Ehemalige und derzeitige Mitarbeiter der ­Jungle World im Gespäch: Das große Abendmahl

Einer musste nüchtern bleiben

Bilanz ziehen nach 20 Jahren. Über das Grundsätzliche reden. Dazu haben sich neun heutige und ehemalige »Jungle-World«-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen getroffen. Nicht am Konferenztisch, sondern zu einem fürstlichen Abendmahl. Einige von ihnen sollen debattieren und moderieren, andere kochen und bewirten, wieder andere das Ganze dokumentieren. Gegessen und getrunken wird zusammen.

An der Wand prangt Wladimir Iljitsch Lenin samt Zitat: »Wir müssen uns für die Anliegen der Menschen interessieren, damit sich die Menschen für unser Anliegen interessieren.« Wir sind bei Heiko von Schrenk zu Hause. Die Raumgestaltung ist nur mit seiner Freude an kurioser Graphik zu erklären. Heiko hat der Jungle World ihr alles andere als leninistisches Layout verpasst. Heute trägt er eine weiße Kochjacke und ist der Gastgeber. Er hat ein sechsgängiges Menü vorbereitet.
Ivo Bozic kommt bereits Viertel vor sieben, guckt neugierig in die Töpfe. Kurz darauf stehen Ferdinand Muggenthaler und Daniel Steinmaier in der Tür. Heiko garniert die Teller für die Vorspeise. Als nächstes kommen Bernd Beier und Wolf-Dieter Vogel, schließlich treffen Irene Eidinger und Julia Hoffmann ein, sie haben Champagner dabei.
Einer fehlt noch: der Zeichner.  Während alle auf Andreas Michalke warten, gibt es Champagner Gosset, dann einen Crémant de Loire. Ein Anruf ergibt: Michalke hat den Termin vergessen, macht sich aber sofort auf den Weg.
Zeit für den ersten Gang: Ziegenkäse im Schinkenmantel mit Oliven und ­Salat aus dem eigenen Hochbeet. Dazu wird ein Weißwein serviert: Touraine.
Die älteren Kollegen erzählen von den ersten Jahren: Sonntagabends ging man von der Redaktion aus gemeinsam essen. Danach Dosenbier, etwas zu ­kiffen besorgen, zurück ins Büro. Die Teller sind fast leergegessen, als die ­geplante Debatte beginnt.

 

Wolf-Dieter Vogel: Die Jungle World versteht sich ja als Plattform, auf der linke politische Diskussionen ausgefochten werden. Aber stimmt das überhaupt noch? Selbst früher wurde in der Redaktion nicht immer viel diskutiert.

Julia Hoffmann: Das kann ich kaum glauben, dass es da nicht harte Diskussionen in der Redaktion gegeben hat – vor allem in Zeiten, als die Jungle World in der linken Debatte eine besonders starke Rolle gespielt hat.

Ferdinand Muggenthaler: Also ich erinnere mich noch an das Dossier von Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso, das 2002 einen sehr großen Konflikt hervorgerufen hat – in der Autorenschaft und unter den Lesern. Sie hatten damals geschrieben, die antideutsche Linke habe das Muster einfach nur umgedreht, es dürfe keine bedingungslose Solidarität mit Israel geben, man müsse die Unterdrückung der Palästinenser sehen. Damals wurde ja viel darüber diskutiert, ob man solchen Positionen einen Platz einräumen ­sollte.

Bernd Beier: In dem Dossier wurde systematisch die Hamas ausgeblendet, das war der Punkt. Und die hatte seit Mitte der neunziger Jahre mit Selbstmordattentaten den Oslo-Prozess torpediert.

Ferdinand: Die Hamas kommt in dem Dossier schon vor. In einem Absatz, in dem sie sagen, dass Selbstmordattentate natürlich nicht links seien und Wahnsinn, aber eben auch Folge der israelischen Besatzungspolitik.

Wolf-Dieter: Gibt es denn in der Linken überhaupt noch solche grundsätzlichen Richtungsstreits?

Julia: Streitigkeiten gibt es schon, aber in der Form wird das bei uns nicht mehr ausgefochten. Die Disko-Seite ist  der Ort, wo das stattfinden sollte, und da überlegen wir uns vorher, ob wir eine bestimmte Meinung im Blatt haben wollen. Das macht es auch ein bisschen stromlinienförmiger. Heute würde man eine Position wie in dem Dossier 2002 nicht mehr drucken.

Bernd: Das ist die Frage.

Julia: Nein, nie im Leben, du würdest als CvD an die Decke gehen, wenn jemand so einen Text anschleppen würde.

Bernd: Die Position, die damals in dem Dossier vertreten wurde, wird so heute ja nicht mehr vertreten, die Islamisten haben Gaza im Griff, das war damals nicht so. Aber kontroverse Beiträge bringen – selbstverständlich wollen wir das. Nach dem Kölner Silvester hat es bei uns in der Redaktion doch auch gekracht. Da gab es auch bei uns Leute, die gesagt haben: »Finger weg, das nutzt nur den Rechten.« Zum Glück, wie ich finde, haben wir stattdessen die Zeitung so weit geöffnet, dass das diskutiert werden konnte. Dafür muss man dann aber eben auch ein paar Positionen ­zulassen, die vielleicht nicht jedem schmecken.

