Vom Festhängen eines sympathischen Zauderers

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Egal, wie doof man Jahresbestenlisten findet, »Diese verdammten Träume« gehört unbedingt drauf. Miles Roby heißt die Hauptfigur in Richard Russos 750 Seiten starkem, bereits 2001 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnetem Roman. 15 Jahre später liegt er nun auch in deutscher Sprache vor.
Angesiedelt ist die Handlung im neuenglischen Provinzstädtchen Empire, das dem amerikanischen Original den ironischen Titel gibt: »Empire Falls«. Die glorreichen Zeiten, in denen hier Textilfabrikanten das Sagen hatten, sind lange vorbei. Die Erben haben trotzdem ihre Finger im Spiel. Mrs. Whiting etwa gehört die halbe Stadt. Auch der Diner, in dem der freundliche Miles Bulettenbratfett umherschwappen lässt, zählt dazu.
Miles ist nicht frustriert, richtig glücklich ist er aber auch nicht. Das hat er mit vielen Einwohnern Empires gemein. Ach, diese gottverdammten, unerfüllten Träume: Als seine Mutter vor 20 Jahren im Sterben lag, brach Miles das Studium ab. Seither hängt er fest in diesem Ort. Er ist hin- und hergerissen, er will weg und will es auch wieder nicht. Er ist ein Zauderer, ein Ja-Sager, der sich niemals zu einem Nein durchringen kann; ungemein sympathisch gezeichnet ist er außerdem.
Eine große Stärke des Romans ist die ruhige erzählerische Kraft, mit der Russo sein Panorama der US-amerikanischen Gesellschaft in Gestalt eines Kleinstadtdramas vor dem Auge des Lesers bildhaft entstehen lässt. Die Schwächen, Lügen, Sehnsüchte, mitunter auch schweren Schicksalsschläge des Romanpersonals hat der Autor mit weisem Humor entworfen. Kann gut sein, dass man sich verliebt in dieses Buch und seine Figuren – und selbst zu träumen beginnt.
Richard Russo: Diese gottverdammten Träume. Aus dem amerikanischen Englisch von Monika Köpfer. Dumont-Verlag, Köln 2016, 772 Seiten, 24,99 Euro