Beschäftigte in der Leih- und Zeitarbeit werden vom DGB kaum unterstützt

Der DGB verleiht mit

Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert offiziell zwar manche Zustände in der Leih- und Zeitarbeit. Tatsächlich setzt er sich für die Beschäftigten der Branche nur wenig ein.

Gerade einmal 3 000 Menschen waren dem bundesweiten Aufruf des DGB gefolgt. Am 9. April kamen sie auf dem Münchner Odeonsplatz unter dem Motto »Wir lassen uns nicht spalten – Gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen« zusammen. Die Kundgebung richtete sich gegen die Blockadehaltung der CSU bei der gesetzlichen Neuregelung der Leih- und Zeitarbeit. Trotz kostenloser Anreise per Bus und teilnehmender Prominenz wie dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann und dem Rapper Sammy Deluxe blieben Betriebsräte und gewerkschaftliche Funktionäre unter sich. Gerade Leiharbeiter und andere prekär Beschäftigte fehlten auf der Demonstration.
Stark vertreten war dagegen die SPD. Auch sie hatte zur Beteiligung an der DGB-Kundgebung aufgerufen. Obwohl sie im Zug der Hartz-Reformen 2003 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) geändert und damit die Grundlage für den Boom der Leih- und Zeitarbeitsbranche geschaffen hat, fordert die Partei mittlerweile, den »hunderttausendfachen Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen in Deutschland« zu beenden.
Nicht zufällig fand die Kundgebung nur eine Woche vor der Klausurtagung der Regierungskoalition statt. Bereits seit Monaten schwelt in der Bundesregierung der Streit um die Neuregelung der Leiharbeit. Während die SPD auf die Einhaltung des Koalitionsvertrages drängt, der eine stärkere Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen vorsieht, blockiert die CSU das Vorhaben von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Zwar blieb der erste Referentenentwurf aus dem Arbeitsministerium vom November 2015 weit hinter der Forderung zurück, die Nutzung von Werkverträgen einzuschränken und die systematische Auslagerung von Betriebsteilen zu unterbinden. Arbeitgeberverbände und die CSU übten dennoch scharfe Kritik. Die CSU lehnte bis zur Berliner Klausurtagung auch den noch weiter abgeschwächten zweiten Entwurf ab.
Der erste Entwurf zielte mit einem Kriterienkatalog ausschließlich auf eine klare Abgrenzung zwischen legalen und illegalen Werkvertragsformen. Auf Druck der Arbeitgeberverbände wurde dieser Kriterienkatalog ebenso aus dem Gesetzentwurf gestrichen wie mehrere Maßnahmen zur Regulierung der Leiharbeit. So kann die Überlassungshöchstdauer nun weiterhin per Tarifvertrag über die maximal vorgesehenen 18 Monate ausgedehnt werden. Die gleiche Bezahlung für Leiharbeitnehmer und Stammbelegschaft soll erst nach 15 statt nach zwölf Monaten verpflichtend werden.
Während die Arbeitgeberverbände sich mit dem zweiten Entwurf zufrieden zeigten und, wie der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Oliver Zander, Nahles dafür lobten, das Gesetz »deutlich nachgebessert« zu haben, blieb die CSU bis zur Klausurtagung bei ihrer Ablehnung. Insbesondere das im Gesetzentwurf vorgesehene Verbot des Einsatzes von Leiharbeitern als Streikbrecher stieß in der CSU auf Kritik.
Für die fast eine Million Leiharbeiter und die immer zahlreicher werdenden ausländischen Werkvertragsarbeitnehmer hätte das Gesetz in der überarbeiteten Form allerdings nur wenige positive Auswirkungen. Vielmehr würde es den Status quo erneut festschreiben. Trotzdem bekundeten die Gewerkschaften in München ihre Unterstützung des Gesetzentwurfes. Jörg Hofmann, der Vorsitzende der IG Metall, begrüßte, dass »mit diesem Entwurf unsere tariflichen Regelungen mit Anpassungen fortgeführt werden können«. Die IG BCE gab sogar eine gemeinsame Erklärung mit dem Bundesarbeitgeberverband Chemie heraus, in der es heißt: »Der vorliegende Gesetzentwurf ist ausbalanciert und wirkungsfähig, es werden angemessene Grenzen zwischen notwendiger Flexibilität und Missbrauch von Zeitarbeit und Werkverträgen gezogen.«
