Wie gehen die DGB-Gewerkschaften mit dem Erfolg der AfD um?

Arbeiter für Deutschland

Immer mehr Gewerkschaftsmitglieder machen ihr Kreuzchen bei der »Alternative für Deutschland«. Der Gewerkschafter und ehemalige Essener SPD-Stadtrat Guido Reil soll die Partei für Arbeitnehmer noch attraktiver machen.

So hatte sich das der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sicher nicht vorgestellt. Angesichts sinkender Wahlbeteiligung rufen die Gewerkschaften seit Jahren ihre Mitglieder dazu auf, wählen zu gehen. Lange verhallten diese Rufe des DGB wie auch zahlreicher anderer Organisationen und Institutionen, ohne viel Gehör zu finden. Das hat sich nun geändert. Sowohl bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin im September, als auch bei den Abstimmungen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, die im März stattfanden, stieg die Wahlbeteiligung signifikant. Gewinnerin dieser Entwicklung ist jedoch vor allem die AfD.
Obwohl die DGB-Gewerkschaften die AfD als rassistisch und arbeitnehmerfeindlich kritisieren und davor warnen, für die Partei zu stimmen, ­gewinnt sie auch unter Gewerkschaftsmitgliedern an Zuspruch. Nach Erhebungen der »Forschungsgruppe ­Wahlen« wählte in Mecklenburg-Vorpommern jedes fünfte Gewerkschaftsmitglied die AfD, in Sachsen-Anhalt gar jedes vierte. Die Unterstützung von Gewerkschaftern für die AfD ist jedoch nicht nur ein Phänomen der neuen Bundesländer. Auch im Westen wählen Gewerkschaftsmitglieder überproportional oft die AfD. Die zu Beginn spöttisch als »Professorenpartei« bezeichnete AfD ist heute unter Arbeitern die stärkste Kraft. Nach Informationen von Infratest Dimap wählten in Mecklenburg-Vorpommern 33 Prozent der Arbeiter die rechte Partei. In Baden-Württemberg konnte die AfD 30 Prozent der Arbeiterstimmen auf sich vereinen, während bei der einstigen Arbeiterpartei SPD nur noch 13 Prozent ihr Kreuzchen machten.
Auch langjährige Sozialdemokraten und Gewerkschafter suchen ihre politische Heimat inzwischen bei der AfD. Für ein großes Medienecho sorgte beispielsweise der Übertritt des Essener Stadtrats Guido Reil von der SPD zur AfD. Reil, zuvor 26 Jahre Mitglied der SPD, verließ die Partei im Mai nach heftigen Kontroversen um die Flüchtlingspolitik. Er stellte sich an die Spitze einer Bewegung, die die Unterbringung von Flüchtlingen im Essener Norden verhindern wollte und wurde durch Auftritte im Fernsehen bundesweit bekannt, in denen er die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung scharf kritisierte. Nachdem er mit seiner Kampfkandidatur um den stellvertretenden Vorsitz der SPD in Essen scheiterte, verließ er die sozialdemokratische Ratsfraktion und schloss sich im Juli der AfD an. Für diese will er nun nicht nur bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen kandidieren. Er wurde auch damit beauftragt, einen Landesverband der »Alternativen Vereinigung der Arbeitnehmer« (AVA) aufzubauen.
Gemeinsam mit der »Interessengemeinschaft Arbeitnehmer in der AfD« (AidA) soll die AVA die Arbeitnehmer in der AfD repräsentieren. Doch bislang galten beide eher als Kunstprodukt ohne tatsächliche Verankerung in der Arbeiterschaft. So sind zwei der drei Bundesvorstandsmitglieder der AidA bezeichnenderweise keine Arbeitnehmer, sondern selbständige Unternehmer. Bundessprecher Christian Waldheim ist Geschäftsführer seiner Consultingfirma EBS Consulting. Sein Stellvertreter Sascha Walther ist Geschäftsführer und Gesellschafter eines Sicherheitsunternehmens. Ebenso wie AidA blieb auch die 2015 in Dortmund gegründete AVA bisher vollkommen