Linke sollten ihr Verhältnis zur Bundeswehr überdenken

Irgendwas mit Sex und Krieg

In einer Bundeswehrkaserne in Pfullendorf soll es zu sadistischen Praktiken gekommen sein. Es habe sich um sinnlose Rituale gehandelt, heißt es. Doch das wirft die grundsätzliche Frage auf, wofür diese Armee eigentlich kämpfen soll.

In einer Kaserne in Pfullendorf wurden sieben Soldaten vom Dienst suspendiert. Was ihnen vorgeworfen wird, lässt sich bislang nur einem medial vielfach wiedergekäuten Artikel des Spiegels entnehmen. Demnach kam es zu Nacktaufnahmen, sogenannten Taufritualen sowie zu einer missbräuchlichen Entgrenzung medizinischer Untersuchungen wie Kontrolluntersuchungen im Genitalbereich. Dazu gehört auch das Einführen von Tampons in den After, was als potentiell lebensrettende Maßnahme bei Sprengverletzungen und Bauchschüssen gerechtfertigt wurde. Ein Sonderermittler hat die Aufarbeitung übernommen.
In stereotypen medialen Reaktionen geben sich Politiker schockiert, ohne Konkretes zu benennen. Viele Medien nehmen diesen offenen Projektionsraum dankbar an. Irgendwas mit Sex und Krieg wird im Internet immer gerne geklickt. Weil es aber nicht wirklich etwas Neues zu berichten gibt, solange die Untersuchungen andauern, dominieren Plattitüden die Berichterstattung. Hans-Peter Bartels, der Wehrbeauftragte des Bundestages, sagte dem Deutschlandfunk, es handele sich um einen Kulturwandel, der sich aus der Transformation von der Wehrpflicht- zur Berufsarmee ergebe. Man müsse nun stärker darauf achten, wie man miteinander umgehe. Schließlich sollten »junge Leute, die sowas lesen oder die neu in die Bundeswehr kommen, nicht abgeschreckt werden«, so der SPD-Politiker. Es habe sich um »sinnlose militärische oder pseudomilitärische Rituale« gehandelt. »Also mit militärischer Ausbildung hat das, worüber wir jetzt reden, nichts zu tun, und es ist auch nicht soldatisch.«
Bartels’ Sorge gilt offensichtlich Rekrutierungsstatistiken. Dahinter steht jedoch die Tatsache, dass die Soldatinnen und Soldaten ausschließlich Image sind. Sie kämpfen nur noch für den repräsentierbaren Schein eines Krieges, der in keine langfristige Strategie eingebettet ist und damit jeden Sinn verliert. Viel zu optimistisch sind die Verschwörungstheorien der altlinken Friedens- und Konfliktforscher, in denen Krieg immer um Kupferminen oder Erdölpipelines geführt wird. Es geht im Krieg gegen den Jihadismus um mediale Tauschwerte, nicht um Erfolge oder gar Profit. Die Interventionen des Westens sind extrem teure Potemkinsche Dörfer, die allerdings von echten Soldatinnen und Soldaten bewohnt werden. Ihr Einstiegssold liegt bei 1 950 Euro brutto, nach drei Jahren erhalten sie etwa 2 200 Euro. Zum Berufsrisiko hinzu kommen ätzende Langeweile, der Verlust von sozialen Beziehungen, der Hass der Pazifisten und oftmals eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).
Überraschend ist, dass es in dieser für die Soldaten absurden und zynischen Situation relativ selten zu solchen Skandalen kommt. Schließlich lässt sich jedes beliebige Pfadfinderlager, jedes Internat, jedes Büro und jede Erstsemestertaufe als probates Studienobjekt des Triebdrucks und seiner kreativ ventilierten Verschiebungen wählen. Das Bedürfnis, in sexualisierten Witzen dem unerfüllten Begehren nachzugehen, in der Abwertung von anderen die eigene Wertlosigkeit zu vergessen, ist omnipräsent. In den Gruppen beginnt die Suche nach kleinen Leckagen, an denen reale Entschädigungen für die Versagungen wenigstens in ihrer boshaften Form als Übergriff abgezapft werden können. Dagegen reflektierte Gegenmaßnahmen zu treffen, ist etwas anderes als die gegenwärtige Praxis, das »extreme« vom »normalen« Triebleben abzuspalten. Die narzisstische Gesellschaft mokiert sich bereits darüber, dass es so etwas wie Tampons und After überhaupt gibt. Die Bestrafung an den anderen zu exerzieren, sie gewaltsam »rein« zu waschen, gegen die bedrohlich hervorbrechende Analität einen Tampon einzuführen, das ist nicht das ganz Andere der Triebkontrolle, der Sublimierung, sondern ihre Karikatur, die Verdrängung.

