Empathie ist eine Sache der Entscheidung

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Als empathisch gilt, wer sich in die Gedanken und Gefühlswelten eines anderen hineinversetzen kann und dazu auch bereit ist. Doch was bedeutet es eigentlich, sich in jemanden einzufühlen? Und wo liegen die Grenzen von Empathie?
Leslie Jamison sucht in ihrem klugen Band »Die Empathie-Tests. Über Einfühlung und das Leiden anderer« nach Antworten. Ihr Zugang ist dezidiert unwissenschaftlich, sie schreibt essayistische Reportagen über Menschen, die auf besondere Weise Empathie benötigen und über Situationen, in denen Mitgefühl eine zentrale Rolle spielt. Immer aufs Neue schickt sie sich selbst – ihre Seelenlage, ihren Körper – ins weite Feld der Erkundung von Empathie. So etwa in dem titelgebenden Text, in dem Jamison von ihrer Arbeit als Darstellerin von Krankheiten erzählt, die Medizinstudenten diagnostizieren müssen, wobei ihnen das umso besser gelingt, je tiefer sie sich in die Probandin einfühlen.
Empathie sei »eine Entscheidung«, schreibt Jamison. Man muss zuhören wollen, sich dem Schmerz des anderen aussetzen wollen, sonst ­gelinge Empathie nicht. Jamison selbst fühlt sich ein, so weit es geht: in den Schmerz von Menschen, die sich selbst verletzen, in Marathonläufer, in unschuldig wegen Mordes verurteilte Jugendliche.
Jamison ist offen, suchend, niemals neutral beobachtend; auch eigene Verwundungen thematisiert sie nicht zu knapp. So etwa die Abtreibung, an der beinahe ihre Be­ziehung zerbrochen wäre, weil es ihrem Freund nicht gelang, sich so in ihren Schmerz hineinzuversetzen, wie es nötig für sie gewesen wäre. Nötig, aber eben auch: unmöglich.
Leslie Jamison: Die Empathie-Tests. Über Einfühlung und das Leiden anderer. Aus dem amerikanischen Englisch von Kirsten Riesselmann. Berlin 2015, Verlag Hanser Berlin, 336 Seiten, 21,90 Euro