Der Gedenkmarsch von Neonazis in Remagen

Tränen vor der Schwarzen Madonna

Im rheinland-pfälzischen Remagen trauern Nazis um deutsche Kriegs­gefangene, die in den alliierten Rheinwiesenlagern umgekommen sind.

Es ist absurd, wenn der Nazikader ­Ralph Tegethoff im Kasernenhofton zur Heldenehrung ruft. Tegethoff steht, militärisch gekleidet, vor mehr als 200 Kameraden. Er sieht aus, als könne er jederzeit in einen Schützengraben springen. Eine kurze, von antisemitischen Anspielungen geprägte Ansprache, und dann kommt der Höhepunkt des jährlichen Aufmarsches in Remagen.
Zu den Klängen von »Ich hatt‘ einen Kameraden« stolzieren zwei Neonazis mit einem Kranz im Arm an den Rand der Kundgebung. Einer ähnelt mit seinem langen Bart einem Salafisten, der andere einem Gabber-Partygänger. Das Gesteck wird abgelegt, und Tegethoff beschwört die gefallenen Soldaten vom kaiserlichen Heer bis zur Luftwaffe im Nationalsozialismus. Die anwesenden Nazis antworten auf den Ruf Tegethoffs mit einem lautstarken »Hier«.
Eigentlich ein lächerliches Schauspiel. Die Teilnehmer der Kundgebung, größtenteils Männer, zelebrieren ein »Heldengedenken«, als wäre der Krieg nie verloren worden, als wären sie die Führungselite des Deutschen Reiches. Würden sie ein Live-Rollenspiel betreiben, wäre man fast geneigt, sie für ihre überzeugende Performance zu beglückwünschen. Doch leider meinen sie ernst, was sie da treiben. Das »Heldengedenken« in Remagen ist ein klassischer Naziaufzug, wie es ihn zurzeit nur selten gibt.
Ab dem Frühjahr 1945 wurden Hunderttausende deutsche Soldaten entlang des Rheins in den sogenannten Rheinwiesenlagern interniert. Dort ging es ihnen am Anfang nicht sonderlich gut, die Versorgung war schlecht, Krankheiten breiteten sich aus. Zwischen 8 000 und 40 000 Kriegsgefangene starben in den Lagern. Bei den Nazidemonstranten hört sich das ganz anders an. Sie betrauern eine Million tote »Helden«.
Wer in Remagen paradiert, darf sich einer selbsternannten nationalsozialistischen Elite zugehörig zählen. Es handelt sich nicht um einen Aufmarsch, wie er jedes Wochenende irgendwo in Deutschland stattfindet. Forderungen nach »Arbeitsplätzen zuerst für Deutsche« oder einem Ende der »Überfremdung« hört man hier nicht. Alkoholisierte Hooligans sind nicht zu sehen. Die Organisatoren des Aufmarsches wollen solche Leute nicht dabeihaben. Auf ihrer Website werden sie sehr deutlich, wer sich in Remagen versammeln soll: »Wir rufen bewusst nicht die Masse auf, sondern die Kameraden zusammen, die mit ihrem Auftreten ein Bild des kommenden Deutschlands ausstrahlen.« Zudem gibt es klare Verhaltensregeln. Beim Aufmarsch soll weder getrunken noch geraucht werden, Telefone sind auszuschalten, die Teilnehmer sollen auf ihre Kleidung achten.
Die Organisatoren betreiben teils seit Jahrzehnten Holocaust-Relativierung und NS-Verherrlichung und ver­fügen über internationale Kontakte. Anmelder der Demonstration war über Jahre Christian Malcoci. Malcoci lebt an der deutsch-niederländischen Grenze und ist seit 1980 im Nazimilieu tätig. Er gehörte zur »Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten« des verstorbenen Michael Kühnen und mischte nach deren Verbot in der rechtsextremen Partei FAP mit.
Ab den späten neunziger Jahren wandte Malcoci sich den Kameradschaften zu. Dort trat er immer wieder als Redner und Organisator auf. Wer Kontakte zu militanten Nazis in den Niederlanden haben wollte, kam an Malcoci nicht vorbei. In zwei Fällen soll Malcoci auch Neonazis, die in Deutschland wegen Straftaten gesucht wurden, bei der Flucht in die Niederlande geholfen haben. In Remagen sitzt Malcoci, der körperlich in schlechter Verfassung ist, nur noch auf dem Beifahrersitz des Lautsprecherwagens. Die Teilnahme am »Heldengedenken« lässt er sich allerdings nicht nehmen. Doch verzichtet er seit einigen Jahren weitestgehend auf öffentliche Auftritte.
