Der globale »War on Drugs« ist gescheitert. Die Debatte über eine neue internationale Drogenpolitik

Die Uno hat ein Drogenproblem

»Eine drogenfreie Welt« hatte sich die Uno vor 20 Jahren gewünscht. Mit Verboten, Kriminalisierung und militärischer Gewalt wurde der globale »War on Drugs« ausgetragen. Das hat nicht geholfen: Dem Handel geht es prächtig, der Konsum steigt. Ein Richtungswechsel in der globalen Drogenpolitik ist dennoch kaum zu erwarten.

»UN-Versuch, Drogen zu entkriminalisieren, wird vereitelt«: Im Oktober berichtete die BBC, das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) habe in letzter Minute die Veröffentlichung eines Papiers verhindert, das die Regierungen weltweit dazu aufforderte, den Konsum und den Besitz aller Drogen zu entkriminalisieren. Kurzzeitig herrschte Aufregung: Steht die Drogenpolitik der UN vor einem radikalen Wandel?
Über diese Frage diskutieren die zivilgesellschaftliche Initiativen und NGOs, Juristen, Wissenschaftler und Vertreter des öffentlichen Gesundheitswesens sowie immer mehr Politiker bereits lange vor der dritten Sonderkonferenz der UN-Generalversammlung zum Welt­drogenproblem (UNGASS), die am Dienstag in New York City begonnen hat. Dabei herrscht weitgehend Einigkeit: Die internationale Drogenpolitik im 21. Jahrhundert soll ganz anders aussehen als im Jahrhundert zuvor. Das Scheitern dessen, was US-Präsident Richard Nixon in den siebziger Jahren »War on Drugs« nannte, gilt mittlerweile als Ausgangspunkt einer Debatte, an deren Ende im Idealfall ein grundsätzlicher Politikwechsel stehen könnte, nämlich das Ende des auf Prohibition, Repression und Strafverfolgung fußenden internationalen Drogenkontrollregimes.
Dass dieses sein eigentliches Ziel verfehlt hat, steht sogar im UN-Welt­drogen­bericht für 2015, der nahelegt, dass die Zahl der Drogenkonsumenten proportional zur Weltbevölkerung gestiegen ist. 246 Millionen Menschen sollen demnach in den vergangenen zwei Jahren illegale Drogen konsumiert haben. Der Drogenkrieg hat nicht nur Hunderttausende Tote weltweit gefordert und Milliarden Dollar verschlungen, sondern auch die organisierte Kriminalität mächtiger gemacht. Die Einnahmen des globalisierten Drogenhandels werden pro Jahr auf 600 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Die lateinamerikanischen Länder hatten in den vergangenen Jahrzehnten unter den Folgen des militarisierten Drogenkriegs am meisten zu leiden; dieser bedeutet für sie Gewalt, Korruption und soziale Unsicherheit. Bereits 2012 hatten die amerikanischen Staats- und Regierungschefs im kolumbianischen Cartagena zum ersten Mal eine Kehrtwende in der internationalen Drogenpolitik vollzogen und eine offene Debatte über die Entkriminalisierung der Drogen gefordert. Auch diesmal waren es Mexiko, Guatemala und Kolumbien, die Druck aufbauten, damit diese UN-Sondersitzung, die eigentlich erst für 2019 geplant war, schon jetzt stattfindet.
Die Eskalation des Drogenkriegs in diesen Ländern in den vergangenen zwei Jahrzehnten ist unter anderem auf die Politik der Uno zurückzuführen: In der Abschlusserklärung der UNGASS von 1998 zum Weltdrogenproblem – die unter dem Motto »Eine drogenfreie Welt, wir können das schaffen« stattfand – war unter anderem die »Vernichtung oder signifikante Reduktion« des Opium-, Koka- und Cannabis-Anbaus bis 2008 angestrebt worden. Das war der Anlass für großangelegte, vom Militär vorangetriebene Drogenbekämpfungsprogramme in den Anbauländern, wie etwa der »Plan Colombia« und der »Plan Dignidad« in Chile. Millionen Dollar wurden dort jahrzehntelang in einen Krieg investiert, dessen menschliche, soziale, umwelt- und sicherheitspolitische Kosten enorm waren.
Die Uno bleibt »tough on drugs«
Obwohl das Scheitern des repressiven, allein auf Prohibition setzenden Ansatzes im Jahr 2008 schon offensichtlich war, bestätigte 2009 die Commission on Narcotic Drugs (CND) der Uno in Wien in einem Aktionsplan die bisherige Politik und verschob den Termin für die Befreiung der Welt vom Drogenproblem einfach um weitere zehn Jahre.
Während die Uno von der Haltung tough on drugs nicht abrückt, ist auf gesellschaftlicher und politischer Ebene viel passiert, insbesondere in Lateinamerika. Uruguay hat nicht nur als erstes lateinamerikanisches Land Cannabis legalisiert, sondern als erstes Land weltweit den Cannabismarkt – vom Anbau bis zum Einzelhandel – staatlich reguliert. Bolivien konnte 2013 eine Sonderregelung für das Kauen von Kokablättern in der UN-Konvention durchsetzen. In Mexiko wurden Ende vergangenen Jahres Anbau, Ernte und persönlicher Gebrauch von Cannabis für grundsätzlich nicht strafbar erklärt. Das wichtigste Signal kam in den vergangenen Jahren jedoch aus den den USA, wo Cannabis mittlerweile in vier US-Bundesstaaten (Colorado, Washington, Oregon und Alaska) legalisiert wurde.
