staaten gegeben. Sie haben während der Reagan- und Bush-Jahre stärker Fuß gefasst. In den Obama-Jahren sind sie in die Offensive gegangen.
Was sind das für Personen?
Es gibt sie schon lange. Manchmal hatten sie auch kleinere Wahlerfolge, wie Joe Arpaio, dieser Sheriff in Arizona, der wie Trump gerne rassistische Aussagen und politische Entscheidungen trifft und dann so tut, als seien sie nicht rassistisch, sondern einfach nur realistisch. Er hat schon ziemlich früh Trump unterstützt. Er ist die Sorte US-Politiker, von der man sagen kann: »Das ist ein Protofaschist.« Arpaio sieht eine größere Plattform für sich innerhalb der Trump-Kampagne. Es gibt aber auch ein anderes protofaschistisches Element, das nicht in der Trump-Kampagne zu finden ist. Diese Leute stehen hinter Ted Cruz – die Evangelikalen. Sie sind sehr theokratisch, sehr autoritär und hängen dem Glauben an, dass die Bibel die extremsten Argumente für gesellschaftlichen Konservativismus rechtfertigt.
Was ist eigentlich mit den Republikanern los?
Hier manifestiert sich eine der beiden großen Krisen in der politischen Landschaft der USA. Die Bushs und vor ihnen Reagan haben sorgfältig eine Koalition der Kräfte von rechts und rechtsaußen geschmiedet, um den Demokraten etwas entgegenzusetzen. Diese Koalition bestand aus der religiösen Rechten, der libertären Rechten, der militaristischen Rechten, den Waf­fennarren und so weiter. Gegen Ende der Präsidentschaft von George W. Bush begann diese Koalition zu bröckeln. Die Republikaner – und damit meine ich jetzt die Parteiführung, die eng mit dem Öl-, Pharma- und Rüstungskapital verbunden ist – merkten zu spät, dass dieser Zerfall nicht an den Rändern der sorgfältig aufgebauten Koalition vor sich ging, sondern dass einige der extremsten Elemente Schlüsselpersonen aus ihren Positionen verdrängt hatten. Die Partei selbst hatte sie aus ihren Positionen im Kongress entfernt. Die Tea-Party-Bewegung hat alles umgeworfen. In diese Situation platzte Trump, ohne viel mehr vorzuweisen als seinen persönlichen Ruhm und seine Persönlichkeit aus der Reality Show. Dann begann er, mit abscheulichen rassistischen Argumenten um sich zu werfen. Da gibt es eine Schnittmenge mit Weißen, die den Boden unter ihren Füßen zu verlieren drohen. Für sie war ein schwarzer Präsident das Signal dafür, dass das, was sie von den Armen trennte, die Privilegien waren, die sie als Weiße in den USA genossen. Als die Menschen begannen, das zu begreifen, wurde die Basis für den Erfolg Trumps gelegt.
War nicht Sanders’ Kampagne auch eine Reaktion auf Obamas Politik? Mit vielen jungen Menschen, die Obama unterstützt haben und jetzt enttäuscht von ihm sind.
Das trifft nur teilweise zu. Obama hat den Weg dafür bereitet, dass Menschen erkennen konnten, dass die als sakrosankt und unveränderbar verstandenen Parameter des politischen Systems in Wirklichkeit unbedeutend waren, indem er Hillary Clinton aus dem Weg geräumt hat. Sie war praktisch Polit­adel, sie war die Person, von der alle in der Partei der Demokraten dachten, dass sie die rechtmäßige Kandidatin sei. Es ist zwar schon vorgekommen, dass ­jemand dieses Schema durcheinander brachte, aber nicht in dem Ausmaß, wie es Obama getan hat. Ich glaube, das – und die Occupy-Bewegung – hat den Leuten die Augen geöffnet.
Wie unterscheidet sich die Sanders-Kampagne von der Obamas von 2008?
Der Unterschied zu heute ist, dass ­Obamas revolutionäre, auf Internetdatenbanken basierende Kampagne nach seinem Wahlsieg in aller Stille abgewickelt wurde. Die Menschen, die für Sanders arbeiten, haben vom ersten Tag an gesagt, dass das nicht wieder passieren wird. Wir wollen eine politische Infrastruktur schaffen, die die Vorwahlen und sogar die Wahl selbst überleben wird, so dass, wer auch immer gewinnt, sie da sein wird, um weiter Druck für die Forderungen auszuüben, die das Herzstück von Bernies Kampagne ausmachen. Es geht auch nicht so sehr darum, dass Bernie gewinnt. Ich denke ohnehin, dass es naiv wäre zu glauben, er hätte je eine Chance, Präsident zu werden.
Wie hat die Occupy-Bewegung die US-Politik verändert? Und kann Sanders’ Erfolg darauf zurückgeführt werden?
