Satire als Mittel der Politik

Der gespielte Witz

Von Ivo Bozic

Von wegen »Fall Böhmermann«: Despoten zu beleidigen, ist das Mindeste, was man tun kann.

Treffen sich ein Türke und Tucholsky. Sagt der Türke: Sagen Sie mal, Sie sind doch der berühmte Tucholsky, Sie kennen sich doch aus: Was darf Satire denn nun? Tucholsky mustert den Türken lange, kneift die Augen zusammen und sagt dann: Gegen wen, Herr Erdoğan?
Das ist nicht witzig? Nun, es geht ja auch nicht um Humor, es geht um Politik. Satire kann ein Mittel des Humors sein, ist dazu aber nicht notwendig: Die Menschen lachen sogar über stolpernde Clowns. Satire kann auch Mittel der Politik sein. Auch das nicht notwendigerweise. Man kann ganz humorlos jemandem die Rübe abschlagen, zum Beispiel. Gerade hierzulande ist Satire jedoch ziemlich oft Mittel der Politik. Oder glaubt jemand, dass politisches ­Kabarett einfach nur eine Entspannungstechnik sei? Glaubt irgend­jemand ernsthaft, Tucholsky habe einfach nur witzig sein wollen?
Im sogenannten Fall Böhmermann tun nun aber alle schon seit Wochen angestrengt so, als ginge es um einen Witz und darum, ob der nun gelungen sei oder nicht. Alternativ philosophiert man auch gerne über Kunst. Künstlerinnen und Künstler solidarisieren sich mit Jan Böhmermann. Das ist gut! Sehr gut! Aber was schreiben sie denn da? »Kunst kann nicht in einem Klima stattfinden, in dem sich Künstlerinnen und Künstler Gedanken darüber machen müssen, ob ihr Schaffen zur Strafanzeige führt, in dem sie beginnen, sich selber zu zensieren oder zensiert zu werden.« Moment mal. Kunst um der schönen Künste willen, klar, die soll sich keine Gedanken machen müssen, die soll gut zur Tapete passen, völlig legitim. Aber Kunst, die Mittel der Politik sein will, die macht sich selbstverständlich Gedanken darüber, wie sie die Gesellschaft verändern, wie sie den Despoten stürzen kann, und wäre doch dumm, wenn sie hoffte, keine Reaktion zu provozieren.
Aber diese Debatte darüber, was nun Humor ist, was Satire darf und was die Kunst macht, kann man im konkreten Fall getrost auf sich beruhen lassen. Ein nüchterner und po­litischer Blick auf die ganze Geschichte führt weiter: Ein satirisches Politikmagazin im Fernsehen, »Extra 3«, sendet einen Beitrag, in dem ein autoritärer Despot, mit dem die Bundesregierung gerade eng zusammenarbeitet, für seine Politik gegenüber Kurden, Frauen, der Demokratie und der Presse kritisiert wird. Jener Despot lässt daraufhin den deutschen Botschafter vorladen und ver­langt von der deutschen Regierung, sie möge doch bitte »ihre« Presse in den Griff bekommen. Ebenjener Despot, der gerade in »seinem« Land rigoros gegen die Presse- und Meinungsfreiheit vorgeht, Journalisten verhaften, Zeitungen schließen lässt.
Wie soll man denn jetzt darauf reagieren? Klar, eigentlich müsste die Bundesregierung sofort jede Zusammenarbeit mit diesem die Justiz als politisches Instrument der Repression missbrauchenden Tyrann aufkündigen, der bereits weit über 2 000 Menschen wegen Beleidigung seiner Person angezeigt hat.
