Jan Stubben im Gespräch über die verdeckte Ermittlerin im Jugendzentrum Hamburg-Bergedorf

»Eine V-Leute-freie linke politische Struktur ist nicht möglich«

Jan Stubben ist 33 Jahre alt. Bereits in seiner Jugend war er unter anderem im Café Flop aktiv, einem antifaschistischen Café im Jugendzentrum des Hamburger Stadtteils Bergedorf. Hier wurden er sowie andere Besucherinnen und Besucher des Jugendzentrums von einer verdeckten Ermittlerin angesprochen, die die linke Szene observieren sollte. Am 18. Mai dieses Jahres wurde die Ermittlerin Astrid O. alias »Astrid Schütt« enttarnt.

Sie haben 2006 und 2007 den Einsatz der verdeckten Ermittlerin (VE), die sich »Astrid Schütt« nannte, im Bergedorfer Jugendzentrum miterlebt.
Von 2002 bis 2015 habe ich im Café Flop im Jugendzentrum Unser Haus e. V. den laufenden Betriebs mitorganisiert. Wir sind selbstverwaltet, da gibt es viel zu tun. Das Jugendzentrum Unser Haus e. V. gibt es schon seit 30 Jahren, Bergedorfer Jugendliche haben sich davor lange dafür eingesetzt, ein selbstverwaltetes Jugendzentrum zu bekommen. Das immer noch jährlich stattfindende Wutzrock-Festival Umsonst &  Draußen wurde 1979 initiiert, um das Jugendzentrum durchzusetzen. Es wird seither dort geplant. Seit einem Jahr habe ich mich aus den organisatorischen Tätigkeiten zurückgezogen, bin aber noch mindestens einmal die Woche im Café Flop, um mich mit meiner Gruppe dort zu treffen.
Die VE war ja auch im Café aktiv. Ist sie Ihnen aufgefallen?
Nein, als ich von der Recherchegruppe vor fünf Monaten, vor der öffentlichen Enttarnung, erfahren habe, dass »Astrid Schütt« gar nicht so heißt und uns als verdeckte Ermittlerin ausgeforscht hat, hat mich das ziemlich geschockt und sehr gewurmt. Denn sie hat mich als Ersten angequatscht und ausgefragt, und ich habe ihr sogar die Gruppe empfohlen. Als sie auftauchte, habe ich gar keinen Verdacht geschöpft. Sie sah zwar etwas komisch aus, mit ihrer Jogginghose, Trainingsjacke und Base-Cap, aber ich war selbst zuvor zwei Jahre in Stuttgart gewesen, wo mich Leute argwöhnisch betrachtet hatten, als ich dort in einem autonomen Zentrum aktiv werden wollte – da wollte ich es selbst anders machen. Die VE hat sich dann äußerlich schnell angepasst, in ihrer Kleidung, und sie hat sich Dreadlocks machen lassen, die waren damals sehr verbreitet unter Linken. Heute wäre wohl ein Kurzhaarschnitt angesagt, Dreadlocks würden mittlerweile ja als rassistische Aneignung der Kultur früher kolonialistisch Unterdrückter gelten.
Es hatte jedenfalls niemand den Verdacht, sie könnte eine verdeckt auf­tretende Polizistin sein, die uns ausforschen soll. Wir sind schließlich ein Jugendzentrum mit jeder Menge Freizeitangeboten, nicht die Schaltzentrale der linksradikalen Szene. Bei uns wird gekickert, Darts gespielt, es gibt eine Tanzgruppe, Gesellschaftsspiele, eine Gartengruppe, einen Proberaum, eine Kung-Fu-Gruppe, ein Frühstücksbuffet für Familien und eine Tabletop-Spielgruppe. Wenn die uns schon beobachten, welcher Aufwand wird dann wohl erst betrieben, um die Szene im Schanzenviertel oder auf St. Pauli auszuforschen?
An wem war »Astrid Schütt« interessiert?