Auch Tegethoff gehört schon seit Jahrzehnten zum Nazimilieu. 1983, im Alter von 20 Jahren, wurde er beim Sprengen einer Rohrbombe festgenommen. Tegethoff war in der Wiking-Jugend, der FAP und der Heimattreuen Deutschen Jugend. 2004 trat er gemeinsam mit Thomas Wulff und Thorsten Heise in die NPD ein.
Damals war das Verbotsverfahren gerade gescheitert, und der Eintritt der drei Neonazis war als unmissverständ­liches Signal zu verstehen: Bekennende Nationalsozialisten haben einen Platz in der NPD. Auch Tegethoff hat sich, bis auf die Auftritte in Remagen, weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er betreibt einen Militariaversand, in dem es neben Wehrmachtsuniformen auch Dekowaffen zu kaufen gibt. Solche Waffen umzubauen, ist mit etwas Geschick leicht möglich.
Die Antifa Bonn/Rhein-Sieg sieht Tegethoff als »zentralen Ausbilder« der Nazijugend. Auf seinem Grundstück bei Bad Honnef veranstaltete Tegethoff gerne Geländespiele. Bei »Führer-Things«, so der Name der Treffen, wurde die Arbeit der Kameradschaften ­koordiniert. Obwohl Tegethoffs Name immer wieder in der Anklageschrift gegen das »Aktionsbüro Mittelrhein« auftaucht, wird nicht gegen ihn ermittelt. Die Mitglieder der Gruppe sitzen seit vier Jahren wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung auf der Anklagebank.
Einer der Angeklagten im Prozess gegen das Aktionsbüro ist Sven Skoda. Er ist jünger als Malcoci und Tegethoff, aber auch schon seit Mitte der neunziger Jahre einschlägig bekannt. Für die Organisation des Aufmarsches in Remagen hat er ­Kader der Partei »Die Rechte« aus Nordrhein-Westfalen um sich geschart. Und so wundert es nicht, dass Neonazis aus Dortmund am Samstag bei der Kundgebung den größten Block und mit dem ehemaligen Dortmunder Feuerwehrchef Klaus Schäfer einen der Hauptredner stellten.
Das Remagener Gedenken dient den Nazis als Selbstversicherung, ihre Inszenierung ist einfach und deutlich an den historischen Nationalsozialismus angelehnt. Die Bevölkerung des Ortes steht dem zwar ablehnend gegenüber, aber auch sie ist Teil des Problems. Die Schwarze Madonna, das Ziel des Aufmarsches, ist auch im Ort beliebt. Es handelt sich um eine Skulptur, die einer der Gefangenen in den Rheinwiesenlagern angefertigt hat. Die Marienfigur soll an das Leid der Soldaten in alliierter Gefangenschaft erinnern.
Wenn die Nazis aufmarschieren, wird sie zwar verhüllt, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Spektakel findet allerdings nicht statt. Stattdessen veranstaltet man eine »Meile der Demokratie«, kilometerweit entfernt von den Nazis. Den einzigen inhaltlichen Gegenpol bildet die jährliche antifaschistische Demonstration. Mit 500 Teilnehmern war sie in diesem Jahr relativ groß. Die Antifaschisten durften unbeachtet und unbehelligt durch Remagen ziehen. Versuchten sie, sich den Nazis direkt in den Weg zu stellen, setzte es Stockschläge und Pfefferspraysalven durch die Polizei.
Remagen, im »romantischen Rheintal«, möchte seine Ruhe. Dass zu den Nazis auch noch die »linken Extremisten« kommen, störe den Frieden im Touristenort, ist auf dem Demokratiefest zu hören. Mit dieser Haltung wird man wohl noch in zehn Jahren den NS-verherrlichenden Aufmarsch in dem Dorf begrüßen dürfen.