Doch da sie gerade mit dem Mann in Sachen Flüchtlings­abwehr verhandelt, sind ihr die Hände gebunden. Wenn die Politik kollaboriert, was können dann zum Beispiel Medienschaffende tun? Das Allermindeste ist: noch eine Schippe drauflegen. Erdoğan behauptete, sich von dem »Extra 3«-Beitrag (»Erdowie, Erdowo, Erdoğan«) beleidigt gefühlt zu haben, obwohl der wohl kaum beleidigend war und der Präsident offensichtlich einfach wie gewohnt Kritiker mundtot machen wollte. Okay, was kann man ihm also vor den Latz knallen, damit er sich wirklich beleidigt fühlen könnte, etwas also, das tatsächlich beleidigend ist? Dies war die einzig zulässige Frage und Böhmermann hat sie konsequent beantwortet – im Rahmen seiner Möglichkeiten als Fernsehmoderator.
Doch reden wir weiter über Politik: Eigentlich hat Erdoğan wie jeder miese Autokrat doch wohl etwas ganz anderes verdient als eine kleine Beleidigung im Spätabendprogramm eines Spartensenders. Und die Rede ist jetzt nicht davon, ihm die Ohren langzuziehen – das sowieso, das hätten eh die meisten verdient –, sondern: ihn zu stürzen. Abwählen lässt er sich ja offenbar nicht mehr und eigentlich ist es unter Linken wie im Bürgertum seit 1789 Common Sense, in so einem Fall gegen die Despotie für die Revolution zu plädieren. Sofern nicht die U.S.-Army den Job übernehmen soll. Wenn wir uns also einig sind, zumindest von Poschardt bis Wagenknecht, dass ein autoritärer Herrscher wie Erdoğan, der sich der demokratischen Kontrolle entzieht, gestürzt werden müsste, wie erschreckend harmlos, hilflos, wie klein und unangemessen wirkt dann ein Schmähgedicht auf ZDF neo. Ein Gedicht! Auf ZDF! Neo!
Für die türkische Regierung jedoch ist das ein »Verbrechen gegen die Menschheit«. Diese Aussage von Erdo­ğans Stellvertreter ist für sich genommen schon ein politischer Skandal. Dennoch wird beschwichtigt. Klar dürfe man Erdoğan kritisieren, lesen wir plötzlich allenthalben, doch: Muss man ihn denn gleich so arg beleidigen? fragen nicht nur ­Posener, Henschel, Bax und Todenhöfer. Äh? Ja, klar! Was sonst! »Beleidigen« steht auf der Liste der politischen Mittel, die von »demonstrieren« über »in den Hungerstreik treten« und »ein Gesetz beschließen« bis zu »einen Weltkrieg führen« reicht, ganz unten, noch unter »eine Partei wählen«. Es ist das Mindeste, was man tun kann. Wenn man nicht einmal das tut, hat man sich als politischer Mensch verabschiedet.
All dies gilt selbstverständlich nicht nur für Erdoğan, sondern genauso für andere Despoten, das muss man unbedingt dazusagen, damit man sich keine falschen Freunde macht – Putin-Freunde zum Beispiel, die den Aufruhr um Erdoğan nun zu ihren Gunsten nutzen. Putin ist natürlich genau so ein Kaliber wie Erdoğan, nur noch viel gefährlicher und erfolgreicher.
Nun gab es viele, auch unter den Vernünftigen, die sich weniger über den Angriff Erdoğans auf die Meinungsfreiheit echauffierten als vielmehr ihre Energie darauf verwendeten, das Böhmermann-Gedicht als rassistisch zu kritisierten. Darauf muss man erst mal kommen! Selbstverständlich war es – neben vielem anderen – auch rassistisch. Was denn sonst? Es war ja kein lyrisches Werk, mit dem der Autor bei Suhrkamp vorstellig werden wollte, es war ein Faustschlag gegen einen, der ihn verdient hat. Es ging darum, Erdoğan zu beleidigen, nur darum. Mehr Kriterien musste dieses Gedicht nicht erfüllen. Es hat funktioniert, also war es ein gutes Gedicht. Rassistisch ist es, Böhmermanns Gedicht Rassismus zu attestieren. Denn dies setzt voraus, es wäre möglich, solche Äußerungen zu tätigen oder gut zu finden, ohne zu wissen, dass sie rassistisch, dass sie also auch nicht-rassistisch motiviert ausgesprochen werden könnten, das heißt, man erklärt sie für diskutabel, womit man sie schon fast verteidigt hat. Einfacheres Beispiel: Es ist, wie wenn man jemandem, der »Ich ficke deine Mutter« sagt, mitteilt, dass man das nicht gut finde, weil Mütter sich dadurch diskriminiert fühlen könnten. Man hat dann durch diese »Kritik« die Sache erst diskussionswürdig gemacht. Und das ist auch das Tragische an der ganzen Böhmermann-Debatte: dass plötzlich darüber geredet wurde, ob es okay sei, jemanden »Ziegenficker« zu nennen. Natürlich ist es nicht okay, deshalb hat Böhmermann Erdoğan ja so genannt.