Wir hatten 2006 eine Antifa-Jugendgruppe, die hat ein Antifa-Jugendcafé organisiert, dabei habe ich am Tresen geholfen. Dort hat mich »Astrid Schütt« angesprochen. Ich habe ein Lied von Freundeskreis gesungen und sie hat mir angeboten, mir eine CD von der Band zu brennen. Das hat sie dann auch gemacht, das war ihr Einstieg. Damals gab es im Antifa-Jugendcafé öfter Veranstaltungen, zu denen auch Leute aus anderen Vierteln Hamburgs kamen, so hat sich niemand gewundert, als sie aus Altona kam.
Dann hat sie auch Minderjährige observiert?
Zum Teil sicher. Im Endeffekt war sie auch auf Minderjährige angesetzt. Im Café Flop und in den ganzen anderen Räumen im Haus sind sehr viele Minderjährige, die hier ihre Freizeit verbringen, die zum Kickern oder Tischtennisspielen kommen. Kontakt mit ihnen ist da unvermeidlich gewesen.
Gab es 2006 einen Anhaltspunkt für begangene oder geplante mögliche schwere Gewalttaten aus den Gruppen im Haus, die den Einsatz einer VE des LKA rechtlich begründen könnten?
Überhaupt nicht. Es gab im Jugendzentrum zwar eine Reihe von Polizeieinsätzen, aber da ging es immer um Ruhestörung. Mittlerweile haben wir das mit den Anwohnenden aber gut geregelt. Vor drei Jahren gab es mal eine Drogenrazzia im Haus, wo aber kaum etwas gefunden wurde. Den offenen Handel mit Drogen im Haus haben wir nie toleriert. Wegen schwerer Straftaten oder deren Planung war die uniformierte Polizei nie im Haus, es gab auch keine Ermittlungsverfahren, gar nichts. Nur eben die verdeckt observierende Polizistin.
War sie auch bei Ihnen oder anderen in der Wohnung?
Nein, wir haben uns immer im Café getroffen oder bei Konzerten woanders, etwa im Hafenklang. Das Café Flop ist ein erweitertes Wohnzimmer für viele Jugendliche, eine Art erweiterte Großfamilie. Da fiel die Ermittlerin nicht auf, sie musste auch zu niemandem in die Wohnung, konnte alle im Jugendzentrum sehen. Ein Freund von mir hat sich ziemlich geärgert, als ihm klar wurde, dass die vielen Biere, die er »Astrid Schütt« am Tresen vom Café Flop ausgegeben hat, von einer verdeckten Ermittlerin getrunken wurden, die die Zeit im Café auch noch als Arbeitsstunden abgerechnet hat.
Entwickelt sich die Stimmung im Jugendzentrum deshalb eher in Richtung Abschottung?
Wie soll das gehen? Etwa, dass Leute, die zusammen linke Politik machen wollen, gemeinsam ein Restaurant betreiben, und so genau wissen, von welcher Arbeit sie leben? Selbst das wäre keine Garantie. Und um etwas zu erreichen, muss man schließlich offen gegenüber der Gesellschaft sein. Gerade wenn die Gesellschaft sich so nach rechts entwickelt wie jetzt, kann die linke Szene sich nicht abschotten. Wer in diesem Land, wo Kontrolle zentral ist, auf linken Widerstand setzt, gerät nun einmal in den Blick der Polizei. Eine V-Leute-freie linke politische Struktur ist nicht möglich. Wenn der Staat will, kann er in linke Gruppen immer jemanden reinbringen, der sie beobachtet.
In Bergedorf sind viele Jugendliche antifaschistisch aktiv?
Ja, das liegt auch daran, dass es hier ein paar bekannte Nazis gibt. In den neunziger Jahren waren in Bergedorf und vor allem in Lohbrügge viele ­Nazis unterwegs, sie waren in den Stadtteilen auf der Straße präsent. Jetzt sind es weniger. Früher ist das Café Flop regelmäßig von Nazis angegriffen worden, auch nach 2002 – ich selbst habe vier Angriffe miterlebt.
Wie ist der Einstieg von »Astrid Schütt« im Jugendzentrum verlaufen?
Sie hat erzählt, sie sei gerade aus Italien zurück, hätte länger auf Sardinien gelebt und wolle jetzt wieder in Deutschland leben. Sie war nett und offen, ­interessiert an den Leuten – da ging es schnell, sie wurde freundlich aufgenommen.
