Proteste gegen den Einzug der AfD-Fraktionen in Berliner Bezirksverordnetenversammlungen

Blau im Bezirksamt

In Berlin zogen die AfD-Fraktionen in mehrere Bezirks­verordeneten­versammlungen ein – unter Protest.

Am Donnerstag vergangener Woche fanden sich 70 Menschen bei der Kundgebung vor dem Lichtenberger Gemeindehaus ein. Um ein Megaphon versammelten sich das »Lichtenberger Bündnis für Demokratie und Toleranz«, viele ältere, aber auch einige jüngere Personen, Mitglieder der VVN/BDA sowie die Bürgermeisterkandidatin der Linkspartei für Lichtenberg, Evrim Sommer. Von der anderen Straßenseite aus beobachteten drei Männer skeptisch die Zusammenkunft.
Anlass der Versammlung war der Einzug der AfD in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Lichtenberg sowie in die der übrigen zwölf Verwaltungsbezirke Berlins. Die Stimmung war entspannt, die Polizei mehr mit der vergeblichen Suche nach einer Rollstuhlrampe beschäftigt, die einen Zugang zum Gemeindesaal ermöglicht, als damit, die Demonstration im Zaum zu halten. Lediglich als die AfD-Fraktion vorbei an der Kundgebung das Gebäude betrat, brüllte jemand »Rassistenpack«.
Selbst für AfD-Verhältnisse sticht der Lichtenberger Bezirksverband politisch als besonders weit rechts hervor. In seinen Reihen befand sich bis vor kurzem noch Kay Nerstheimer, der Flüchtlinge als »widerliches Gewürm« bezeichnet hatte. Zudem äußerte er Verständnis für deutsche Kriegsverbrechen während des Nationalsozialismus. Zwar hat Nerstheimer die Fraktion verlassen, nachdem hochrangige AfD-Mitglieder ihr Unbehagen mit seiner Person bekundet hatten. Als gewählter Direktkandidat für den Wahlkreis Lichtenberg 1 wird er aber Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses bleiben. Zuletzt sorgte die Nominierung Wolfgang Hebolds zum Stadtratskandidaten für Aufsehen. Der ehemalige Privatdozent verlor wegen diskriminierender Äuße rungen über Muslime in diesem Jahr drei Lehraufträge an Berliner Hochschulen.
Wie mit den Wahlerfolgen der AfD umzugehen ist, bleibt in linken und bürgerlichen Kreisen umstritten. »Die in der BVV vertretenen Parteien sind mitunter überfordert, weil sie mit einem derartigen Erfolg der AfD nicht gerechnet haben«, sagte ein Vertreter des Protestbündnisses der Jungle World.
Auch in anderen Stadtteilen kam es zu Protesten gegen den Einzug von AfD-Fraktionen in die jeweiligen Bezirksvertretungen. Durch ihr Abschneiden bei der Wahl hat die AfD auch in sechs weiteren Bezirken das Anrecht, einen Bezirksrat zur Wahl zu stellen. Sie gewinnt dadurch für die kommenden Jahre ein Mitspracherecht im politischen Prozess. Die Weisungsbefugnisse der BVV sind zwar begrenzt, sie hat aber nicht nur Einfluss auf den Bezirkshaushalt, sondern auch auf die personelle Besetzung der Bezirksämter. Jede vertretene Fraktion hat das Recht, aus ihren Reihen einen Kandidaten zur Wahl des Stadtrats zu stellen, dem wiederum ein Ressort zugeordnet ist. Während ein Rechtsruck im Straßen- und Grünflächenamt niemandem schlaflose Nächte bereiten dürfte, hätte die AfD im Amt für Soziales nicht nur Einfluss auf die Jobcenter, sondern theo­retisch auch ein Mitspracherecht bei der Hilfe für Flüchtlinge. Ob es der Partei gelingen wird, solche wichtigen Posten zu besetzen, bleibt abzuwarten. Für gewöhnlich werden die Ämter der Bezirksstadträte zwar proportional zum Wahlergebnis verteilt, aber nach den Protesten am Donnerstag voriger Woche ist es nur schwer vorstellbar, dass alle anderen Fraktionen in den Versammlungen die Wahl eines AfD-Bezirksrates mittragen werden.
Trotzdem bleibt die Frage, wie im politischen Alltag mit der rechtspopulistischen Partei umzugehen ist. Auf Landesebene setzen die meisten anderen Parteien auf eine inhaltliche Auseinandersetzung. Andernfalls, so die Befürchtung, fiele es der AfD allzu leicht, die Rolle des ausgegrenzten Opfers einzunehmen. Von Äußerungen einzelner Mitglieder einmal abgesehen, scheint indessen die Berliner AfD bemüht zu sein, moderat aufzutreten und verbale Provokationen zu unterlassen. Das derzeitige Ziel der Partei, sich in der Stadt dauerhaft als akzeptable Kraft rechts der CDU zu etablieren, hat offenbar Priorität. Inhaltlich dürfte sie sich zunächst auf ihre Kernthemen »Linksextremismus«, »Kriminalität« und »Migration« konzentrieren. Themen also, die zuletzt auch der SPD-Politiker Tom Schreiber oder die Berliner CDU zu besetzen versuchten. Aber nicht nur inhaltlich gibt es Gemeinsamkeiten. Überläufer und Mitgliedschaften in gemeinsamen Vereinigungen verbinden CDU und AfD. So ist etwa der ehemalige CDU-Staatssekretär Michael Büge Mitglied der Berliner Burschenschaft Gothia, in deren Räumen sich immer wieder auch die Junge Alternative (JA) trifft. Und der CDU-Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahlen, Frank Henkel, ist Mitglied in der Burschenschaft Sängerschaft Borussia, ebenso wie sein AfD-Kollege Stefan Kerker.