Die UNGASS-Konferenz könnte die Chance bieten, eine kritische Bilanz der bisherigen globalen Drogenpolitik zu ziehen und neue Ansätze zu suchen. Prominente Vertreter hat diese Ansicht allemal. In einem Essay für den Spiegel schrieb der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan, die »totale Unterdrückung von Drogen« sollten die Staaten aufgeben, »denn wir wissen, dass sie nicht funktionieren wird«. Annan plädiert für die Entkriminalisierung des privaten Konsums und für eine staatliche Regulierung des Zugangs zu gefährlichen Drogen, derren Handel nicht weiter kriminellen Banden überlassen werden dürfe. Annans Nachfolger, der jetztige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, forderte die Mitgliedsstaaten auf, zumindest eine offene Debatte zu führen, »die alle Optionen einschließt«. Vor Beginn der UNGASS-Konferenz forderten Hunderte Regierungschefs, Prominente und Aktivisten in einem offenen Brief »eine neue, globale Antwort auf das Drogenproblem, die auf wissenschaftlicher Evidenz, Mitgefühl und Menschenrechten beruht«. Verbote und Bestrafung müssten reduziert werden »auf die Erfüllung der Kernaufgabe, die Gesundheit und Sicherheit zu gewährleisten«, heißt es dort weiter.
Der Prohibitionskonsens bröckelt
Bis Redaktionsschluss gab es keine offizielle Abschlusserklärung der UNGASS-Konferenz, die am Donnerstag zu Ende geht. Der Resolutionsentwurf, der im März vom UNODC erarbeitet wurde und als Diskussionsgrundlage bei der Konferenz dient, gibt wenig Anlass zur Hoffnung auf einen Umbruch in der internationalen Drogenpolitik. An mehreren Stellen nimmt das Dokument Bezug auf die vergangenen UN-Drogenkonferenzen und bestätigt die darin formulierten Ziele einer restriktiven, auf Prohibition ausgerichteten Drogenpolitik.
Das Streben nach einer »von Drogenmissbrauch befreiten Gesellschaft« – die Formulierung taucht an mehreren Stellen auf im Entwurf auf – zeige, dass der Schwerpunkt weiterhin auf die Bekämpfung der Versorgung gerichtet sei, kritisieren zivilgesellschaftliche Organisationen, die vor der Konferenz eine »Civil Society Task Force for UNGASS 2016« gebildet haben, in einem Statement. »Dieses Ziel ist nicht erstrebenswert, es ist enttäuschend und gefährlich«, prangern sie an, denn es »stellt die Ausrottung von Drogen über gesundheitliche und menschenrechtliche Aspekte«. Die NGOs vermissen im Entwurf Hinweise auf harm reduction, einen Ansatz, der Drogenkonsumenten nicht als Kriminelle betrachtet, sondern als Menschen, die besondere medizinische Versorgung brauchen. In der US-amerikanischen Debatte gilt Europa als Vorbild für eine progressive Drogenpolitik, die auf einem pragmatischen, nicht ideologischen Ansatz fußt und auf die Minimierung der gesundheitlichen Risiken abzielt, die mit dem Konsum von Drogen zusammenhängen, aber nicht den Drogenkonsum an sich bekämpft. Beispiele, wie harm reduction in der Praxis funktioniert, gibt es viele: vom Spritzenumtausch über Substitutionstherapien bis zum drug-checking in Clubs, das sich mittlerweile in einigen EU-Ländern etabliert hat.
Dem Ziel einer »drogenfreien Welt« ist das UN-Drogenkontrollsystem in den vergangenen Jahrzehnten nicht einmal näher gekommen. Ganz im Gegenteil. Dem globalen Drogenmarkt geht es besser denn je: Die Verfügbarkeit und Qualität der Drogen werden besser, das Angebot mit immer neuen Substanzen vielfältiger, die Preise sinken, die Nachfrage steigt.
Die Front der Hardliner
Der globale Prohibitionskonsens ist zwar zerbrochen, aber selbst wenn Gesellschaft und Politik in vielen Ländern für einen Wandel bereit zu sein scheinen, Einigkeit im Hinblick auf Entkriminalisierung von Drogenbesitz und -konsum wird man im Rahmen der UN-Generalversammlung und der bestehenden internationalen Verträge so schnell nicht erreichen. In Ländern wie China, Indonesien, Iran und Saudi-Arabien werden Menschen wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt und hingerichtet. Eine Gruppe von Hardlinern in der UN-Generalversammlung, angeführt von Russland und China, blockiert jegliche Entscheidung, die auf einen Richtungswechsel hindeuten könnte.
Russland ist mit Abstand der größte Verbraucher von Heroin weltweit. In dem Land, in dem mehr als 90 Prozent der insgesamt 8,5 Millionen Drogenabhängiggen Heroin konsumieren, gibt es keine Substitutionsprogramme, keine Ausgabestellen für saubere Spritzen, keine Therapien – Methadon, das 2005 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel aufgenommen wurde, ist in Russland verboten. Besitz und Konsum auch von noch kleiner Mengen illegaler Substanzen werden hart bestraft.
Einem Bericht der Huffington Post zufolge haben Vertreter der Russischen Föderation sogar erreicht, dass der Begriff harm reduction aus dem Resolutionsentwurf gestrichen wurde und dass eine alles andere als harmlose Formulierung darin immer wieder auftaucht: »in Einklang mit der nationalen Gesetzgebung«. Unter diesen Bedingungen wird eine gemeinsame Strategie im Umgang mit dem globalen Drogenproblem eine Illusion bleiben.