Ein Besuch in Bautzen, der »Hauptstadt der Sorben«

Von Budyšin nach Bautzen

Die sächsische Stadt Bautzen geriet in jüngster Zeit wegen der rassistischen Angriffe auf Flüchtlinge in die Schlagzeilen. Früher
waren vor allem Angehörige der sorbischen Minderheit Opfer
von Rechtsextremen.

Bautzen: große Kreisstadt mit den vielen Türmen, der Ortenburg und dem Petridom, »Hauptstadt der Sorben« und seit längerem nun Ausflugsort für stolze Deutsche verschiedener Prägung, die nach den rassistischen Angriffen von Mitte September voll Hoffnung auf die Stadt schauen. »Bautzen bleibt deutsch!« rufen sie, von Parteigängern des »III. Weg« bis zu den thüringischen Pegida-Anhängern auf Demonstrationsrundfahrt, und genauso antworten die einheimischen Bürger, so schallt deren Echo in Presse und Netz.
Doch Budyšin, so der sorbische Name der Stadt, war nie nur deutsch. Schon der Bautzener Bürgereid aus dem frühen 16. Jahrhundert war zweisprachig. Lange war Deutsch nicht einmal Mehrheitssprache in der Stadt am Oberlauf der Spree. Auch als sich das Deutsche dann als städtische Mehrheitssprache etablierte, konnten sich die Städter lange nicht mit den Bewohnern der umliegenden Dörfer verständigen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts entstand schließlich ein Deutsch voll sorbischer Lehnwörter. Und viele derjenigen, die zurzeit »Bautzen bleibt deutsch!« schreien, haben Nachnamen, die ganz und gar nicht deutsch klingen.
Die Bahnanbindung der Stadt war früher besser, da konnte man sie direkt von Berlin aus erreichen – heutzutage muss man oft selbst von Dresden aus umsteigen. Vom einstigen Eisenbahnknotenpunkt Bautzen zeugt nur noch die Brachfläche am Bahnhof, das imposante Bahnhofsgebäude ist abgesperrt. Läuft man um dieses herum, stößt man auf ein Grafitto: »Nazis raus«. Zu Fuß in Richtung Kornmarkt kommt man am Polizeirevier vorbei. Hier befindet sich ein Gedenkstein, der auf Sorbisch und Deutsch an die Ermordung Ernst Thälmanns erinnert. Nach den Überresten der alten Stadtmauer kommt der Postplatz mit dem »Serbski Dom« (Haus der Sorben, Anm. d. Red.), einem mächtigen Nachkriegsbau. Zum Kornmarkt ist es nur noch ein Katzensprung. Die nahegelegenen Grünflächen wurden mit einem großen Shoppingcenter überbaut, dem Kornmarkt-Center. Am ­oberen Teil des Kornmarkts sitzen ein paar Trinker, vor dem Center stehen um eine silberne Halbkugel ein paar Bänke und Büsche. Eine Gruppe Jugendliche, darunter offenbar einige aus migrantischen Familien, hängt dort herum. Auf einer anderen Bank sitzen zwei junge Mütter mit Kopftuch und wiegen Babys in ihren Kinderwagen. Nichts, was man berichten müsste, wenn dies nicht Bautzen wäre. Auf dem Kornmarkt wurden Mitte September junge Flüchtlinge von einem Mob aus Neonazis und deren Unterstützern verfolgt, bereits zuvor war es an dieser Stelle immer wieder zu rassistischen Angriffen und Demonstrationen gekommen, daher die Rede von der »national befreiten Zone«, beziehungsweise dem »Nazikiez«.
An diesem Tag ist davon zum Glück wenig zu sehen. Auf der anderen Straßenseite befindet sich eine Bäckerei, von der aus dieser Teil des Kornmarkts sehr gut einsehbar ist. Auf die Frage, wie sie den 14. September erlebt habe und was sie von den Jugendlichen halte, die dort gerade säßen, antwortet die Verkäuferin: »Ich sage dazu nichts. Ich denke mir meinen Teil.« Auskunftsfreudiger sind die beiden älteren Verkäuferinnen im Haushaltsgeschäft nebenan. Sie seien bei den Ereignissen am Abend nicht dabei gewesen, aber zuvor hätten sie die Flüchtlinge selbstverständlich am Kornmarkt gesehen: »Hier waren sie friedlich, kann man nicht anders sagen.«
Vor dem Laden warten einige Mittzwanziger mit einer Flasche Sternburg-Bier in der Hand auf den Bus und unterhalten sich im lokalen Dialekt. Zu ihnen gehören Felix und Stefan. Sie säßen öfter auf der »Platte«, wie der Platz genannt wird, und tränken Bier, sagen sie. Ihr Verhältnis zu den Flüchtlingen, die sich dort ebenfalls treffen, sei meist entspannt. »Das wird ziemlich hoch­gespielt«, sagt Felix, die geflüchteten Jugendlichen seien eigentlich nett und entspannt, aber »sie vertragen keinen Alkohol«. Die Rechten hingegen provozierten und seien »sensationsgeil«, was man daran gesehen habe, dass sie sich gefreut hätten, als die Polizei gegen die Flüchtlinge vorgegangen sei, so Felix. Stefan erzählt, er habe im Flüchtlingsheim gearbeitet. Die meisten Flüchtlinge seien sehr korrekt, manche würden aber auch ausfällig, nähmen Drogen oder handelten mit diesen. Rechte gebe es in Bautzen aber kaum. An diesem Punkt widerspricht Felix: Bautzen sei die »rechteste Stadt Deutschlands«. Er komme aus Hamburg, sein Vater sei Türke, er sei mit 18 Jahren nach Bautzen gezogen und Punk gewesen.
