Die Musik des Londoner Trios Kero Kero Bonito

Für die Laminattanzfläche

Manchmal muss es direkt sein: Das Londoner Trio Kero Kero Bonito begeistert sich für Supercomputer und unverfrorene Vordergründigkeit.

Ein bisschen wie die Disco am Abschlussabend des Skilagers 1998 mitsamt der Erinnerungen an stechende Kopfschmerzen am nächsten Morgen, so klingen Kero Kero Bonito beim ersten Hören. Schmerzhaft eingängige Synthie-Hooks, gepitchte Baby-Girl-Stimmen und mal ein »Yo-Yo« an der richtigen Stelle. Die vergessene Konservenband einer Bravo-Hits-Compilation der späten neunziger Jahre. Wobei die Mitglieder von Kero Kero Bonito damals wohl noch selbst vor den Ghettoblastern der Lehrerschaft tanzten, bis der CD-Player nachts irgendwann ausstieg.
Erst 2014 trat das Londoner Trio erstmals mit dem selbstgemachten Mixtape »Intro Bonito« hervor und präsentierte darin ihre kunterbunte Welt aus Videospielsound, Dancehall und japanischem J-Pop. Kero Kero ist im Japanischen der lautmalerische Ausdruck für das Quaken eines Fröschchens und Bonito ein Fisch aus der Familie der Makrelen und Thunfische. Die Neigung zu Japan zeigte sich schon, als Jamie Bulled und Gus Lobban am Londoner Stadtrand die Idee für ihre Band ausheckten: Sie wünschten sich einen Mitmusiker, der Japanisch spricht, und schalteten eine Anzeige, die auf japanische Expats zielte. Sarah Perry war eine der ersten, die antwortete, und schien wie die perfekte Besetzung mit ihrer Vergangenheit in einer japanischen Girlgroup. Kero Kero Bonito sind also tatsächlich nicht so weit entfernt von dem Konservenpop der Casting-Bands, den sie zu ihrem waghalsigen Mix verwursten.
Es folgte das erste Konzert – in einem Altersheim. Organisiert wurde es von einem befreundeten Songwriter, der auch karitativ tätig ist. Dann kam das erste Album. Nun folgt mit »Bonito Generation« das zweite, auf dem britischen Label Double Denim, das auch durch die Veröffentlichung der US-amerikanischen Singer-Songwriterin Empress Of auf sich aufmerksam machte. Hari Ashhurst, Mitbegründer von Double Denim, sagte dem britischen Magazin Dummy: »Als ich Kero Kero Bonito das erste Mal hörte, war es, als wäre ich in einen sehr verrückten und lustigen Kaninchenbau gefallen.« Solche Anspielungen auf »Alice im Wunderland« sind keinesfalls abwegig im Zusammenhang mit dem Londoner Trio. So hüpft Sängerin Sarah Perry in ihren überdrehten Videos auf Glitzertrampolins oder rappt in pinken Trash-Outfits in den Fussgängerzonen dieser Welt auf Englisch und Japanisch über Supercomputer, Verbrechen mit Schusswaffen und Supermarktangebote.
Doch in den eskapistischen Glitzertraumwelten von Kero Kero Bonito liegt auch immer die in der Gegenwart verankerte Gleichzeitigkeit von gelangweiltem Konsum, Leistungsverweigerung und dem steten Strom schlechter Nachrichten. So unverzichtbar das Casio-Minikeyboard für den Trash-Sound von Kero Kero Bonito ist – meist liefert es das Fundament der Stücke –, die Songs auf »Bonito Generation« beschränken sich nie auf ihre einnehmende Einfachheit. So schimmert durch die Lollipop-Oberfläche auch immer ein feineres musikalisches Gespür, als das erste Hören vermuten ließe.
Zugegeben, etwas Durchhaltevermögen ist vonnöten, um sich durch den vordergründig peinigenden Kitsch auf »Bonito Generation« zu hören. Nach mehrmaligem Durchlauf aber lassen sich Perlen entdecken: Im Refrain von »Fish Bowl« blitzt ein bemerkenswertes Shoegaze-Riff auf, »Big City« trifft mit verspielter Lust an unerwarteten Soundschnipseln und in »Break« und »Lipslap« ist der Eingängigkeit und pumpenden Tanzwut kaum zu entkommen. Wenn diesem Album aus abgedrehtem Mash-up-Pop etwas fehlt, sind es ruhigere Töne. Im Interview mit dem Guardian beichtete Songschreiber Lobban seine Abneigung gegen die Uneindeutigkeit vieler zeitgenössischer Electronic-Musiker: The XX, Four Tet und Burial sängen nicht wirklich, man verstehe nicht, was sie sagten, und das Ganze halte 20 Minuten an. »Wir sagten uns einfach: Was zum Teufel soll das? Das spricht einfach nicht zu uns.« Als Antwort wollte Lobban mit seinen beiden Komplizen »die direkteste neue Popmusik machen«. Also »konzis, hyperpräzise, kein Element verschwendet. In einem Track wie ›My Party‹, gibt es nur eine Bass-Line, Gesang, eine superklare Botschaft, ein paar lustige Soundbits und eine strenge Struktur – that’s it. Es braucht nicht mehr.«
Angesichts dieser Selbstdarstellung klingt der vermeintliche Hit »Trampoline« wie die Quintessenz der Band: Der Song vereint Perrys Liebe für Videospielsoundtracks wie den von »Tomb Raider« mit Lobbans und Bulleds unverfrorener Lockerheit in der Verwendung trashiger Hooks, Effekte und Beats, und klingt mit seinem gepitchten Gesang wie der Rückgriff auf die Generation der Jump ’n’ Run-Videospiele. Dazu heißt es: »Life looks better / When you’re on your trampoline / But keep an eye on gravity / And don’t forget / To bounce.«
Ein Album für melancholische Abendspaziergänge ist es also nicht. Diese Musik gehört auf Laminattanzflächen – oder in die nach irgendwelchen Dienstleistungsanbietern benannten Multifunktionshallen Berlins, Seouls oder Tokyos. So zeugen die Zitate in Kero Kero Bonitos Sound auch von den Umwälzungen in der kommerziellen Musikwelt der vergangenen 30 Jahre. Als in den Neunzigern der Milliardenkuchen noch zwischen Majorlabels und Musikfernsehen aufgeteilt wurde, sind beide heutzutage längst nicht mehr unverzichtbar, um einen einträglichen Megahit zu lancieren. Kero Kero Bonito weisen somit auch eine Verwandtschaft zum über zwei Milliarden mal angehörten »Gangnam Style« des südkoreanischen Musikproduzenten Psy auf. Der musikalisch meist weitsichtige Guardian prophezeit dem Londoner Trio ein baldige Zusammenarbeit mit Katy Perry. Für den weltumspannenden kommerziellen Pop könnten Kero Kero Bonito die Hoffnung auf neue Lebensgeister darstellen.
Kero Kero Bonito: Bonito Generation
(Double Denim/Alive)