Ein Porträt des israelischen Musikers Gili Yalo

Der Mann aus einer anderen Welt

Der Musiker Gili Yalo ist Israeli mit afrikanischen Wurzeln und hat sich nach Jahren als Reggae-Sänger und Backgroundmusiker als Künstler selbst entdeckt – und für seine Hörer den Funk des Swinging Ethiopia.

Eine musikalische Kurzbiographie des israelischen Musikers Gili Yalo liest sich in etwa so: Der 35jährige war Sänger der Reggae-Band Zvuloon Dub System; er unterstützte bei Konzerten die Sängerin Ester Rada. Nach zwei Jahren Arbeit veröffentlicht er dieser Tage sein erstes Soloalbum mit der Musik, die früher seine Eltern gehört haben. Yalo wird einige Konzerte in Israel und auf dem Rencontres Trans Musicales Festival im französischen Rennes spielen, wo einst auch Nirvana und Lenny Kravitz erste Erfolge in Europa feierten.

»Ich habe in den vergangenen Jahren endlich meine Angst überwunden. David Bowie sagte mal, wenn man so weit ins Wasser geht, dass man den Boden nicht mehr unter den Füßen spürt, dann ist man genau am richtigen Ort, um etwas Auf­regendes entstehen zu lassen. An diesen Ort habe ich mich endlich gewagt.« Das sagt Yalo über die Musik seines Soloalbums. Dieses lässt im Rückblick den Reggae des Zvuloon Dub System als eine genrebeschränkte Fingerübung für Yalo erscheinen: »Es hat Spaß gemacht, aber als Künstler wollte ich mich weiterentwickeln.«

Diese Weiterentwicklung schöpft aus einer langen Tradition: Yalo gehört zu einer Bevölkerungsgruppe Äthiopiens, die seit über 500 Jahren dem jüdischen Glauben angehört. Diese Bevölkerungsgruppe, die sich selbst Beta Israel (Haus Israel) nennt, wurde in den achtziger und neunziger Jahren mit mehreren Luftbrücken aus Äthiopien fast vollzählig nach Israel ausgeflogen und dort eingebürgert; bekannt wurden vor allem die »Operation Moses« 1984 / 85 und die »Operation Salomon« 1991.

Nach dem Sturz und Tod des Kaisers Haile Selassi versank Äthiopien von 1975 bis 1991 in einem Bürgerkrieg. Der bewaffnete Konflikt und mehrere Dürren führten zu Hungersnöten und Fluchtbewegungen in umliegende Länder wie den Sudan. Das Ausfliegen der Beta Israel war eine pragmatisch ausgeführte Rettungsaktion, zum Teil auch angetrieben von bereits in Israel lebenden Äthiopiern. Die Neuankömmlinge hatten in Äthiopien ein ländliches Judentum praktiziert, das zu ihrem sehr einfachen Leben passte. In Israel waren sie gerettet, hatten nun aber nicht nur den Wehrdienst abzuleisten, sondern waren auch mit dem ungewohnten westlichen Lebensstil konfrontiert und hatten einiges an Rassismus zu ertragen.

Gili Yalo war vier Jahre alt, als er nach Israel kam. Auch er hat nicht nur gute Erfahrungen gemacht: »Auf dem Schulhof habe ich so Sachen gehört wie ›Geh zurück in den Dschungel‹, aber ich hatte keine Vorstellung, was damit gemeint war.« Der Dschungel war ihm so fremd wie den Nachfahren der Einwanderer aus Mitteleuropa, Russland oder Marokko, ­deren Familien nur einige Jahrzehnte länger in Israel lebten.

Konflikte begleiten den Weg der Beta-Israel-Community. Im März vergangenen Jahres berichtete die israelische Tageszeitung Haaretz über Proteste in der mittelgroßen Stadt Kirat Malakhi. Die Bewohner eines Wohnkomplexes hatten sich schriftlich darauf verständigt, keine Apartments an Schwarze zu vermieten oder zu verkaufen. Das erinnerte an die Vorfälle des Jahres 1996. Damals kam heraus, dass Blutspenden der Beta Israel nicht verwendet wurden, da offizielle Stellen die Rate von AIDS-Erkrankungen in dieser Bevölkerungsgruppe besonders hoch einschätzten. Als das bekannt wurde, versammelten sich Tausende zum Protest. Es kam zu Unruhen und Gewalt.