Pingpong und Platte
Vom Kornmarkt sind es nur 200 Meter bis zum Steinhaus. Es war vor der Wende ein FDJ-Jugendklub. Anschließend wurde es besetzt. Das Steinhaus war Vorreiter bei Punkkonzerten in der Region und Ziel vieler Naziangriffe. 1992 wurde der Laden mit der Vereinsgründung legalisiert und über die Jahre immer weiter institutionalisiert. Mittlerweile ist es frisch saniert und aus der kulturellen Landschaft Bautzens kaum wegzudenken. Hier finden Konzerte, Ausstellungen, Workshops und vieles mehr statt. Hier sind alle Subkulturen – außer der rechten – schon einmal untergekommen. Und nicht zuletzt: Im Steinhaus sind refugees welcome. Jugendliche unterschiedlicher Herkunft treffen sich zu Aktivitäten wie Tischtennisspielen oder einfach zum Quatschen. Mit der Presse reden wollen die geflüchteten Jugendlichen jedoch nicht, wegen der reißerischen Berichterstattung über einige von ihnen. Außerdem hat das Landratsamt als Vormund Pressekontakte verboten.
»Das Steinhaus ist einer der ganz wenigen Orte, der sich den geflüchteten Jugendlichen wirklich geöffnet hat. Ein Ort, wo sie sich sicher fühlen können«, sagt Reno, der hier als Sozialarbeiter arbeitet. »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus«, ergänzt ­seine Kollegin Karo, auf den Kornmarkt anspielend. Im Steinhaus seien Freundschaften entstanden, bei denen die Herkunft in den Hintergrund tritt. Selbst Jugendliche, die vorher eher bei den Rechten waren, schlössen solche Freundschaften. Die Deutschen lernten zu differenzieren, und die Geflüchteten Deutsch an der Tischtennisplatte. Der Kornmarkt war schon immer ein Platz für alle möglichen Gruppen. Derzeit sind da vor allem: eine Gruppe von Nazis, Flüchtlinge und Freunde sowie Trinker. Er ist einfach ein zentraler Ort mit Sitzgelegenheiten. Wenn die Geflüchteten dort herumsitzen und Bier trinken, machen sie genau das Gleiche wie die Einheimischen. »Der Unterschied ist die Hautfarbe«, so Karo. Zugleich gebe es eine lange Geschichte von Provokationen gegenüber den geflüchteten Jugendlichen. Sie hätten nie eine Gelegenheit gehabt, sich mit den hiesigen Gepflogenheiten auseinanderzusetzen. »Die treffen hier auf eine Bürgerschaft, die um sechs die Bürgersteige hochklappt.« Das erkläre auch die vielen Anzeigen.
Annalena engagiert sich im Steinhaus für Flüchtlinge und unterstützt zwei Familien bei Behördengängen und Ähnlichem. Außerdem ist sie mit einigen Flüchtlingen befreundet, hat aber wenig direkten Kontakt mit den Jugendlichen. Am 14. September lan­dete sie eher zufällig am Kornmarkt, die Ereignisse des Abends schildert sie so: Einige Passanten hätten die Flüchtlinge mit rassistischen Sprüchen und Tätlichkeiten provoziert. Ein Mann mit Schäferhund sei aufgetaucht und habe diesem immer wieder »Fass!« zugerufen. Anwesende hätten versucht dazwischenzugehen, so Annalena. Als die Polizei gekommen sei, habe sie mit dem Hundebesitzer gesprochen. Nachdem die Polizei wieder weggefahren sei, hätten sich vor einem Edeka-Markt immer mehr Menschen gesammelt, desgleichen in den Seitenstraßen – hier mit eindeutig rechtsextremen Kleidungscodes. Die anwesenden Freunde und Bekannten der jugendlichen Flüchtlinge hätten versucht, diese dazu zu bringen, sich zurückzuziehen, doch diese seien nicht gegangen. Es sei immer klarer geworden, dass oben auf dem Kornmarkt Nazis sind, so Annalena. Sie habe versucht, die Polizei zu ­erreichen, doch niemand habe abgehoben. Währenddessen seien Pfiffe aus allen Seitenstraßen ertönt. Als die Polizei doch kam, hätten die Beamten keinen Anlass gesehen, die Flüchtlinge zu schützen. Dann hätten sie zunächst den Freunden der Flüchtlinge Platzverweise erteilt, um danach mit Pfefferspray gegen diese selbst vorzugehen. Als jemand angeboten habe, zu vermitteln, sei dies mit der Antwort »Platzverweis« abgelehnt worden. In dieser Situation könnte auch etwas geworfen worden sein, so Annalena, doch alles sei sehr schnell gegangen. Etwa 15 Flüchtlinge hätten acht bis zehn Polizisten gegenübergestanden, die den Rechten den Rücken zugewandt hatten. Diese hätten die Situation genutzt, um die Polizei von hinten zu überrennen und schließlich Jagd auf die Flüchtlinge in Richtung Friedensbrücke zu machen. Nach ihrer Rückkehr seien manche in Autos mit auswärtigen Kennzeichen gestiegen, so Annalena. Das wiederum könnte ein Hinweis darauf sein, dass es sich um einen organisierten Angriff gehandelt hat.