Julia: Bei der ganzen Postcolonial-­Geschichte ist das aber anders.

Bernd: Da gibt es auch eine Auseinandersetzung.

Julia: Die wird aber nicht bei uns im Blatt geführt.

Irene Eidinger: Wir hatten doch im September einen sehr pointierten Schwerpunkt zu Critical Whiteness.

Julia: Da war allerdings kein Debattenbeitrag dabei. Keine Position, die sich beispielsweise auch positiv auf Critical Whiteness bezogen hätte.

Irene: Außerdem hatten wir vor zwei Jahren in der Redaktion eine große Diskussion über einen Text zum Thema. Schließlich wurde der Text dann nicht gedruckt. Jedenfalls war das eine der produktivsten Redaktionssitzungen. Weil sich da wirklich alle eingebracht haben und auf höchstem Niveau dis­kutiert wurde, stundenlang. Klar, so etwas kostet Kraft, aber ich empfand das als sehr konstruktiv.

Bernd: Besser ist es, wenn es im Blatt steht.

Julia: Das glaube ich auch, so eine ­Debatte muss sogar im Blatt stehen. Es ist zwar schön, wenn man sowas am Tisch diskutiert, aber da haben die Leser dann ja nichts davon.

»Was sich geändert hat, ist auch, dass das von vielen Linken in den Neunzigern befürchtete Szenario, dass Deutschland die Vorreiterrolle bei der Faschisierung der Welt übernimmt, nicht eingetroffen ist. Jetzt scheint es genau umgekehrt.« Bernd Beier

Wolf-Dieter: Lebhafte Debatten gab es doch zum Beispiel 2001 zu 9/11 oder beim Irak-Krieg 2003. Da haben dann einige Autoren gesagt, wir schreiben jetzt nicht mehr für die Jungle, und es gingen viele Abos verloren. Gibt es heute noch Positionen oder Thesen, die so provozieren wie damals das berühmte »Fanta statt Fatwa«?

Julia: Dass mit einem Schlag 200 Leute ihre Abos kündigen, weil sie sagen, wir seien Kriegstreiber, das gibt es schon seit langem nicht mehr. Das liegt, glaube ich, daran, dass die heutigen Leser wissen, wie die Jungle funktioniert, und auch dabeibleiben, selbst wenn da mal ein Artikel ist, den sie doof finden oder der sie ärgert. Man muss ja auch sehen, dass uns sehr viele Leser sogar seit 20 Jahren treu sind. Wir haben immer noch 260 Abonnenten der allerersten Stunde, für die ist dies hier die 1 000. Jungle World-Ausgabe.

Irene: Ich glaube weniger, dass es an den Lesern und Leserinnen liegt, sondern daran, dass in der Linken umstrittene Themen wie 9/11 oder der Irak-Krieg gerade nicht auf der Agenda stehen. Es ist ja nicht so, dass wir eine Abonnentenschaft haben, die nicht auch kündigen würde, wenn die Jungle zu einem wirklich harten Thema eine Meinung vertreten würde, die sie ablehnt.

Julia: Welches Thema könnte diese Sprengkraft heutzutage haben? Selbst Syrien hat es ja offenbar nicht, obwohl es in der Linken doch sehr diverse Positionen zu Assad, zur Rolle Russlands und zur syrischen Opposition gibt und obwohl wir sehr eindeutig Position bezogen haben gegen Assad, den Iran, den IS und auch die Türkei. Trotzdem wurde uns, anders als 2003 beim Irak-Krieg, nicht Bellizismus vorgeworfen.

Bernd: Nun ja, vor zwei, drei Jahren war diese Bellizismus-Geschichte endgültig tot, als in der eher antiimperialistischen Linken Leute gesagt haben: Wir setzen jetzt auf die PKK und die YPG, die ja in Syrien und im Irak von US-Bombern unterstützt werden.

 

20.50 Uhr, erste Rauchpause. Die Raucher, also fast alle, verschwinden im Garten. Heiko ruft: »Die Nichtraucher räumen ab!« 21.05 Uhr, der zweite Gang: Mulligatawny Soup, bekannt aus »Dinner for One«. »Cultural Appropriation«-Soup, sagt Heiko. »So stellen sich Briten indisches Essen vor.«

 

Wolf-Dieter: Es wurde ja gerade draußen über das Buch von Markus Mohr gesprochen, über die Relativierung der antisemitischen Selektion bei der Flugzeugentführung von Entebbe 1976, bei der Mitglieder der deutschen »Revolutionäre Zellen« beteiligt waren. Würdet ihr heute eine Debatte zu dieser These bringen? Wäre das nicht ein Thema, mit dem man eine Debatte provozieren könnte? Oder fühlt man sich nicht eher ganz wohl in dem Rahmen, in dem man sich bewegt, und möchte so ein Fass lieber nicht aufmachen?

Bernd: Ein Problem bei dieser Geschichte ist, dass sie so rückwärtsgewandt ist. Jetzt die Siebziger nochmal durchzunudeln, da kriegst du nicht viele ­Erkenntnisse, die für heute bedeutend sind. Ich meine, die radikale Linke ist in den letzten 20 Jahren nicht stärker geworden, die schrumpft doch munter vor sich hin. Entsprechend ist es auch schwieriger, noch interessante Positionen ins Blatt zu kriegen.