bedeutungslos. Bekannte betriebliche Interessenvertreter oder Gewerkschafter suchte man dort vergebens. Geht es nach dem AVA-Bundesvorsitzenden Uwe Witt, soll sich das nun ändern – dank des profilierten Gewerkschafters und ehemaligen Sozialdemokraten Reil. Mit dem Bergmann, der als Steiger im letzten Steinkohlebergwerk Nordrhein-Westfalens arbeitet, will die AfD auch aktive Gewerkschafter, Betriebs- und Personalräte für sich gewinnen. Reil sitzt nämlich nicht nur weiterhin im Essener Stadtrat – für die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) ist er Mitglied im Betriebsrat der RAG-Aktiengesellschaft (vormals Ruhrkohle AG).
Die IG BCE tut sich schwer im Umgang mit dem Übertritt ihres Mitglieds zur AfD. Auf Bundesebene hat sie sich klar gegen die AfD positioniert. Ihr Vorsitzender Michael Vassiliadis rät den Mitgliedern, der neoliberalen Politik der AfD aktiv entgegenzutreten. »Die AfD ist unser Gegner«, so Vassiliadis. Auch Kurt Hay, Vorsitzender des IG-BCE-Landesbezirks Westfalen, bedauerte gegenüber dem Journalistennetzwerk »Correctiv« den Eintritt Reils in die AfD. Das sei aber dessen Privatsache, so Hay. Er machte damit deutlich, dass ein Ausschluss Reils aus der Gewerkschaft derzeit nicht in Frage kommt.
Dem wachsenden Zuspruch für die AfD versuchen die Gewerkschaften nun mit Aufklärung in den Betrieben und unter der eigenen Mitgliedschaft entgegenzuwirken. Es sei »erschreckend«, dass Gewerkschaftsmitglieder überproportional oft die AfD gewählt hätten, sagte der DGB-Vorsitzende Hoffmann nach den Landtagswahlen im März. Er gab das Ziel aus, mit einer Aufklärungskampagne den »wahren Kern« der AfD offenzulegen. Die neoliberale und arbeitnehmerfeindliche Programmatik der AfD bietet dazu tatsächlich genügend Anlass. So fordert die Partei nicht nur die Abschaffung der Unfallversicherung und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit analog zur gestiegenen Lebenserwartung. Sie steht auch für weitere Privatisierungen. »Wir wollen auf breiter Front deregulieren. Je mehr Wettbewerb und je geringer die Staatsquote, desto besser für alle«, heißt es im Grundsatzprogramm der AfD. Hinzu kommen die Forderungen nach Abschaffung der Erbschafts-, der Vermögens- und der Gewerbesteuer.
»Angesichts der gewerkschaftsfeindlichen Grundhaltung der AfD« bleibe für viele Gewerkschaftsfunktionäre die Zustimmung von Arbeitnehmern und Gewerkschaftsmitgliedern für diese Partei »wenig nachvollziehbar«, heißt es in einer Stellungnahme des DGB zum Wahlausgang in Mecklenburg-Vorpommern. Eine Erklärung dafür, dass so viele Gewerkschafter entgegen ihren eigenen ökonomischen Interessen wählen, gibt es aber durchaus: Auch bei vielen Gewerkschaftern ist rassistisches und nationalistisches Denken so ausgeprägt, dass sie ihrer Ablehnung gegenüber allen Fremden sogar dann Ausdruck verleihen müssen, wenn sie selbst dabei ökonomischen Schaden nehmen.
Noch immer tun sich die Gewerkschaften schwer damit anzuerkennen, dass Gewerkschaftsmitglieder mindestens ebenso anfällig für rechtsextremes Gedankengut sind wie Nichtmitglieder. So ergab eine repräsentative Untersuchung schon 2005, dass bei 19 Prozent der befragten Gewerkschafter extrem rechte Einstellungen vorherrschen. Insbesondere rassistisches Denken ist auch unter Gewerkschaftern verbreitet. So stimmten 40 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder der Aussage zu, dass Deutschland »durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet« sei. Mit der AfD hat dieses Denken nun einen parteipolitischen Ausdruck gefunden, der auch von Gewerkschaftern Zuspruch erhält.