Ja. Occupy hat die Möglichkeit eines linken Populismus eröffnet. Das hatten wir einfach schon lange nicht mehr. Wir hatten soziale Bewegungen zu bestimmten Themen, die im Grunde ­Reaktionen waren auf die neoliberale Austeritätspolitik – der Kampf um Mindestlohn – oder die Angriffe der äußersten Rechten, die in Regierungspolitik umgewandelt wurden. Es ging also zum Beispiel gegen die Abschiebung von Einwanderern oder Morde durch Polizisten.
Wie wird das Sanders-Lager mit einem Sieg Clintons im Vorwahlkampf umgehen?
Es gibt viele interne Debatten. Momentan steht es offenbar 50:50 zwischen »Niemals werde ich je für Hillary stimmen« und »Vor die Wahl gestellt zwischen Hillary und Trump oder irgendeinem anderen Republikaner, stimme ich für Hillary«. Manche wollen, dass Sanders im Falle einer Nominierung Clintons eine Drittparteikampagne macht, aber das wird er nicht tun. Es wäre auch ein großer Fehler. Aber es gibt Menschen, die sagen, wenn er das nicht tut, dann war die ganze Kampagne sinnlos.
Schwarze in den Südstaaten haben überwiegend Clinton gewählt. Wieso hat Sanders sie nicht erreichen können, obwohl sie von Armut viel härter betroffen sind als die meisten der ärmsten Weißen?
Es gibt ein schwarzes Establishment, das in den jeweiligen Communitys, in denen die Kirchen eine wichtige Rolle spielen, stark verankert ist. Diese Menschen sind zumeist Demokraten – auch wenn das Establishment alles andere als homogen ist –, haben den Respekt ihrer Wähler und gute Arbeitsbeziehungen zu den Clintons, schon seit Jahrzehnten. Ihre Rolle ist durchaus ambivalent. Meistens stellen sie sich eben nicht gegen die Interessen des Großkapitals, sondern versuchen, irgendwelche Deals zu machen, die ihrer Wählerschaft angeblich nutzen – etwa Wahnsinnsprojekte, die schlecht bezahlte Jobs im Dienstleistungssektor schaffen als Ersatz für die weggebrochene Industriearbeit.
Sanders hat einfach keine Erfahrung mit all dem. Er hat in einem ziemlich homogenen weißen Staat gearbeitet. Er hat als Bürgermeister von Burlington, der wichtigsten Stadt im Bundesstaat Vermont, begonnen, ging vom Kongress in den Senat als Parteiloser, nicht als Demokrat, und blieb sehr nah an seiner Selbst­identifikation als Sozialist – in diesem weißen Staat. Wie hat er das gemacht? Er hat eine starke Koalition aufgebaut, Versprechen gemacht und sie eingehalten, und so den Respekt der Menschen in dem Staat gewonnen. Aber die Dinge, um die es dort geht, sind nicht unbedingt dieselben wie in den Ghettos und Barrios. Als er dorthin gegangen ist, musste er mit ganz anderen Forderungen umgehen, worauf er schlecht vorbereitet war. Denn er spricht mehr ökonomische als so­ziale Themen an.
In den vergangenen Wochen haben sich einige prominente Schwarze dennoch hinter ihn gestellt, etwa Cornel West und der Rapper Killer Mike.
Sie sind zwar bekannt – ich denke unter jungen Schwarzen hat jemand wie Killer Mike sicher sehr viel mehr Einfluss als Cornel West –, aber Intellektuelle sind einfach nicht das, was Wähler aus der Arbeiterklasse zur Wahl bewegt, egal welcher Hautfarbe. Andererseits gibt es das Ergebnis von South Carolina, wo alle dachten, es würde entlang ethnischer Linien gewählt, aber die Trennung lief entlang von Generationen. Schwarze unter 30 Jahren haben mehrheitlich für Sanders gestimmt. Darüber wird aber kaum berichtet. Das ist ein Aspekt des Wahlkampfs, den man genau betrachten sollte, weil niemand mit diesem Generationenkonflikt gerechnet hat.
Was bedeutet das für die US-Linke?
Es hat ja keiner geahnt, dass die Leute auf diesen alten jüdischen Sozialisten aus Brooklyn anspringen. Aber sie tun es, weil er dem ganzen widerlichen Schlamassel entgegensteht, in den die politischen Parteien die amerikanische Demokratie verwandelt haben. Auf einmal hat die Linke einen Halt. Und die Linke in Amerika ist seit langem in einem fürchterlichen Zustand. Ich denke, dass wir zum ersten Mal seit den siebziger Jahren die Chance haben, eine kohärente politische Bewegung aufzubauen, die auf ihren eigenen ­Füßen stehen kann – wenn die vielen jungen Leute lernen, wirklich politisch zu denken-, zumal die Rechte sich in einer manifesten Krise befindet. Aber es wird harte Arbeit.