Es ist inzwischen 23.20 Uhr, Zeit für den fünften Gang. Heiko serviert Tarte Tatin mit Heidelbeeren und Vanilleeis. Dazu ein weißer Dessertwein aus Banyuls

Ferdinand: Ich weiß nicht, ob sich die Jungle World eingerichtet hat. Ich denke eher, dass sich die gesellschaftliche ­Situation so verändert, dass es tatsächlich auch ganz gut ist, dass man sich nicht immer vor allem auf innerlinke Kleinkriege bezieht. Schauen wir doch nur einmal auf das Gründungsthema der Jungle World: nationale Mobilisierung, Rassismus, rechter Vormarsch. Das alles ist mit Pegida und AfD viel stärker zurückgekommen, als es damals schon war. Da gibt es eine so scharfe gesellschaftliche Polarisierung, dass man das Gefühl hat, man müsse Merkel gegen einen militanten Deutschnationalismus verteidigen. Angesichts dieser politischen Trends ist es ja auch klar, dass es viel größere Probleme gibt als die Meinungsverschiedenheiten in der Linken. Ich denke, es ist ja kein Wunder und es liegt auch nicht nur an den ­jeweils persönlichen Beziehungen zu Deniz Yücel, dass die Jungle World sich nun mit der Welt zusammen für ihn einsetzt. Da hat es schon auch eine Verschiebung in den politischen Auseinandersetzungen gegeben im Laufe der Jahre.

Julia: Das liegt ja nicht daran, dass die Jungle World ihre Positionen aufgegeben hätte. Die Welt zum Beispiel hat sich in diesen 20 Jahren viel stärker verändert.

Ivo Bozic: Bei Themen wie Pressefreiheit, Menschenrechten, Islamismus, Universalismus ist die Auseinandersetzung mit den libertären, auch liberalen und bürgerlichen Teilen der Gesellschaft ja wohl auch wichtiger in diesen Zeiten. Die sind uns vom Ziel her in diesen konkreten Punkten einfach näher als große Teile der Oldschool-Linken. Was will man mit Leuten diskutieren, die »Fatwa statt Fanta« als linke Position verstehen?

Bernd: Was sich geändert hat, ist auch, dass das von vielen Linken in den Neunzigern befürchtete Szenario, dass Deutschland die Vorreiterrolle bei der Faschisierung der Welt übernimmt, nicht eingetroffen ist. Jetzt scheint es genau umgekehrt. Weil die Verhältnisse international so heruntergekommen sind, wird Deutschland mit Merkel schon fast als antifaschistischer Hoffnungsschimmer gesehen.

»Man muss auch sehen, dass manche Positionen, die die Jungle früher exklusiv hatte, sich inzwischen durchgesetzt haben. Wir sind nicht mehr die einzigen, die Antisemitismuskritik an der Linken üben. Da hat sich die Position der Jungle World ansatzweise in der gesellschaftlichen Mitte etabliert, und das ist ja auch gut so.« Ferdinand Muggenthaler

Julia: Was man in den letzten Monaten in der Jungle World zu Merkel gelesen hat, war ja auch keine dezidiert antideutsche Position mehr, im Gegenteil, das war oft sogar affirmativ.

Bernd: Also, die Scheinheiligkeit der deutschen Flüchtlingspolitik haben wir schon immer sehr stark kritisiert.

Ferdinand: Das würde ich trennen: Natürlich ist es richtig, dass es in der politischen Debatte gut ist, wenn jemand wie Merkel nicht auf den AfD-Kurs aufspringt. Das heißt aber nicht, dass man die ökonomischen Machtverhältnisse legitimieren muss.

Bernd: Was man nicht vergessen hat, ist, dass der deutsche Kurs in der Finanz- und Wirtschaftkrise nach 2008 brachial war für alle Länder in Europa, die verschuldet waren. Griechenland haben sie de facto ruiniert. Da haben wir Merkel und ihre Regierung nie mit Kritik verschont. Auf der anderen Seite hat die Diskussion über Europa jetzt eine andere Dynamik als vor 20 Jahren. Als der Euro eingeführt wurde, haben wir versucht zu analysieren, ob Europa als Währungsunion ein Sprungbrett für Deutschland zu  neuer Weltmacht ist oder im Gegenteil der Zähmung Deutschlands dient. Jetzt ist die Situation insofern eine andere, als die europäische Struktur von rechts in Frage gestellt wird. Und zugleich ist Europa für Deutschland ein Sprungbrett. Merkel hat zu Beginn der Finanzkrise klar gesagt: Wir werden aus der Krise stärker hervorgehen, als wir vorher waren – und das hat sie durchgezogen.

Wolf-Dieter: Noch mal die Frage: Haben sich die Verhältnisse so verändert oder hat sich die Jungle so verändert?