Die Antifa-Jugendgruppe war offen und freute sich über den Neuzugang. Es waren sechs, sieben Leute, etwa 17, 18 Jahre alt. Es war aber keine explizite Jugendgruppe, wo keine Älteren mitmachen durften. Die verdeckte Ermittlerin erzählte, sie sei 21, heute wissen wir, sie war damals schon 24 Jahre alt.
Fiel das nicht auf?
In der Antifa-Jugendgruppe war sie zwar mit Abstand die Älteste, aber im Haus gab es auch ältere Leute. Ich war ja auch schon 23. Anfang der nuller Jahre gab es viele Veranstaltungen, die nicht nur Jugendliche ansprachen. Viele, die sich mal dort engagiert haben, kommen – wie ich – auch später noch gerne ins Haus.
Der selbstverwaltete Unser Haus e. V. erhält zwar staatliche Grundfinanzierung, aber es gibt keine bezahlten Stellen. Die Polizei hat also in ein staatlich gefördertes Jugendzentrum eine verdeckte Ermittlerin zur angeblichen Vermeidung schwerer Straftaten eingeschleust. Dabei war die Förderung immer auch umstritten. Der Bergedorfer CDU-Vorsitzende Dennis Gladiator hat etwa 2002 uns gegenüber sinngemäß gesagt, wenn ihr euch von eurer Antifa-Gruppe trennt, dann kürzen wir euch die Mittel nicht. Dann wurden die Mittel eben 2002 um ein Drittel gekürzt.
Was hat die Antifa-Jugendgruppe getan?
Sie hat viel Energie auf Bildungsarbeit verwandt, darauf, Jugendlichen Politik und Engagement nahezubringen. Das hat sie sehr gut gemacht. Die Gruppe war gut vernetzt in der linken Szene in der Stadt. Sie war aber nicht militant unterwegs, mit geheimen Treffen, um Nazis zu jagen oder so. Glaube ich jedenfalls nicht. Ich war ja nicht in der Gruppe, habe sie aber im Cafébetrieb und bei ihren Veranstaltungen erlebt.
Trotzdem beobachtete die verdeckte Ermittlerin die Gruppe weiter?
Ja, sie hatte auch ein gutes freundschaftliches Verhältnis mit einem Mädchen aus der Gruppe, das am besten in der linken und Antifa-Szene in Hamburg vernetzt war. Mit ihr zusammen ist sie nach dem Ende der Antifa-Jugendgruppe, Ende 2007, nach Altona gegangen, wo sie dann wohl im Antifa-Jugendcafé Mafalda mitgemacht haben. Sie ist danach nur noch selten ins Jugendzentrum gekommen.
Hat die verdeckte Ermittlerin eine aktive Rolle bei der Auflösung der ­Antifa-Jugendgruppe gespielt?
Nein, sie hat sich da wohl rausgehalten. Die VE hat dann zusammen mit einem der beiden in der Gruppe zuvor aktivsten Mädchen ihren Schwerpunkt nach Altona verlagert. Im Café Flop gibt es aber weiterhin antifaschistische Aktivitäten und Veranstaltungen, auch weil sich durch die Antifa-Jugendgruppe ein großes Umfeld an vielen interessierten Jugendlichen entwickelt hat.
Im Jugendhilfeausschuss der Bezirksversammlung Bergedorf war der verdeckte Einsatz von »Astrid Schütt« jetzt auch Thema?
Ja, bei der Sitzung am 31. Mai. Die Parteienvertreter von SPD und CDU haben das mehr ausgesessen, wollten das Thema schnell vom Tisch haben. Cornelia Frieß von der Linken hat den Antrag gestellt, den Einsatz zu missbilligen. Mit den Stimmen der Linken, Grünen und der freien Träger der Jugendhilfe wurde in einem Beschluss, ich zitiere, der »Protest des Jugendhilfeausschusses gegenüber diesem Missbrauch der Jugendeinrichtung Unser Haus e. V.« artikuliert und gefordert, »dass derartige Handlungen in Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit künftig unterbleiben«.
Seit einiger Zeit haben wir auch wieder staatliche Zuschüsse wie 2001, die Kürzungen sind zurückgenommen worden. Wir sind für das Jugendamt das preisgünstigste Jugendzentrum in ganz Hamburg, acht Stunden geöffnet an sechs Tagen die Woche.