Inzwischen spricht man über ­höhere Fördergelder für die Beta-Israel-Community. Auch wird immer noch die Rückholung der letzten etwa 8 000 in Äthiopien lebenden Juden geplant. Die Kinder der ersten Beta Israel, die nach Israel kamen, haben aber nicht nur Probleme, sondern auch viele Erfolge vorzuweisen. »Es ist ja auch so, dass in den vergangenen Jahren viele der zweiten Generation der Äthiopier als Künstler und Musiker bekannt geworden sind«, sagt Yalo.

Das ist gar nicht erstaunlich, denn Äthiopien ist zwar ein sehr ­armes Land, aus dem viele Menschen flohen, doch gab es in den frühen Siebzigern dort auch eine der lebendigsten Musikszenen jener Jahre. Die Pro­tagonisten hatten oft zuvor in Militärkapellen musiziert, manche in London studiert. »Sie kamen zurück nach Hause und mit ihren Erfahrungen kombinierten sie Motive aus Jazz und Funk mit der lokalen äthiopischen Musik.« Es gab nicht nur Swinging London, sondern auch Swinging Ethiopia.

Der Sound dieser ebenso aufregenden wie kurzlebigen Szene ist in­zwischen weltbekannt. Der Regisseur Jim Jarmusch verwendete sie für seinen Film Broken Flowers. Der Rapper Kanye West remixte sie. Mit der Compilation-Reihe »Éthiopiques«, die seit Mitte der neunziger Jahre erscheint, haben sich der französische Produzent Francis Falceto und das ­Label Buda Musiques um die Popularisierung der flirrenden, westlichen Hörgewohnheiten entgegenkommenden Songs verdient gemacht.

Die Originalpressungen der äthiopischen Labels mit sogenanntem Ethio Jazz sind unter Sammlern inzwischen so begehrt, dass manche sie in Anspielung auf die afrikanische Kolonialgeschichte mit Elfenbein oder Blutdiamanten vergleichen. Der Markt für alte Vinylveröffentlich­ungen der Label Amha, Kaifa oder Philips-Ethiopia ruft irrwitzige Beträge auf. Gut erhaltene Exemplare wechseln für vierstellige Beträge die Besitzer. Plattenläden aber gibt es in Äthiopien nicht. Die Äthiopier kennen den Wert ihrer Musik und verscherbeln sie nicht. Es gibt Repor­tagen über Sammler, die durch die Hauptstadt Addis Abeba und anderen Städte irren, um schließlich die ­Suche nach Originalpressungen aufzugeben.

Yalo lacht, wenn man ihn auf den Retro-Charme seines Albums anspricht, das er selbstverständlich auch als Schallplatte veröffentlicht. Macht er vielleicht nichts anderes als die »The«-Bands der frühen Nuller, die auch nur die Musik der Sechziger entstaubt haben? »Natürlich bin ich von der goldenen Zeit des Ethio Jazz inspiriert. Aber es ist doch wunderbare Musik. Sie ist anders als der südafrikanische Sound, den Paul Simon 1986 mit ›Graceland‹ welt­bekannt gemacht hat. Die äthiopische Musik ist rauer, besteht aus vielen kleinen Details. Trotzdem klingt sie so lebensfroh, auch wenn die Texte oft traurig sind.«

Tragik und Lebensfreude, Armut und Lachen hat er erlebt, als er für den Videodreh zum Song »Selam« in sein Geburtsland zurückkehrte. ­»Eigentlich wollten wir auf dem Merkato drehen.« Doch für den Dreh auf dem größten Markt des afrikanischen Kontinents gab es keine Genehmigung: »Der Regisseur Guy Bolandi hatte eine völlig andere Story­line geplant, aber das haben wir über den Haufen geworfen.« Stattdessen sieht man Yalo allein und mit den Kindern in einem Township. »Sie haben so wenig. Sie tanzen trotzdem.« Yalo hat dieselbe Hautfarbe wie sie, aber sein Adidas-Trainingsanzug und die Sonnenbrille machen ihn zu einem Mann aus einer anderen Welt. Er ist ein Geretteter, Wiedergeborener.

Yalo gelingt es mit seiner Musik, nicht nur Interesse, sondern geradezu Lust zu wecken auf Äthiopien. Er sieht sich als Botschafter der Hoffnung, die er so formuliert: »Wir ­befinden uns in einer Zeit, in der es immer schwieriger wird zu sagen: ›Du bist Äthiopier‹ oder: ›Du bist Jude, du bist aus Deutschland oder Asien.‹ Die Menschen vermischen sich jetzt, beeinflussen sich, erfahren sich gegenseitig. Und es wird etwas Positives daraus entstehen.« Gili Yalo hat Hoffnung – und seine Musik transportiert dieses Gefühl vortrefflich.

 

Gili Yalo: Gili Yalo (MEM) Das Album erscheint am 1. Dezember.