Ferdinand: Ich denke, es hat sich sowohl die Jungle World zu Recht verändert als auch die Welt da draußen. Die aggressive Infragestellung von Menschenrechten gab es vor 20 Jahren so nicht. Natürlich wurden die überall verletzt und waren nicht gesichert, aber rhetorisch haben viel mehr Staaten auf der Welt sich zu dem bekannt, was sie unterschrieben haben. Das, was jetzt passiert, mit dem wachsenden Einfluss von ­Islamisten, der Einschränkung der Meinungsfreiheit in der Türkei, in Russland, aber auch mit Trump in den USA, mit Le Pens Erfolgen in Frankreich, mit Orbán in Ungarn, mit Polen und so weiter – da werden universelle Werte heftig angegriffen. Und deswegen passt das Beispiel Deniz und dass wir jetzt gemeinsam mit Welt und Bild die Pressefreiheit verteidigen, schon in diese Linie. Es gibt eben auch einen Rückschritt hinter bürgerliche Errungenschaften und nicht alles, was den bürgerlichen Staat infrage stellt, ist per se emanzipatorisch.

Wolf-Dieter: Ich, und ich glaube zum Teil auch die Jungle, identifiziere mich oft eher mit Positionen, die in der Welt stehen, als mit vielen Leuten, die sich radikale Linke nennen. Natürlich nicht in der Sozial- und Wirtschaftspolitik, aber gerade was die internationale Ebene betrifft, die Verteidigung eines wenn auch nur bürgerlich-liberalen Humanismus. Diese Haltung steht mir angesichts der derzeitigen doch sehr beunruhigenden politischen Entwicklungen oft näher. Orientiert sich die Jungle an solchen Positionen?

Ferdinand: Die Gefahr ist schon, dass man einfach im Mainstream ankommt. Da muss man eben immer wieder auf den blinden Fleck des Liberalismus hinweisen, der zwar den Universalismus proklamiert, aber dabei die Ökonomie ausblendet und sagt, so wie in Deutschland solle es doch eigentlich allen gehen, aber keine Idee davon hat, wie das denn materiell und in der Organisation der Weltwirtschaft funktionieren soll. Ich glaube, mit dem universalistischen Anspruch einerseits und der ökonomischen Kritik andererseits hat die Jungle World schon eine recht originäre Position. Dass es uns im deutschen Kapitalismus relativ gut geht, liegt auch daran, dass die Weltwirtschaft eben so organisiert ist …

Bernd: … und weil Deutschland die anderen niederkonkurriert hat. Es kann nicht nur Gewinner geben im Kapitalismus, das ist banal, aber wahr.

Julia: Und diese Kritik an Merkel haben wir ja nun wirklich nicht vernachlässigt.

 

Diverse Weinflaschen sind geleert, hin und wieder verziehen sich die Raucher in den Garten. Andreas Michalke zeichnet konzentriert. Er hat eine Brille auf der Nase, die hat er früher nicht gebraucht. Wir werden alle älter – ein Subtext der Diskussion heute. Ganz frisch ist aber der nächste Gang, der um 21.52 Uhr serviert wird: Fisch. Dorade, gefüllt mit Schafskäse und Sardellen. Dazu gibt es wieder Weißwein: Languedoc.

 

Wolf-Dieter: Wen wollt ihr ansprechen? Wer sind die Leute, die die Jungle heute lesen?

Bernd: Leute, die politisch vergleichsweise radikal denken und potentiell etwas gegen die Verhältnisse ausrichten wollen. Kritik organisieren, das ist der Zweck der Übung, in meinen Augen.

Irene: In den linken Diskurs eingreifen, immer noch.

Julia: Ich glaube, das ist ganz diffus geworden. Die Jungle World heute spricht tatsächlich Leute aus der radikalen Linken an, aus einem libertären Spek­trum, aus der undogmatischen Linken, aber auch Leute, die früher einmal links waren und es irgendwo in ihrem Herzen noch sind, sich aber von der Linken abgewendet haben, weil die einfach zu viel Mist gebaut hat in all den Jahren.

Ivo: Man darf auch nicht vergessen, dass die Spaltung der deutschen Linken in eine antiimperialistische und eine antideutsche oder antinationale Strömung ungefähr zusammenfällt mit der Gründung der Jungle World.

Julia: Die war sieben Jahre später.

Ivo: Ja, die »Antideutschen« haben sich schon vorher gebildet, das war eine Handvoll ehemaliger KBler, aber dass es zwei reale Bewegungen gibt, dass man sich als junger links sozialisierter Mensch heute entscheiden muss, gehe ich in diese oder jene Richtung, das ist so seit Mitte oder Ende der Neunziger, also etwa, seit es die Jungle World gibt, und vielleicht auch ein bißchen deswegen. Als wir noch die Junge Welt waren, haben wir, wenn wir provoziert haben, immer die ganze Linke angesprochen. Heute haben wir mit der einen Hälfte der Linken ja überhaupt nichts mehr zu tun.

Ferdinand: Man muss auch sehen, dass manche Positionen, die die Jungle früher exklusiv hatte, sich inzwischen durchgesetzt haben. Wir sind nicht mehr die einzigen, die Antisemitismuskritik an der Linken üben. Da hat sich die Position der Jungle World ansatzweise in der gesellschaftlichen Mitte etabliert, und das ist ja auch gut so.

Wolf-Dieter: War das ein gewollter Effekt der Jungle, bestimmte Debatten in die gesellschaftliche Mitte zu transportieren?

