Das Comeback von Heroin in den USA

Billig, weiß und »middle class«

In den USA ist die Zahl der Heroinkonsumenten zwischen 2002 und 2010 um rund 50 Prozent gestiegen. Die überwiegende Mehrheit der Heroinsüchtigen hat ihre Karriere mit legalen Schmerzmitteln begonnen.

Mit dem Heroin, so sagt man, ist es ein bisschen wie mit der Lyrik: Die Anzahl der Fans ist überschaubar, aber die, die es gibt, können sich ein Leben ohne gar nicht mehr vorstellen. Bisher galt die Annahme, dass Heroin das Ende einer langen Reise darstellt, deren Anfang ein Bierchen zu viel oder der gelegentliche Joint ist. Und irgendwann greift man dann zur Nadel, wobei das Wort Nadel nicht recht passen will. Man muss schon ein äußerst zielorientierter Junkie sein, um sich eine Spritze zu setzen.
Und doch haben die Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren mit einem enormen Anstieg an Heroinabhängigen zu kämpfen. Die Zahlen, die von der US-Regierungsbehörde Substance Abuse and Mental Health Services Administration (SAMHSA) veröffentlicht wurden, zeichnen ein drastisches Bild: Zwischen 2002 und 2010 ist die Zahl der Heroinkonsumenten um etwa 50 Prozent gestiegen, von 400 000 auf über 600 000. In der Öffentlichkeit und von Seiten der Behörden ist daher immer öfter von einer Epidemie die Rede, dabei liegt die Zahl der Konsumenten noch immer unter zwei Promille der US-Bevölkerung. Bedenklich ist der Trend dennoch, denn die Anzahl der Süchtigen wächst schneller als die Gesamtbevölkerung.
Wie ist das zu erklären? Einer der wesentlichen Faktoren sind die Schmerzmittel, von denen immer mehr verschrieben werden. Die Zahl derjenigen, die an Opiaten sterben, also an einer Substanz, die auf Opium basiert, hat sich zwischen 1999 und 2009 vervierfacht, so das amerikanische Center for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta. Eine Studie des National Survey on Drug Use and Health (NSDUH) legt dar, dass 79,5 Prozent der Heroinsüchtigen mit Schmerzmitteln angefangen haben. Medikamente wie Oxycontin oder Vicodin werden bei Schmerzen regelmäßig vom Arzt verschrieben und können unter Umständen zur Sucht führen. Die Firma Purdue Pharma, die das Schmerzmittel Oxycontin herstellt, hat 2010 immerhin 3,1 Milliarden Dollar Umsatz damit gemacht, was nicht zuletzt ihrer geschickten Werbung zuzuschreiben ist – die USA und Neuseeland sind die einzigen Länder, die konsumentenorientierte Medikamentenwerbung im Fernsehen zulassen. Im Jahre 2010 wurden 254 Millionen Rezepte von Ärzten ausgestellt und die Pharmaindustrie konnte mit Schmerzmitteln 2012 insgesamt 72,5 Milliarden Dollar Umsatz machen, davon elf Milliarden allein mit Opiaten. Vor zwei Jahrzehnten war der Markt noch viel kleiner und derartige Mittel wurden fast nur bei der Krebsbehandlung eingesetzt. Jetzt werden sie bereits häufig bei Husten verschrieben.
Doch Schmerzmittel sind teuer und können zur Sucht führen. Dies geschieht zwar nur in den seltensten Fällen und fast nur bei irregulärem oder illegalem Gebrauch. Dennoch kann es passieren, dass die Konsumenten sich irgendwann die Tabletten nicht mehr leisten können oder der Arzt sich weigert, weitere Rezepte auszustellen. Dann kann der Weg in die Illegalität führen und eventuell bei Heroin enden. Ans Licht der Öffentlichkeit kam das Problem, als der Filmstar Heath Ledger 2008 an Schmerzmitteln starb, sechs Jahre später verstarb der Schauspieler Philip Seymour Hoffman an einer Überdosis von Heroin und mehreren anderen Drogen. In den vergangenen Jahrzehnten galt Drogensucht eher als ein Problem »der anderen«, sprich der Schwarzen und der Latinos. Doch mit den Opiaten ist dieses Problem nun auch im vorwiegend weißen Mainstream angekommen. Als in den achtziger und neunziger Jahren Crack aufkam und auch die Drogengewalt zunahm, war die Antwort der damaligen Regierung drakonisch: 1994 unterschrieb US-Präsident Bill Clinton ein Gesetz zur Verbrechensbekämpfung, den Violent Crime Control and Law Enforcement Act (H.R.3355), das dazu beitrug, dass die Zahl der wegen Drogendelikten Inhaftierten erheblich anstieg, von 300 000 auf über zwei Millionen, die meisten davon waren Schwarze und Latinos.
Dafür muss Bill Clinton nun Rede und Antwort stehen; zwei Jahrzehnte nachdem das umstrittene Gesetz verabschiedet wurde, werden dessen Folgen im Rahmen des gegenwärtigen Präsidentschaftswahlkampfs kritisch hinterfragt: Warum hat man damals nicht den Schwerpunkt auf Prävention oder Behandlung gelegt? Warum wurden Drogen so scharf kriminalisiert? Die gewünschten Resultate hatte bereits der Anfang der siebziger Jahre von Präsident Richard Nixon ausgerufene »War on Drugs« nicht gebracht. Der Journalist Dan Baum führte 1994 ein enthüllendes Interview mit John Ehrlichman, Nixons damaligem Chefberater für innere Angelegenheiten: »1968 wusste die Nixon-Kampagne, und später auch die Nixon-Regierung, dass sie zwei Feinde hat, die kriegsmüde Linke und die Schwarzen«, so Ehrlichman. »Wir konnten es nicht verbieten, links oder schwarz zu sein, aber indem wir die Hippies mit Marihuana und die Schwarzen mit Heroin in Zusammenhang brachten und diese Drogen schwer kriminalisierten, konnten wir beide Communities stören. Wir konnten ihre Anführer verhaften, in ihren Häusern Razzien durchführen und sie in den Abendnachrichten ankreiden.«
Das Resultat dieser zynischen Politik hat die US-Gesellschaft schwer zerrüttet. In einer Rede vom Juli vergangenen Jahres streute sich Bill Clinton Asche aufs Haupt: »Ich habe ein Gesetz unterschrieben, dass das Problem noch schlimmer gemacht hat. Und das gebe ich zu.« Immerhin, so das amerikanische Government Accountability Office (GOA), der dem Kongress unterstellte Rechnungshof des Landes, sind die Raten an Gewaltverbrechen seit 1993 um 2,5 Prozent gesunken. Doch die Bürgerrechtlerin und Autorin Michelle Alexander argumentiert in ihrem Buch »The New Jim Crow« (2010), dass »die primäre Zielgruppe dieses Kontrollsystems« Schwarze seien: Jeder achte männliche Schwarze hat eine Vorstrafe wegen Drogenmissbrauchs. 2011 berichtete das National Survey on Drug Use and Health, dass zehnmal so viele Schwarze wie Weiße für Drogendelikte verhaftet werden, obwohl Afroamerikaner prozentual weniger Drogen konsumieren. Von über 7 200 befragten Jugendlichen gaben neun Prozent der Weißen und fünf Prozent der Afroamerikaner zu, Drogen konsumiert zu haben.
Nun sind durch die »Heroin-Epidemie« auch die USA gehalten, es vielleicht mit sanfteren Mitteln zu probieren. Der Unterschied zu früher ist, dass die meisten Heroinsüchtigen jetzt Weiße und oftmals Mitglieder der Mittelklasse sind.