20 JAHRE Antiimperialismus: Warum der Bruch mit den Antiimps für Linke zwingend ist

Die unappetitliche Verwandtschaft

Linke, die sich weltanschaulich vor allem auf den Antiimperialismus stützen, wurden in der »Jungle World« von Anfang an kritisiert. Aus gutem Grund.

Internationalismus hat viele Gesichter: Aktivistinnen dokumentieren die mörderischen Angriffe des syrischen Regimes, Flüchtlinge fordern Bleiberecht, Umweltschützer kritisieren den Landraub in afrikanischen Staaten und Antimilitaristen setzen sich dafür ein, dass deutsche Rüstungsproduzenten vor Gericht landen, mit deren ­Gewehren Polizisten auf Oppositionelle schießen. Diese Kämpfe bezwecken nicht unmittelbar die radikale Umwälzung kapitalistischer Verhältnisse. Trotzdem haben sie antiimperialistischen Charakter. Sie richten sich gegen internationale Wirtschafts- und Handelsstrukturen oder geopolitische Strategien, durch die Menschen ins Elend getrieben und ganze Landstriche zerstört werden. Die Verantwortlichen findet man in Moskaus Machtzentralen, Pekings Regierungspalästen, bei US-Konzernen, in europäischen Parlamenten und lateinamerikanischen Mafiabanden.

Mit Linken, die den Angriff auf die Twin Towers mit Sekt begossen oder »10 Euro für den irakischen Widerstand« sammelten, konnte es nur einen kompromisslosen Bruch geben.

Mit dem Begriff des Antiimperialismus werden diese Kämpfe jedoch kaum noch in Verbindung gebracht. Zu Recht. Statt zu einer differenzierten Analyse von Machtverhältnissen dient der Begriff nur noch einer Weltanschauung, mit der durch die Simplifizierung komplexer Herrschaftssysteme die Grundlage für gruselige internationale Querfronten geschaffen werden: Schwarzweißszenarien statt Dschungelwelten gesellschaftlicher Widersprüche.

Natürlich war der Antiimperialismus schon immer von einem binären Weltbild beeinflusst, das auf Verschwörungstheorien basierte und in dem, oft kulturalistisch verklärt, ganze Völker gegen McDonald’s und andere Träger westlicher Verwahrlosung in Stellung gebracht wurden. Klassen- und Geschlechterverhältnisse sowie die Menschenrechte spielten eine untergeordnete Rolle, wenn es galt, sich mit unterdrückten Nationen gegen den Feind – sprich die USA – zu verbrüdern und mit anti­amerikanischen Ressentiments von Fehlern und Widersprüchen im eigenen Lager abzulenken.

Das alles ist nicht neu. Aber in den Jahren, in denen die Jungle World erwachsen wurde, ist Antiimperialismus zu einem Kampfbegriff für autoritäre und islamistische Regime geworden – und damit zu einem gefährlichen Gegner emanzipatorischer Bewegungen. Seine Protagonisten agieren immer dreister. Jüngst verlieh die venezolanische Regierung dem russischen Präsidenten Wladimir Putin für seinen Einsatz im syrischen Krieg als »großer Anführer des Friedens« den Hugo-Chávez-Friedenspreis. Und der ehemalige Stasi-Mann und heutige Redakteur der Jungen Welt, Arnold Schölzel, frohlockte nach der Eroberung Ostaleppos durch Bashar al-Assads Truppen mit Hilfe russische Kampfjets: »Die Mörder in den Nato- und EU-Hauptquartieren verstehen nur eine Sprache, das hat der Befreiungskampf um Ostaleppo erneut gezeigt: die der militärischen Niederlage.

Alle Anständigen sollten helfen, ihnen die nächste zu bereiten.« Zu diesen Anständigen zählt folgerichtig auch die der AfD nahestehende Patriotische Plattform. Enttäuscht darüber, dass ihr Hoffnungsträger Donald Trump mit den Luftangriffen auf syrische ­Militäranlagen auf den »aggressiven Kriegskurs der linksliberalen US-­Establishments eingeschwenkt« sei, riefen die Rechtsradikalen dazu auf, dem US-Imperialismus »die Rote Karte zu zeigen«.