Bernd: Nein, aber die Jungle hat über die Jahre immer an dem Punkt rumgebohrt. Und bestimmte Erscheinungsformen des Antisemitismus sind so brachial geworden, dass sie heute niemand mehr übersehen kann. Wenn bei islamistischen Attentaten in Frankreich als allererstes jüdische Kids vor ihrer Schule erschossen werden, wenn nach dem Gemetzel bei Charlie Hebdo Leute in einem jüdischen Supermarkt ermordet werden, dann fällt es doch dem letzten Trottel auf, dass man um eine Kritik des Antisemitismus nicht herumkommt.

Ferdinand: Jetzt, mit AfD und Pegida, kommt etwas zurück, was bei der Gründung schon wichtig war, die Kritik an einer völkischen Mobilisierung. Da ist die Kompetenz der Jungle eben sehr gefragt. Irene, wie bist du eigentlich auf die Jungle gekommen?

Irene: Ich hab in Wien in der KPÖ-Kneipe gekellnert, so ein Kultur-Beisl. Dann passierte 9/11 und die Leute standen vor dem Fernseher und haben applaudiert. Irgendjemand aus dem Bezirksvorstand gab noch den Kommentar ab, dass das ja toll sei, aber man müsse schon auch daran denken, dass da auch Putzfrauen und Arbeiterinnen in den Twin Towers zu Tode gekommen sind, deswegen könne man nicht ganz so laut applaudieren. Da habe ich die Schürze ausgezogen, gekündigt – und die Jungle World abonniert.
(Lachen)

Daniel Steinmaier: Wenn ich mir die Linke insgesamt ansehe, gibt es doch einen großen Teil, den man komplett abschreiben kann. Dann stellt sich die Frage, ob man nicht vielleicht eher liberalere Leser ansprechen möchte und mit denen diskutiert, wie eine nichtregressive Kapitalismuskritik aussieht oder warum Freiheit und Kapitalismus dann doch nicht zusammengehen.

Julia: Es ist ja keine Schande zu sagen, dass man Leserinnen und Leser hat, die nicht nur aus der radikalen Linken kommen. Ich halte das für etwas total Positives. Publizistisch ist es immer schwierig, den Lesern, die man hat und die man auch schon sehr lange hat, jetzt zum x-tausendsten Mal zu erklären, was eine nichtregressive Kapitalismuskritik ist.

Ferdinand: Man muss auch sehen: Nach der Finanzkrise gab es selbst in den bürgerlichen Medien jede Menge Kapitalismuskritik. Da wurde der Kapitalismus sogar in den Feuilletons der großen Zeitungen schon zur Diskussion gestellt, freilich ohne darüber zu reden, was die Alternative sein könnte.

»Es stellt sich die Frage, ob man nicht vielleicht eher liberalere Leser ansprechen möchte und mit denen diskutiert, wie eine nichtregressive Kapitalismuskritik aussieht oder warum Freiheit und Kapitalismus dann doch nicht zusammengehen.« Daniel Seinmeier

Bernd: Ich würde bezweifeln, dass es dort tatsächlich eine Kapitalismuskritik gab. Piketty und Co., das ist doch alles Verteilungskram, sorry, das ist Sozialdemokratie, das ist nicht kapitalismuskritisch. Dann gibt es andere, die haben sich drauf kapriziert, den Finanzkapitalismus zu kritisieren, wobei sie sich wie üblich an den Oberflächenphänomenen festgebissen haben: Das Produktionsverhältnis mitsamt der Ausbeutung ist knorke, nur die Banken sind übel – da weiß man, wohin die Reise geht. Und genau so kam es dann auch, viele von diesen Leuten sind ganz weit rechts gelandet.

 

Der Weißwein ist alle. Erst mal eine rauchen. Und dann natürlich: Zeit für den vierten Gang, ein türkisches Gericht. Hünkar Beğendi (»Der Sultan war entzückt«), ein Lammeintopf mit Auberginencreme und Tomaten. Dazu Rotwein: Collioure.
Heiko erklärt, dass dies der Gang für Deniz ist, den der Sultan im türkischen Knast gefangen hält. Alle stoßen auf Deniz an und es entspinnt sich eine lange Diskussion, was die Jungle World noch tun könnte, um den Kollegen zu unterstützen.

 

Wolf-Dieter: Ihr, die ihr die Jungle derzeit macht, was bedeutet diese Arbeit für euch? Ist sie eher persönlich oder politisch motiviert? Ihr habt euch für einen anstrengenden Job entschieden. Und das, obwohl ihr ja nicht viel Geld verdient.

(Schweigen)

(Seufzen)

Bernd: Tja.

(Lachen)

Irene: Für fast alle im Kollektiv bedeutet die Entscheidung, für die Jungle zu arbeiten, immer wieder an finanzielle Grenzen zu gelangen. Aber in dem Moment, wo ich mich für etwas entscheide, ist das mit dem Geld auch wieder fast egal. Es gibt neben diesem ­prekären Arbeiten eben auch eine unglaubliche Freiheit, die ich als große Lebensqualität begreife. Jede Woche diese verrückte Zeitung herauszugeben, das bringt tolle Glücksmomente. Aber wenn etwas hakt, ist der Frust auch gleich unglaublich krass, weil es eben wahnsinnig nah an einem dran ist. Das stellt auch eine Belastung dar.