Betrachtet man die ambivalente Haltung der Gewerkschaften zur Leih- und Zeitarbeit und den solcherart Beschäftigten, verwundert die Verteidigung eines Gesetzentwurfes kaum, der den Arbeitnehmern nicht weiterhilft. Bis in die neunziger Jahre hinein lehnten die Gewerkschaften die Leiharbeit ab. So enthielt das Grundsatzprogramm des DGB seit 1981 die Forderung nach einem generellen Verbot der Leiharbeit. Erst 1996 wurde der Passus gestrichen. Die Gewerkschaften erklärten stattdessen die Leiharbeit zum arbeitsmarktpolitischen Instrument, mit dem Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollten, und stellten sich selbst an die Spitze der Entwicklung. So beteiligte sich der DGB bereits 1995 an der Gründung der Zeitarbeitsfirma Start GmbH, der schnell weitere Beteiligungen folgten.
2002 bildete die rot-grüne Bundesregierung die »Kommission für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt«. Diese später als Hartz-Kommission bekannt gewordene Arbeitsgruppe entwickelte unter Beteiligung von Vertretern der Gewerkschaft Verdi und der IG Metall ein neues Modell für die Arbeitnehmerüberlassung, in dem der gesetzlich deregulierten Leiharbeit als flexibler Beschäftigungsform eine zentrale Rolle beim Abbau der Arbeitslosigkeit zukommen sollte. Die schließlich 2003 erfolgte gesetzliche Neuregelung der Leiharbeit beinhaltete dann die Abschaffung bestehender Einschränkungen. Diese gesetzliche Deregulierung, die den Boom der Leiharbeitsbranche erst ermöglichte und gegen die der DGB heutzutage auf die Straße geht, wurde also unter Mitwirkung der Gewerkschaften herbeigeführt.
Auch für die ungleichen Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern und Stammbelegschaften tragen die Gewerkschaften eine Mitverantwortung. In der Neufassung des AÜG von 2003 wurde zwar ein Gleichbehandlungsgrundsatz aufgenommen, demzufolge für Leiharbeitnehmer die gleichen Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen wie für vergleichbare Stammarbeitskräfte gelten sollten. Allerdings wurde dieser Grundsatz durch einen Tarifvorbehalt relativiert. Dieser ermöglicht es, das Gleichstellungsprinzip zu umgehen, wenn entsprechende tarifvertragliche Regelungen getroffen werden.
Deshalb drängten die Arbeitgeber in der Leiharbeitsbranche damals auf den Abschluss von Tarifverträgen, um den Gleichheitsgrundsatz zu umgehen. Unter Federführung des DGB bildeten dessen Mitgliedsgewerkschaften eine Tarifgemeinschaft und erklärten sich zu Verhandlungen bereit. Noch 2003 schlossen sie einen Flächentarifvertrag für die Leiharbeitsbranche ab. Er beinhaltete in der Eingangstufe einen Stundenlohn von 6,85 Euro, in der höchsten Stufe von 15,43 Euro. Für Leiharbeitnehmer in Ostdeutschland wurde dabei ein Abschlag von 13,5 Prozent vereinbart. Die Auswirkungen des Abschlusses, der vom DGB als »großer Erfolg« gefeiert wurde, waren für viele Leiharbeiter gravierend. Nicht nur wurden damit Armutslöhne per Tarifvertrag festgeschrieben und der Gleichbehandlungsgrundsatz ausgehebelt, sondern insbesondere Beschäftigte aus bereits tarifgebundenen Leiharbeitsfirmen mussten im Zuge der Anpassung ihrer Hausverträge an die neuen Tarife Einbußen akzeptieren.
Die DGB-Tarifgemeinschaft hatte in den vergangenen Jahren mehrmals die Möglichkeit, den Tarifvertrag zu kündigen. Er wurde jedoch jedes Mal, zuletzt 2013, erneuert. Auch zu Beginn der Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 blieb die Unterstützung der Gewerkschaften für Leiharbeitnehmer aus. Sie waren die Ersten, die wegen Auftragsrückgängen und Verkaufseinbrüchen ihre Arbeitsplätze verloren. Innerhalb kürzester Zeit wurden in der Leiharbeit damals 200 000 Stellen abgebaut.
Die Gewerkschaften halten sich immer noch zugute, dass sie durch flexible Arbeitszeitmodelle und Kurzarbeit dazu beigetragen haben, die Krise zu bewältigen. Die Leiharbeitnehmer blieben auf der Strecke. Dass sich daher nur wenige von ihnen für eine Kundgebung des DGB begeistern ließen, noch dazu zugunsten eines Gesetzentwurfs, der für sie kaum positive Auswirkungen hat, ist keine Überraschung. Es ist vielmehr die Folge des bisherigen gewerkschaftlichen Umgangs mit der Leiharbeit und den dort Beschäftigten.