Darf man jemanden beleidigen? Das ist eine ebensolche Quatsch­fragen wie: Darf man Gewalt anwenden? Grundsätzlich lehnt jeder Mensch Beleidigungen und Gewalt ab, in bestimmten Situationen aber findet jeder sie korrekt. Und so ist das auch staatlich und gesellschaftlich geregelt: Gewalt aus Notwehr ja, Gewalt gegen Kinder nein, Gewalt im Krieg ja, Gewalt auf dem Oktoberfest nein, Gewalt gegen Hitler ja, Gewalt gegen Merkel nein. Eine Ohrfeige kann zu viel, ein Flächenbombardement zu wenig sein, das kommt eben darauf an. Von Zeit zu Zeit ändern sich die politischen Verhältnisse oder die ethischen Ansichten und damit die Bewertung der politischen Mittel. Was für die Debatte über Gewalt gilt, gilt für Beleidigungen erst recht.
Man kann also politisch darüber streiten, ob Erdoğan jemand ist, den man beleidigen sollte, aber nicht, ob man grundsätzlich einen Menschen beleidigen darf. Und wenn man meint, ja, man darf und soll Erdoğan beleidigen, dann wird man eben geeignete Worte wählen. »Ich ficke deine Mutter« ist eine bessere Beleidigung als »Ich respektiere deine Mutter«, auch wenn Letzteres politisch korrekter ist, nein, weil das politisch korrekter ist. »Aber«, wenden nun die Vernünftigen unter den Böhmermann-Kritikern ein, »wenn man nun einen Juden als Blutsauger beschimpfen würde, dann würdest du das ganz anders sehen!« Nein. Wenn man der Meinung ist, dass man Juden beleidigen sollte, dann ist das natürlich eine gute Beleidigung. Nur: Man soll, aus Gründen, eben keine Juden – und auch keine Türken – beleidigen, so wie man, aus Gründen, sehr wohl türkische Despoten und Antisemiten beleidigen soll – und das sind politische Gründe, das ist keine Geschmacksfrage. Darum geht es. Oder, damit es auch der letzte Anti­deutsche versteht: Wer es gut findet, Dresden zu bombardieren, muss es deshalb ja nicht gut finden, Tel Aviv zu bombardieren. Wer diesen simplen Unterschied erkennt, wird nicht ­wochenlang über Satire und Humor und die Grenzen des guten Geschmacks lamentieren.
Etwas kann man Jan Böhmermann beziehungsweise seiner Redaktion allerdings schon anlasten, nämlich dass das Gedicht als Witz missverstanden werden konnte. Vermutlich wird Böhmermanns Verteidigungsstrategie gegen die juristischen Sturmgeschütze Erdoğans auch in diese Richtung gehen (müssen). Das ist schade. Denn dass man es in der Türkei, im Iran, ja fast der gesamten islamischen Welt, aber nicht minder in Russland, in China, in Ungarn, in Polen und so weiter und so fort mit einem umfassenden Kampf gegen die Meinungsfreiheit zu tun hat und dass man sich dagegen wehren muss, das ist leider ganz und gar kein Witz.