Ferdinand: Das kenn ich. Ich fing in der Jungen Welt an. Als es dann zum Streik und zur Abspaltung kam, war es natürlich eine schwerwiegende Entscheidung, die Jungle zu machen, das hat einen mit Haut und Haaren aufgefressen. Ich hätte das nicht 20 Jahre durchgehalten. Du, Bernd, bist immer noch dabei …

Bernd: Es ist irgendwie der Job, der mir vergleichsweise noch am meisten Spaß macht. Und hey, ich hab schon viele Jobs gemacht! (Lachen) Außerdem bin ich ein politischer Mensch, für mich dient die Arbeit bei der Jungle auch dazu, zur gesellschaftlichen Emanzipation beizutragen.

Julia: Ich möchte schon einfach Zeitung machen. Und es gibt keinen anderen Ort, bei dem ich das so könnte und wollte.

Wolf-Dieter: Für dich ist die Jungle in erster Linie ein journalistisches Projekt?

Julia: Ja, es ist ein journalistisches Projekt. Natürlich ist das untrennbar von der politischen Idee dahinter, deswegen ist ja auch die Jungle World das Blatt, wo ich arbeiten will. Eine Zeitung zu machen für die Leute, die lesen wollen, was wir kritisieren und was wir für wichtig halten, ist großartig. Auch Themen so entwickeln zu können, wie sie uns passen, wie sie uns interessieren, was wir für wichtig halten. Das ist eine Freiheit und ein Luxus, den habe ich nirgendwo sonst.

Irene: Ich frage mich manchmal, wie es mir nach der Jungle in einem anderen Arbeitsumfeld gehen würde. Ob ich mit einem Chef oder einer Chefin oder generell hierarchischen Strukturen klarkommen könnte.

Julia: Es gibt auch im Kollektivbetrieb noch Dinge, die man verbessern kann.

Irene: Absolut. Ich finde, dass wir ein Kollektivbetrieb sind, ist ein bisschen irre, weil wir oft nicht wie ein Kollektiv arbeiten. Andere Kollektive haben ein krasses Regelwerk, das fehlt uns.

Bernd: Das ist manchmal ein Nachteil.

Irene: Das ist ein großer Nachteil.

Ferdinand: Wir könnten schon etwas von kapitalistischer Arbeitsorganisation lernen.

Julia: Ich finde nicht, dass das kapitalistische Arbeitsorganisation ist, im Gegenteil, ein Kollektivbetrieb muss auch eine Organisationsentwicklung haben. Das hat nichts mit Kapitalismus zu tun, sondern mit geregelten und funktionierenden Arbeitsabläufen, die ­verhindern, dass bestimmte Konflikte überhand nehmen oder bestimmte ­Arbeiten doppelt gemacht werden.

Irene: Geht es euch auch so? Wir sind ein Kollektiv, aber eigentlich weiß ich oft gar nicht, was das für uns bedeutet.

Bernd: Naja, du hast keine formale Hierarchie, potentiell ist die Redaktionssitzung das Gremium, wo die wichtigen Sachen besprochen und entschieden werden. Wenn niemand etwas vorbereitet hat, alle planlos rumsitzen, wenn auf der Sitzung nichts konkret beschlossen wird, hast du ein Problem. Die entscheidende Geschichte bei einem Kollektiv ist: Man setzt sich zusammen, um zu entwickeln, was man machen möchte. Der Kollektivgedanke hat sich in dem Moment erledigt, wo auf dem gemeinsamen Treffen solche Debatten und Entscheidungen vermieden werden.

Julia: Ich sehe es nicht ganz so wie Bernd, aber ich vermisse oft eine blattmacherische Linie. Durch die Struktur mit der großen Autonomie der Ressorts gibt es manchmal so ein bisschen Kraut und Rüben. Da leidet die Qualität der Zeitung. Jedes Ressort muss sich Gedanken darüber machen, wo die einzelne Ausgabe und wo auch das Gesamtpaket hingehen soll.

Wolf-Dieter: Gibt es so etwas wie eine gemeinsame Utopie?

Bernd: Im weitesten Sinne schon, dass man eine emanzipatorische Zeitung macht und … alles kritisiert. (Lachen)

 

Es ist inzwischen 23.20 Uhr, Zeit für den fünften Gang. Heiko serviert Tarte Tatin mit Heidelbeeren und Vanilleeis. Dazu ein weißer Dessertwein aus Banyuls.

 

Wolf-Dieter: Wie ist das für euch und euer Umfeld, dass ihr so viel ackert und das finanziell so wenig einbringt?

Julia: Die meisten von uns haben keine Eigentumswohnung, fahren nicht viermal im Jahr in Urlaub, machen keine Fernreisen und, was wahrscheinlich das Schwierigste ist, bauen auch nicht für die Zukunft vor. Das ist zwar ein unsexy Thema, aber wahrscheinlich einer der allerwichtigsten Punkte, dass wir nicht in der Lage sind, Geld zurückzulegen.

Irene: Das mit der Bezahlung ist sowieso eine komplexe Sache. Wir haben zwar die einzig mögliche Form gefunden, Gerechtigkeit herzustellen: Jeder bekommt dasselbe, aber das stimmt natürlich so auch nicht. Denn es gibt komplett unterschiedliche Lebensumstände für die Personen, die da arbeiten. Gleichheit ist eben noch lange keine Gerechtigkeit.

