Small Talk mit Eleanor Shoshany Anderson über den »Chicago Dyke March«

»Keinen Platz für Juden«

Small Talk Von Frederik Schindler

Beim lesbischen »Chicago Dyke March« forderten die Organisatorinnen am Wochenende drei Teilnehmerinnen auf, die Veranstaltung zu verlassen. Diese trugen eine Regenbogenflagge, auf der ein Davidstern zu sehen war. Eleanor Shoshany Anderson ist eine der drei Frauen. Die iranisch-deutsche Jüdin ist Softwareingenieurin in Chicago und hat mit der Jungle World gesprochen.

Was genau ist am Samstag passiert?
Mit einer großen, mit einem Davidstern versehenen Regenbogenflagge habe ich den »Chicago Dyke March« besucht, der nach Aussage der Veranstalter Lesben in all ihren Identitäten feiern will. Mit dem jahrhundertealten, universellen Symbol des Judentums wollte ich in der Öffentlichkeit sichtbar als jüdische Lesbe auftreten. Weil mir die antisemitischen Einstellungen mancher Teilnehmerinnen bewusst waren, war ich sehr vorsichtig. Mehrere fiese Bemerkungen und Augenrollen habe ich einfach ignoriert, beispielsweise riefen mir Aktivistinnen »Viva la Palestina« zu oder fluchten, als sie mich sahen. Das war sehr konfrontativ. Eine andere Person, die meine Flagge sah, meinte sarkastisch: »Ich hasse Muslime auch.« Als ob es das wäre, was das Zelebrieren des Jüdischseins auszeichnet. Wir standen trotz der Provokationen nur friedlich herum, doch unsere Fahne war für einige wohl zu viel. Beim gemeinschaftlichen Picknick nach dem Marsch ließen uns die Organisatorinnen dann wissen, dass wir entweder unsere Flagge einrollen oder gehen müssten.

Wie wurde das begründet?
Sie sagten, dass unsere Fahne mit dem großen Davidstern wie eine Israel-Fahne aussehe und deshalb andere Teilnehmerinnen triggere und sich unsicher fühlen lasse. Ich versuchte, ihre Sprache zu verwenden und zu erklären, dass dies ein intersektionaler Marsch und ich eine stolze, jüdische Lesbe sei. Dass ich mich unsicher fühle, wenn ich nicht sichtbar jüdisch sein darf. Sie waren nicht an einer Konversation interessiert oder daran, warum es für mich wichtig ist, dort sichtbar als Jüdin erkennbar zu sein. Immer mehr Menschen kamen dazu und kesselten uns ein und unterbrachen uns. Es war klar, dass wir nichts an der Situation ändern konnten. Weinend verließ ich die Veranstaltung. Es war besonders schmerzhaft, weil ich die durch den »Dyke March« repräsentierte Vorstellung von Gesellschaft liebe und dieser nach meinem Coming-out sehr prägend für mich war.

Gab es auch andere Reaktionen von Teilnehmerinnen auf den Ausschluss?
Die Delegation der Organisatorinnen trat uns am Rand des Parks gegenüber, so dass viele Menschen die Situation nicht bemerkten. Manche unterstützten die Veranstalterinnen, andere waren entsetzt. In diesem Ausmaß habe ich so etwas noch nie erlebt. Beiläufigen Antisemitismus habe ich allerdings in der Linken schon erlebt, speziell in der queeren Linken. Das war auch ein Grund, warum ich mit der Fahne gekommen bin. Manchmal fühlt es sich so an, als lasse diese Intersektionalität keinen Platz für Juden. Nach der Präsidentschaftswahl war es in der Linken sehr beliebt zu sagen, dass man jetzt für Schwarze, Muslime, Latinos, Frauen, Behinderte, Schwule einstehen würde. Das ist eine großartige Botschaft. Doch während ich das über 100 Mal gehört habe, wurden nur zwei Mal Juden in diese Statements eingeschlossen – und in einem Fall forderte der Sprecher direkt danach noch die Auflösung Israels.


Die Veranstalterinnen verteidigten ihre Entscheidung nachträglich mit dem Vorwurf des Pinkwashing: Israel lenke »mit vermeintlicher LGBT-Toleranz von der brutalen Besatzung Palästinas« ab.
Ich denke nicht, dass es hier überhaupt eine Rolle spielt, was Israel tut oder nicht tut. Es ging darum, eine öffentlich sichtbare Jüdin zu sein. Wer meine jüdische Pride-Flagge verbannt, will jüdischen Stolz verhindern. Doch selbst wenn ich den Veranstalterinnen glauben sollte, dass sie keine Antisemitinnen seien: Mehrere Jüdinnen haben ihnen gesagt, dass sie sich von dieser Aktion angegriffen fühlen. Statt sich zu entschuldigen, haben sie es mit diesem Statement noch schlimmer gemacht.