Dank der ihr in die Wiege gelegten Skepsis gegenüber autoritären Kommunisten und ihrer Abscheu vor völkisch-nationalistischen Bewegungen hat die Jungle World von Beginn an die kuriosen Ansichten kritisiert, die unter dem Namen des Anti­imperialismus durch die Welt geisterten. Welche ­Gefahren von diesem Gedankengut ausgehen können, war jedoch auch uns noch nicht bewusst, als wir die Zeitung vor 20 Jahren ins Leben riefen. Milde belächelten wir damals jene zwei Männer, die unter dem ­Namen »Antiimperialistische Zellen« in Deutschland Anschläge ­verübt ­hatten und sich deshalb vor Gericht verantworten mussten.

Wir bezeichneten die Mitglieder der Gruppe – es gab nur die beiden – ­lediglich als »skurrile« Figuren. Dabei hatte einer von ihnen, Bernhard Falk, in einer schrift­lichen Konversation dem Kollegen Ivo Bozic in die Redaktion geschrieben, dass »allein der sich zunehmend formierende islamische Widerstand die Kraft besitzen wird, eine menschenwürdige Perspektive jenseits der Barbarei des Kapitalismus zu eröffnen«. Sein Genosse Michael Steinau hatte sich damals bereits im Knast mit dem Neo­nazi Kay Diesner angefreundet. »Bruder Falk« predigt heute auf Youtube radikalen Salafismus.

Wie fatal nahe sich rechte Antiamerikaner, terroristische Islamisten und linke Antiimperialisten stehen, trat erst in den Diskussionen über die Anschläge vom 11. September 2001 deutlich zutage – und wurde entsprechend scharf in der Jungle World kritisiert. Die oft recht provokativen Texte kosteten viele Abos, sorgten aber zugleich für Klarheit: Mit Linken, die den Angriff auf die Twin Towers mit Sekt begossen oder zur Unterstützung des irakischen Diktators Saddam Hussein »10 Euro für den irakischen Widerstand« sammelten, konnte es nur einen kompromisslosen Bruch geben. Und wer wie Venezuelas ehemaliger Präsident ­Chávez »brüderliche Bündnisse« mit dem iranischen Holocaust-Leugner Mahmud Ahmadinejad oder der islamistischen Hamas eingeht, hat in der Jungle World einen schweren Stand, auch wenn der linke Staatschef viele Öldollars in die Armutsbekämpfung investierte. Während weltweit Linke die Wahlerfolge von Chávez feierten, blieb der Dschungel bei der traurigen Erkenntnis, »dass ein Sieg der anti­imperialistischen Linken heutzutage meist auch einen Sieg für klerikal­faschistische Regime bedeutet«.

Dieses Resümee mag Leserinnen und Lesern der Jungle World selbstverständlich erscheinen. Global betrachtet gilt aber leider weiterhin: Je radikaler sich antiimperialistische Linke inszenieren wollen, desto absurder konstruieren sie ihr Weltbild. Gegenüber der Wirklichkeit zeigen sie sich dabei ­äußerst resistent. Egal ob US-Truppen die kurdische Guerilla YPG zum Ärger des Nato-Partners Türkei gegen den »Islamischen Staat« unterstützen oder chinesische Investoren in Venezuela und Ecuador Verträge abschließen, die den Ausverkauf von Ressourcen bedeuten: Der Hauptfeind sitzt in Washington und wartet nur darauf zu intervenieren. Das sind keine schrägen Verirrungen, sondern solche Positionen sind ein integraler Teil linker ­Geschichte.

Es bleibt eine schwierige Herausforderung, sich dieser unappetitlichen Verwandtschaft zu entledigen, ohne einem an kapitalistischer Verwertung orientiertem Liberalismus das Wort zu reden. Im Dezember 2016 kritisiert Stefan Laurin in einem Diskussionsbeitrag linken Protektionismus und plädierte dafür, Märkte zu öffnen und globales Wachstum zu beschleunigen, um die Lebensverhältnisse weltweit anzugleichen und Demokratie durchzusetzen. Dagegen macht sich Gaston Kirsche für einen kosmopolitischen Kommunismus stark, der weltbürgerliche und soziale Befreiung verbindet. Dass in der Diskussion eine liberale Position ebenso Platz hat wie ein antikapitalistisches Plädoyer, ­verdeutlicht, wie sich durch die düstere Allianz ­islamistischer und anti­imperialistischer Regime der Rahmen ­verschoben hat, in dem über gesellschaftliche Perspektiven gesprochen werden muss. Es ist eine Debatte mit vielen Risiken – aber wo sollte sie ­geführt werden, wenn nicht in der Jungle World?