 

Zur Raucherpause geht es in den Garten. Draußen betont Irene, wie wichtig der Einsatz der Ehemaligen sei, die sich bis heute für die Jungle engagieren. »Ohne die ginge es gar nicht.« Ivo: »Es war ja auch eine unglaublich intensive Zeit für alle, sowas verbindet.« Heiko: »Ja, wir haben fünf Jahre nur gearbeitet und gesoffen.« Ferdinand: »Ich habe nicht so viel gesoffen, möchte ich anmerken.« Heiko: »Einer musste ja nüchtern bleiben.« Ivo: »Deshalb musstest du auch den Geschäftsführer machen, Ferdinand.« Es wird inzwischen viel gelacht. Zeit für den sechsten Gang: Käseplatte mit sechs verschiedenen Käsesorten, dazu wird getrunken, was noch da ist.

»Geht es euch auch so? Wir sind ein Kollektiv, aber eigentlich weiß ich oft gar nicht, was das für uns bedeutet.« Irene Eidinger

Ivo: Wo steht die Jungle in 20 Jahren?

Irene: Was sich jetzt mit dem Onlinerelaunch abzeichnet, ist, dass viele Print-Abonnenten auf online umsteigen. Jetzt haben wir erstmals tatsächlich so etwas wie ein Online-Angebot, das interessant ist. Darin sehe ich ein großes Potential.

Julia: Eigentlich gibt es nur drei Möglichkeiten: Man wächst, man bleibt wie man ist oder man geht irgendwann ein. Das Wachsen würde ich tatsächlich nicht ausschließen. Ich glaube, dass die Medienlandschaft in Deutschland noch so viel Spielraum lässt, dass es für eine linke Zeitung nach wie vor möglich ist, auch zu wachsen.

Bernd: Die Frage ist natürlich: Kriegt man automatisch mehr Leser, wenn man seine Kritik aufweicht? Das würde ich bezweifeln, und inhaltlich gesehen würde ich schon sagen, dass wir selbstverständlich auch in 20 Jahren noch vorne sein werden in der Kritik der regressiven Bewegungen, immer der Kritik der Bürgerlichen und der autoritären Linken einen Schritt voraus. Sonst kannst du einpacken. Darauf zu setzen, dass man jetzt liberale Leserschichten einbindet, weil die Verhältnisse so finster sind, das wäre eine ­Illusion, das haut nicht hin für die Jungle World.

Julia: Das mediale Nutzerinnenverhalten hat sich einfach geändert. Früher hat der Opa die Leipziger Volkszeitung abonniert, die Mutti ebenso und deswegen machst du das jetzt auch. Und das ist bei der Jungle World zum Teil auch so. Die Wahl der Zeitung ist halt auch eine Identitätsgeschichte. An der Frage, lese ich die Junge Welt oder lese ich die Jungle World, trennt sich die Spreu vom Weizen. Aber die Menschen lesen keine ganzen Zeitungen mehr, sondern Artikel. Das war ja früher überhaupt nicht so. Entweder du hast das ganze Ding gekauft oder eben gar nicht.

Ivo: Also, Jungle World goes Blendle?

Julia: Das ist nichts, was man von heute auf morgen macht. Andere Zeitungen haben schon vor zehn Jahren gesagt, es gibt bald kein Print mehr, und haben ihre komplette Strategie umgestellt. Wir haben seit drei Wochen eine neue Homepage. Das muss man ein bisschen in Relation setzen.

Daniel: Du kannst einzelne Fragmente aus der Jungle World konsumieren, ohne die Zeitung überhaupt kennenzulernen oder andere Themen dazu zu lesen. Das Gesamtkonzept der Zeitungen wird im Vergleich zu einzelnen Artikeln immer irrelevanter.

Irene: Tatsächlich ist die Frage, was es uns bringen sollte, einzelne Artikel zu verkaufen. Kommen die Leser und Leserinnen irgendwie auf die Idee, uns zu abonnieren? Denn das wäre das einzig Sinnvolle darin. Wir leben nun mal ausschließlich von den Abos, ohne die gibt es die Zeitung nicht.

Julia: Wenn ich mich für ein Thema interessiere und ich komme auf drei, vier, fünf gute Jungle World-Artikel, dann ist mein Interesse für diese Zeitung geweckt und nur dann kann ich überhaupt auf die Idee kommen, die zu abonnieren.

Bernd: Am Ende wird es um Inhalte gehen, darum, was die Jungle tatsächlich unterscheidet von den ganzen anderen linken ­Zeitungen. Und ich meine, du kannst dich in ganz ­Europa umschauen, du wirst kaum eine linke Zeitung finden, die so säkular und antireligiös argumentiert wie die Jungle. Die allermeisten dieser Zeitungen hampeln mit dem Ausdruck »Islamophobie« herum, das ist doch schon der komplette Verrat an der Aufklärung. Man braucht ein bestimmtes Profil, darum geht es mir.

