Die Unterbrechung der Logistik als Instrument antikapitalistischer Kämpfe

Alle Reifen stehen still

Gastkommentar Von Gruppe TOP Berlin

»Amateure studieren Strategie, Profis studieren Logistik« soll der US-General Robert H. Barrow einst gesagt haben. Dazu einige strategische Überlegungen ambitionierter Amateurklassenkämpfer.

In den vergangenen 50 Jahren hat sich der Welthandel enorm beschleunigt. Verantwortlich dafür ist maßgeblich die Anwendung von Prinzipien der Fabrik auf den Transport und die Lagerung von Gütern, sprich: auf die Logistik. Die Standardisierung von Paletten und Containern sind das vielleicht sichtbarste Zeichen dieser Rationalisierung. Weltweit fielen die Transportkosten, neue Märkte konnten erschlossen und gegeneinander ausgespielt werden. Die Globalisierung der Weltwirtschaft seit den siebziger Jahren beförderte diese stumme Revolution in der Logistik durch die Aufgliederung der Produktion. Eine Entwicklung, mit der Antikapitalisten weltweit nicht Schritt halten konnten, dank ihres Abstiegs in die Amateurligen des globalen Klassenkampfs. Diese Neuerungen in der Logistik verschärften gemeinsam mit Handelsabkommen, allen voran jenen der Welthandelsorganisation, die internationale Konkurrenz und Ausbeutung. Zu Recht kritisierte die globalisierungskritische Bewegung die dadurch eröffneten Möglichkeiten, arbeits- und umweltrechtlicher Bestimmungen zu unterlaufen. Nur gelang es ihr nicht, ein Druckmittel zu entwickeln, um auf dieser Ebene selbst strategisch zu intervenieren.

G20
Blockade der Hafenlogistik während des G20-Gipfels in Hamburg

 

Anders sieht es im Bereich der Logistik aus: Dort besteht die Möglichkeit, etwas von der Handlungsmacht zurückzuerobern, die durch die Globalisierung verlorenging. Die Logistik ist das Nadelöhr der globalen just-in-time-Produktion. Teilweise findet diese Logistik in aller Öffentlichkeit – auf der Straße – statt, so dass sie dort auch unterbrochen werden kann. Mit einer – letztlich schlichten – Demonstration konnte anlässlich des G20-Gipfels ein wesentlicher Teil der Hafenlogistik in Hamburg kurzzeitig stillgelegt werden. Die Blockade ist zwar ein arbeitsrechtlich verbotenes Kampfmittel, wenn sie aber arbeitsrechtlich Ungebundene vornehmen, kann ihr neue Bedeutung zukommen. Wichtiger als die ­bloße Unterbrechung ist dabei ihr Einsatz als Waffe der sozialen Auseinandersetzung.

Bei Amazon kreuzen sich viele Linien der gegenwärtigen kapitalistischen Entwicklung und des Widerstands dagegen. Amazon ist Vorreiter einer »digitalen Taylorisierung« in Form von lückenloser Kontrolle und maschineller Menschensteuerung, ob nun in den ­Lagerhallen durch den Handscanner oder für die Crowdworker durch die App. Die technische Entwicklung des Logistikbereichs ging mit der Qualifizierung weniger und massenhafter Entqualifizierung einher. Die meist schlecht qualifizierten und bezahlten Beschäftigten der Branche wollen sich aber offensichtlich nicht mit ihrer ­realen Subsumtion in der Logistik abfinden, wie die derzeitigen Auseinandersetzungen bei Amazon oder die Streiks bei Deliveroo zeigen. Durch seine Marktmacht übt Amazon Druck auf Produzenten aus und beeinflusst somit indirekt auch die dortigen Arbeitsverhältnisse. Noch zentriert sich Amazons Macht zwar auf den Buchmarkt, das Unternehmen expandiert aber in immer weitere ­Bereiche, um mit Größen wie Walmart mithalten zu können. Amazon experimentiert mit Drohnen für die schnelle Zustellung und dem ersten vollautomatischen fulfillment center in Kalifornien.

Neue und flexiblere Distributionswege kommen dabei nicht nur den Kunden entgegen, sondern ermöglichen auch, lokale Streiks zu umgehen – wenn Amazon in Leipzig bestreikt wird, werden die Bestellungen in Polen bearbeitet und von dort aus nach Berlin geliefert. Die Beschäftigten müssen sich folglich nach neuen Formen des Arbeitskampfs umsehen, um erfolgreich zu sein. Eine Chance für Amateurklassenkämpfer, den Aufstieg in die Profiliga zu unternehmen, bietet insofern die Kampagne »Make Amazon Pay« im November 2017 anlässlich Amazons Rabattaktion am sogenannten Black Friday.