In Halle bedrohen »Identitäre« ihre Kritiker

Gefährliche Nachbarn

Die »Identitären« stellen sich als harmlose Patrioten dar. In Halle, wo sie ein Haus als Basis nutzen können, versuchen sie jedoch, ihre Umgebung zu dominieren, und bedrohen Kritiker.

Der Kaufvertrag wurde vor einem halben Jahr unterschrieben, etwas mehr als 300 000 Euro soll der vierstöckige Altbau in unmittelbarer Nähe des Hallenser Universitätscampus gekostet haben. Neuer Eigentümer des Hauses ist die Titurel-Stiftung – ein harmlos klingender Name. Eingezogen sind jedoch unter anderem die rechte Plattform »Ein Prozent« und Kader von »Kontrakultur«, dem örtlichen Ableger der »Identitären Bewegung« (IB), der als derzeit aktivste deutsche Gruppe dieser Bewegung einzustufen ist. Eine Vergangenheit im offen neonazistischen Milieu scheint unter deren Mitgliedern eher die Regel als die Ausnahme zu sein, eine Person wurde wegen eines Angriffs mit einem Totschläger auf Jugendliche zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Seit ihrem Einzug in das Haus versuchen die Rechtsextremen, das Viertel für sich zu vereinnahmen. Berichte über Drohungen und Einschüchterungsversuche häufen sich.

Dass für das rechte Hausprojekt ein Altbau direkt neben dem Steintor-Campus gewählt wurde, ist als Provokation zu verstehen. Den Campus hat »Kontrakultur« zu ihrem Agitationsfeld erklärt, dort Flyer verteilt und eine ihrer Banneraktionen veranstaltet. ­Allerdings scheinen ihre Aktivitäten alles andere als gut anzukommen, was nicht zuletzt unablässiger antifaschistischer Aufklärungsarbeit zu verdanken ist. Der Ärger darüber, auf dem Campus keinen Anklang zu finden, scheint groß – halbironisch bezeichnete die IB-Ortsgruppe den Ort als »Herz des Bösen«. Im Juni bedrohten Anhänger von »Kontrakultur« einem Bericht der Berliner Zeitung zufolge Studierende. Die herbeigerufene Polizei fand bei den Rechten neben Pfefferspray und Quarzhandschuhen auch ein verbotenes Einhandmesser.

Auch Anwohnerinnen und Anwohner berichten von Einschüchterungsversuchen. Wachschutz vor dem Gebäude sowie die permanente Videoüberwachung mit mehreren Weitwinkel­kameras generieren ein Bedrohungsszenario. IB-Kader haben mehrfach Antifaschisten und Antifaschistinnen fotografiert – angesichts der rassistischen Ideologie und mehrfach unter Beweis gestellten Gewaltbereitschaft der Gruppe eine bedrohliche Entwicklung. Die Hallenser »Identitären« treten im bundesweiten Vergleich besonders offensiv auf und betonen bei jeder Gelegenheit ihre Wehrhaftigkeit. So posiert Vorzeigeaktivistin Melanie Schmitz auch mal mit Baseballschläger oder Messertattoo. Die Mär, man wolle nur friedliche Kulturarbeit betreiben, wird dennoch weiter verbreitet.

Diesen Versuchen organisierter Rechtsextremer, das Viertel zu dominieren und all jenen, die sich gegen diese Raumnahme einsetzen, Angst zu machen, hat sich von Anfang an breiter antifaschistischer Protest entgegengestellt. Anwohnerinnen und Anwohner haben sich zu einer Initiative zusammengeschlossen, die klar formuliert, dass »Identitäre« und AfD in der Nachbarschaft nicht willkommen sind. Außerdem gründete sich unter der Parole »Kick them out« ein antifaschistisches Bündnis, das bereits mehrere Demonstrationen gegen das Hausprojekt veranstaltet hat. Hinzu kommen Vorträge und Workshops über die rechtsextreme Ideologie und Gewaltbereitschaft von am Projekt beteiligten Gruppen. Die Ablehnung der rechtsextremen Nachbarn hat sich jedoch auch in Form von Graffiti und Farbbeutelwürfen ­gegen die Fassade manifestiert. Im Oktober kam es erneut zu einer Sachbeschädigung am Haus. In Medienberichten war von Steinwürfen und Farbe sowie dem Einsatz von Buttersäure die Rede.