Irene: Wenn man sich den Markt anschaut, ist die Jungle World doch eigentlich ein unmögliches Projekt. Wir haben uns komplett saniert, wir sind schuldenfrei, wir haben steigende Abozahlen, welche Wochenzeitung kann denn das von sich behaupten? Abgesehen davon, dass es natürlich trotzdem ein prekäres Projekt ist, ist das schon eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.

 

Was wäre ein sechsgängiges Menü im Hause Jungle World, wenn es nicht noch einen siebten Gang gäbe? Heiko hat ­natürlich an alles gedacht und zaubert eine Flasche hervor: Birnenschnaps.

 

Wolf-Dieter: Wenn man auf 20 Jahre zurückblickt, auf die verschiedenen Inhalte, die uns begleitet haben, auf Antisemitismus, völkischen Populismus, Nationalismus, Islamismus, Rassismus – dann kann man feststellen, dass das lauter Themen sind, mit denen wir richtig lagen. Auch im Rückblick. Aber zugleich hat sich die Jungle World fast immer nur durch Kritik ausgezeichnet, nicht durch positive Berichterstattung. Sie war selten konstruktiv.

Ferdinand: Das muss eine Zeitung auch nicht sein. Für mich war schon bei der Entstehung der Jungle World wichtig, gegenüber der traditionellen und autoritären Linken festzuhalten, dass es auch eine negative Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft gibt und man den Wahn ernst nehmen muss. Zu sagen, nicht alles, was gegen den entwickelten Kapitalismus ist, ist per se gut. Das war das Verdienst der Jungle World.

Daniel: Man sieht ja weltweit, die Wahnsysteme schließen sich immer mehr. Was heißt das für die Zukunft der Jungle World?

Bernd: Immer neuen Stoff. (Lachen)

 

Irgendwoher sind noch ein paar Flaschen Primitivo aufgetaucht. Beim Einschütten geht hier und da schon etwas daneben, aber alle sitzen immer noch aufrecht an dem großen Tisch. Lenin schweigt. Was soll er dazu auch sagen?

 

Daniel: Ich frage mich, ob unter solchen Bedingungen die Produktion einer emanzipatorischen linken Zeitung überhaupt noch Spaß macht. Das Lustige oder das Schöne an der Jungle war ja auch immer, jetzt mal den Grünen, den Sozialdemokraten, den anderen Linken eins mitzugeben, latenten Schwachsinn sichtbar zu machen. Aber wenn man überall ganz manifeste Probleme hat – rechten Backlash überall – dann wird es ungemütlich. Muss man da ernster werden? Wie ist das mit dem Fun-­Faktor?

Bernd: Wenn der Faschismus überhandnimmt, ist der Fun-Faktor relativ gering.
(Lachen)

Ferdinand: Ein bisschen schwarzen Humor muss man sich erhalten, sonst dreht man durch.

 

Es ist inzwischen 1.30 Uhr, die letzte Flasche Rotwein ist geleert, der Gastgeber sieht so aus, als wolle er langsam mal ins Bett. Die anderen auch. Möglicherweise hätte Lenin jetzt doch noch etwas zu sagen, aber keiner hört mehr hin. Jetzt heißt es, Tisch aufräumen, alle packen mit an und Feierabend. Heiko schmeißt noch die Geschirrspülmaschine an. Auch hier werden mehrere Gänge notwendig sein.

***

Ferdinand Muggenthaler kam 1997 direkt von der Journalistenschule zur Jungen Welt, war bis 2002 Redakteur und Geschäftsführer der Jungle World. Dann arbeitete er bei Amnesty International, heute bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Irene Eidinger studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaften in Wien und Berlin. Seit 2013 ist sie Geschäftsführerin der Jungle World.

Bernd Beier kam 1995 zur Jungen Welt und arbeitet bis heute bei der Jungle World im Auslandsressort und als CvD.

Julia Hoffmann kam 2010 als Geschäftsführerin zur Jungle World, die sie 2013 wieder verließ. Sie ging in ­Elternzeit und zum Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung N-Ost. 2015 kam sie als Redakteurin für das Themaressort zurück.

Wolf-Dieter Vogel kam 1994 zur Jungen Welt und verließ die Jungle World 2001. Er arbeitete seither als freischaffender Journalist in Berlin und Mexiko und war Pressereferent einer EU-Abgeordneten. Seit Mai 2017 lebt er wieder in Mexiko und berichtet von dort aus.

Heiko von Schrenk kam 1996 als Berlin-Redakteur zur Jungen Welt, brachte sich das Layout-Handwerk bei, war bis 2007 bei der Jungle World als Geschäftsführer und Gestalter tätig und ist heute selbständiger Gestalter.

Daniel Steinmaier begann 2006 als Praktikant bei der Jungle World, war dann bis 2011 Redakteur im Themaressort. Er arbeitete danach für Pro Asyl, derzeit für Adopt a Revolution und den Infoverbund Asyl und Migration.

Ivo Bozic kam 1995 vom Neuen Deutschland zur Jungen Welt und blieb bis 1999 bei der Jungle World, ­arbeitete dann als Mitarbeiter einer Bundestagsabgeordneten, anschließend als freier Journalist und kam 2004 wieder zur Jungle World. Seit 2015 ­arbeitet er für die Deutsche Wildtier Stiftung.

Andreas Michalke zeichnet seit August 2002 für die Jungle World.