Die Verschwörungstheorien der altlinken Friedensforscher, in denen Krieg immer um Kupferminen oder Erdölpipelines geführt wird, sind zu optimistisch.

Wenn Ausbilder in der Armee ihre Macht nutzen, um eigene Sexualwünsche am anderen zu bestrafen, überrascht das so wenig wie die symptomatische Berufswahl einer Fallmanagerin, die Erwerbslosen Leistungen kürzt und ihnen noch einredet, sie ­seien selbst schuld an ihrer gesellschaftlichen Überflüssigkeit. Die Unterwerfungsrituale von Hartz IV zwingen Menschen ohne jede Not in infantile Seminare hinein, wo sie ihr dysfunktionales Innenleben, ihr Leiden, vor unqualifizierten Motivationstrainern entblößen sollen. Wem solches über Wochen und Jahre hinweg aufgezwungen wurde, wird die Nähe zum sexuellen Übergriff kaum für allzu absurd und relativistisch halten. Dass Menschen sich auf die körperlichen Strapazen bei der Bundeswehr einlassen, hängt direkt mit den manipulativen Praktiken in den Jobcentern zusammen. Gesellschaftliche Erziehung zur Härte erzeugt die Verachtung der Schwachen eben auch dort, wo Härte zunächst rationales Produkt der gern verdrängten Realität des Krieges ist, in der die Sicherheit einer ganzen Truppe von der Belastbarkeit und Disziplin des schwächsten Mitglieds abhängt.
Für solche Härterituale, die vom Missbrauch nur kontrollierend, nicht aber absolut abzugrenzen sind, erfahren Soldatinnen und Soldaten kollektiv Verachtung. Als die Bundesrepublik nach der sogenannten Wiedervereinigung militärisch aktiv wurde, war der »antideutsche« Pazifismus noch von berechtigtem Misstrauen geprägt. Mittlerweile wurde die Wehrpflicht ausgesetzt, Frauen erkämpften sich den Zugang zur Armee. Die Außengrenzen werden nicht mehr in Frage gestellt, Militäreinsätze erfolgten primär gegen die aggressivste Bedrohung der Demokratie, den Jihadismus. Und doch gilt es im akademischen Feld immer noch als Verrat, über oder mit Soldatinnen und Soldaten zu forschen. Eine Ethnologin, die über soziale Interaktionen innerhalb der Bundeswehr schrieb, wurde in ihrem Fach zur Unberührbaren.
Der postfaschistische Pazifismus fordert, dass man wegen des Nationalsozialismus nie wieder die Demokratie militärisch verteidigen dürfe. Diese Verkehrung hat mit dazu beigetragen, dass keine nennenswerte linke, antifaschistische Fraktion innerhalb der Bundeswehr entstehen konnte und gewerkschaftliche Fragen in der Armee den eher konservativen Verbänden überlassen blieben.
Am Umbau der autoritären Bundeswehr hin zu einer demokratischen, antifaschistischen Armee wirkt die Linke nicht mit. Sie verweigert dem bewaffneten Kampf gegen extreme Formen der Unterdrückung die Legitimation entweder vollständig mit der hohlen Phrase, dass man Demokratie nicht herbeibomben könne. Oder sie hängt sich Che Guevara übers Bett und träumt davon, dass ein mit Solikaffee finanzierter Subcomandante in Deutschland einmarschiert und ihr das Schweinesystem vom Halse schafft. Die deutschen Minister hingegen lassen an jedem Ernst der Verteidigung der Demokratie zweifeln, wenn sie den iranischen und saudischen Finanziers des Jihadismus die Hand zum Geschäft reichen. Weil sie also nicht für die Freiheit kämpfen, sondern nur den Markt verherrlichen und die ideologische Obdachlosigkeit verteidigen, stellen sie die Bundeswehr vor ein Dilemma: Entweder sie rekrutiert mit Autoritarismus, Waffenfetischismus und Sadomasochismus. Dann hat sie rasch ein Naziproblem. Oder sie stellt sich der offenen gesellschaftlichen Frage, wofür sie eigentlich kämpfen lässt. In Unkenntnis dessen fällt es ihr umso schwerer, »sinnlose militärische Rituale« durch rational erhelltes, vernünftiges Training zu ersetzen, in dem dann in einer Übung auch von Neulingen nicht mehr primär Gehorsam und Mitmachen, sondern Nachvollzug erwartet wird.