»Hier schweigt man gerne«, antwortet Annalena auf die Frage, ob sich die Stimmung in der Stadt seither geändert habe. Auch beim Husarenhof sei es so gewesen, einer geplanten Flüchtlingsunterkunft, deren Dachstuhl im Februar durch Brandstiftung zerstört wurde – was »besorgte Bürger« ausgiebig feierten. Selbst in ihrem Kollegenkreis finde sich diese Haltung, so Annalena, obwohl sie in einem sorbischen Umfeld arbeite und die sorbische Minderheit selbst Opfer von Naziangriffen sei. Der Vorsitzende des sorbischen Dachverbands Domowina und die ­Initiative für ein sorbisches Parlament hatten sich jedoch gegen Vereinnahmungsversuche seitens der Rechten ausgesprochen.
Neue Opfer, alte Täter
Mercin kommt aus einem Dorf in der Nähe von Hoyerswerda und ist in Bautzen zur Schule gegangen. Er ist Mitte 20 und hat einige Attacken selbst miterlebt. So kam es in Šunow (Schönau) beim Kermuška, dem Abschlussball des sorbischen Gymnasiums, zu Angriffen von Nazis auf Schülerinnen und Schüler, die sie für leichte Opfer hielten. Das geschah bei mehreren Partys. Gerade die jüngeren Leute überlegten sich daher genau, ob sie zu einer Party gingen, erzählt Mercin. Als die Angriffe öffentlich gemacht wurden, reagierte die Polizei und die Angriffe der Nazis hörten auf. Doch nun gehen diese auf Flüchtlinge los. »Wir hatten das zweifelhafte Glück, dass sich das dann gegen andere gerichtet hat«, so Mercin. Es seien auf jeden Fall dieselben Personen, die vor zwei Jahren Sorben und nun Flüchtlinge angriffen, vermutet er. Die Sorben reflektierten die derzeitigen Angriffe jedoch kaum. »Ich glaube nicht, dass sich das in der biergeschwängerten Diskussion groß von den Deutschen unterscheidet«, sagt Mercin zum Umgang mit dem ­Thema in der sorbischen Gemeinde. »Viele verstehen nicht, dass sich das jederzeit wieder gegen sie richten kann. Da herrscht die Mentalität: Was geht mich das an?« Dennoch war die NPD, die bei den vergangenen Wahlen versucht hatte, mit zweisprachigen Plakaten und dem Slogan »Domiznu Škitać – Heimat schützen!« in sorbischen Dörfern auf Stimmenfang zu gehen, bislang wenig erfolgreich. »Die sorbischen Plakate waren gleich alle weg. Und die Serbske Nowiny (sorbische Zeitung, Anm. d. Red.) hat kritische Artikel geschrieben«, sagt Mercin.
Das Sorbische dominiert in den Dörfern, auch wenn viele Vereine und Ins­titutionen der Minderheit in Bautzen sitzen. In den mehrheitlich sorbischen Dörfern im katholischen Dreieck zwischen Budyšin, Kamjenc (Kamenz) und Wojerecy (Hoyerswerda) gab es kaum Stimmen für die NPD. Die Gegend ist so fest in der Hand der CDU, dass auch Menschen, die weder die CDU noch den sächsischen Ministerpräsidenten schätzen, Parteimitglied werden müssen, wenn sie sich parteipolitisch be­tätigen wollen. In den sorbischen Dörfern hat sich eine Subkultur herausgebildet, die viel mit Metal zu tun hat, aber Punk und alternativen Jugendzentren gegenüber offen ist. Nazis kommen hier nicht besonders gut an, auch weil unter dem NS-Regime die sorbische Sprache in der Öffentlichkeit und das gesamte sorbische Vereinsleben verboten wurden. Im Anschluss an die jüngsten rechtsextremen Angriffe tauchten vielerorts auch Aufkleber einer »Antifašistiska Akcija« auf.
Im Steinhaus ist an diesem Tag eine größere Veranstaltung. Eine offene Bühne für Karaoke mit ausgesprochen guter Backingband und anschließender Jamsession bei vollem Haus. Für den 12. November ist die zweite Ausgabe vom Wočiń woči (»Augen auf«) geplant, ein Festival, das vor eineinhalb Jahren als antifaschistische Reaktion auf die Angriffe auf Sorben entstanden ist. Mittlerweile hat sich das Ziel der Attacken freilich verändert.