Dafür machten die »Identitären« alle verantwortlich, die sich kritisch zu ihrem Projekt äußerten oder verhielten, überdies wurden mehrere Personen konkret beschuldigt, die Sachbeschä­digungen »organisiert und legitimiert« zu haben. Schmitz erwähnte sie in einem Instagram-Posting, in dem sie behauptete, Ziel sei es, die »Identitären« »auszulöschen«. Den Nachbarn unterstellte sie, die Steine »letztendlich mitgeworfen« zu haben, indem sie sich gegen das rechtsextreme Hausprojekt stellten.
Tags darauf begann »Ein Prozent« in Reaktion auf die Sachbeschädigungen am Haus eine Diffamierungskampagne, die jene Personen als »geistige Brandstifter« darstellte, die Schmitz bereits genannt hatte. Diese Personen wurden mit Namen und Fotos öffentlich an den Pranger gestellt. In den sozialen Medien verbreiteten sich die Behauptungen rasch und entwickelten in kruden Verschwörungstheorien eine Eigen­dynamik. Auf der Facebook-Seite von »Ein Prozent« fanden sich in vielen Kommentaren diverse Drohungen und Gewaltphantasien bis hin zu Vernichtungswünschen.

Diese Entwicklung scheint die Betreiber nicht im Geringsten zu stören, selbst eine Anspielung auf die Verbrennungsöfen der NS-Konzentrationslager wurde nicht sofort entfernt. Wenig später legten die österreichischen Verbündeten des extrem rechten Magazins Info.Direkt nach: Sie veröffentlichten zusätzliche Informationen sowie Fotos des Rechtsextremismusexperten Jerome Trebing und warfen ihm vor, durch einen Vortrag zu der Sachbeschädigung beigetragen zu ­haben. »Ein Prozent« und Info.Direkt haben bereits in der Vergangenheit ­zusammengearbeitet.

Die Diffamierungskampagne zeigt einmal mehr die vielschichtigen Gefahren, die von der extremen Rechten und ihrer Medienarbeit ausgehen, in der sie einen Opferstatus in Anspruch nehmen, während gleichzeitig Beteiligte mit Gewalt drohen. Dabei arbeiten diverse Gruppen und Strömungen ungeachtet der Spannungen und Fraktionskämpfe zusammen. Das Hallenser Hausprojekt steht beispielhaft für das Zusammenrücken der extremen Rechten: Von »Identitären« über Burschenschafter bis hin zur AfD finden dort rechte bis rechtsextreme Gruppen und Personen Räume für Kampagnenarbeit, Vernetzung, Schulung und interne Projekte. »Ein Prozent« fungierte hier einmal mehr als Vermittler, gibt sich jedoch einen betont bürgerlichen Anstrich. Das Haus ist eine Schaltzentrale für die deutschen »Identitären«, was die zentrale Rolle von »Kontrakultur« wohl noch stärken wird.

Die Wichtigkeit dieses Raums für die extreme Rechte zeigt sich nicht zuletzt in der Vehemenz ihres Vorgehens gegen Kritiker und Kritikerinnen. Durch die mediale Hetzkampagne wird zudem versucht, Proteste zu delegitimieren und zu kriminalisieren. Je weiter die Konsolidierung voranschreitet, desto größer werden die Auswirkungen sein. Das antifaschistische Bündnis gegen das rechtsextreme Hausprojekt betont auf seinem Blog, man werde diesen Versuch der Vereinnahmung des Viertels nicht dulden und »sie nicht in Ruhe lassen, solange sie ihre menschenverachtenden Umtriebe fortsetzen«.