Die Digitalisierung ist keine soziale Revolution

Marx am Smartphone

Die Digitalisierung verändert den Kapitalismus. Ob sie uns seiner Überwindung näherbringt, ist umstritten.

Die Digitalisierung verändert den kapitalistischen Betrieb fundamental – und damit auch die Formen des Arbeitens. Das Internet ist längst zum zentralen Faktor dieser Entwicklung geworden. Es ist nicht mehr nur das Fließband, das den Takt der Arbeit vorgibt, und es sind nicht mehr nur die herkömmlichen Industrie- und Finanzunternehmen, die die Wirtschaft bestimmen. Auch in der Industrie schreitet die Digitalisierung voran. Vermehrt lassen Router und Smartphones Arbeits­zeiten und -formen überall flexibler werden.

Mittlerweile ist die Marktmacht der sogenannten big four – Google, Apple, Facebook und Amazon – offensichtlich, auch wenn ihre Umsätze noch weit unter denen klassischer Unternehmen wie Walmart und Exxon liegen. Sie bündeln die Veränderungen des kapitalistischen Wirtschaftens wie ein Brennglas. Die Wertschöpfung erfolgt dort jenseits der Übertragung von Eigentumsrechten. Die Grenzen zwischen Produktion und Konsumtion lösen sich in kollaborativen Prozessen auf. Ein Facebook-Post kann verwendet werden, um mit Werbung Profit zu machen. Arbeiter im klassischen Sinne gibt es bei Facebook ebenso wenig wie bei Google. Wenn die Suchmaschine ihre ungefähr 70 000 Suchanfragen pro Sekunde bearbeitet, gibt es keine Menschen, die diese Fragen beantworten und ihre Arbeit wertschöpfend in das Produkt einfließen lassen. Es ist ein Algorithmus, der, einmal geschrieben, unendlich oft angewendet werden kann. Außer diesem Algorithmus wird nichts produziert, trotzdem wird einiges verdient.

All diese Entwicklungen werden in der Wissenschaft und im Feuilleton besprochen und mit verschiedenen Erwartungen verknüpft. Innovation und Effizienz sollen »zukunftsfähiges« und »nachhaltiges« Wachstum fördern und ermöglichen eine andere Art, zu leben und zu arbeiten. Die Frage ist: Wird dies ein gutes Leben und Arbeiten jenseits kapitalistischer Zwänge sein? Spätestens hier scheiden sich die Geister.

Der US-amerikanische Soziologe Jeremy Rifkin und der britische Journalist Paul Mason, der sich selbst als »radikalen Sozialdemokraten« bezeichnet, sind Verfechter der These, die Digitalisierung bringe das Ende des Kapitalismus. Mason geht in seinem Buch »Postkapitalismus« davon aus, dass der Kapitalismus ein Problem bekommt, wenn Informationen und Daten zum zentralen Anker der Wirtschaft würden. Da sie unendlich und frei verfügbar seien, könne kein Preis mehr für sie verlangt werden. Die Informationstechnologie untergrabe die kapitalistische Logik der Kommodifizierung. Der Kapitalismus stehe kurz vor dem Untergang und habe dies durch seine interne Entwicklung selbst zustande gebracht – ganz ohne Revolution oder Arbeiterklasse. Mit dieser deterministischen Sicht auf die Entwicklung des Kapitalismus stehen die beiden Autoren in seltsamer Einheit mit Traditionsmarxisten des vergangenen Jahrhunderts. Für die Hammer-und-Sichel-Fraktion ergibt sich die Überwindung des Kapitalismus allein aus der Geschichte und dem Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen; Politik ist nicht nötig, Digitalisierung lediglich eine Randerscheinung.

Dagegen argumentieren differenziertere Marxisten wie Dietmar Dath (»Maschinenwinter«) oder Christian Fuchs (»Marx lesen im Informationszeitalter«), der Kapitalismus erfahre durch die Digitalisierung einen neuen Schub. Der digitale Kapitalismus funktioniere hervorragend, schreibt Timo Daum in seiner Flugschrift »Das Kapital sind wir. Zur Kritik der digitalen Ökonomie«. Daum grenzt sich damit von Krisenerklärungen ab. Der Kapitalismus transformiere sich derzeit vielmehr erfolgreich. Zwar gebe es ein neues Akkumulationsregime des Kapitals, das sich dadurch auszeichne, dass Algorithmen zur wichtigsten Maschine, Daten zum essentiellen Rohstoff und Informationen zur eigentlichen Ware Nummer eins würden. Ziel sei jedoch immer noch die Produktion von Mehrwert. Nur die Form habe sich gewandelt. Es gehe nicht mehr um die fabrikmäßige Herstellung von Waren und deren Verkauf, sondern, so Daum, um die Organisation des Zugangs zu Wissen und Information.

Diese unterschiedlichen Sichtweisen auf den digitalen Kapitalismus beziehen sich alle auf einen Denker, der zurzeit ein Revival erfährt: Karl Marx. Nächstes Jahr steht sein 200. Geburtstag an. Vor 150 Jahren erschien der erste Band seines Hauptwerkes »Das Kapital«. Marx wäre, als ausgewiesener Freund des technischen Fortschritts, wohl Befürworter der Digitalisierung. Säße er heute in der British Library, um »Das Kapital« zu schreiben, würde er Google und Smartphone nutzen.
Mason und Daum beziehen sich auf eine Stelle, in der sich Marx Gedanken über die Rolle von Wissen und Technik macht: das sogenannte »Maschinenfragment« aus den »Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie«. Auf diesen wenigen Seiten entwirft Marx das Szenario einer Ökonomie, in der der Anteil von Maschinen an der Produktion immer weiter zunimmt, der Anteil an menschlicher Arbeitskraft hingegen schrumpft. Das Wissen, das in den Maschinen verkörpert ist, gewinnt an Bedeutung. Der general intellect, das Wissen in seiner gesellschaftlichen Funktion, wird zum »dominierenden Produktionsfaktor«.

Aber was bedeutet das nun? Im Kapitalismus ist die Ware Arbeitskraft die einzige Ware, durch deren Ausbeutung Mehrwert erzeugt werden kann. Ihr Nutzen ist größer als ihre Reproduktionskosten. Geht ihr Anteil zurück, gerät die Kapitalakkumulation nahezu zwangsläufig ins Stocken. Es gibt keine Arbeiter mehr, die Lohn erhalten und diesen als Konsumenten wieder auf den Markt werfen könnten. Der Kapitalismus kann den Wegfall der Arbeit bald nicht mehr kompensieren und frisst seine Arbeit sozusagen selbst auf. Hierauf gründen Mason und Rifikin ihre Krisentheorie. Sie deuten allerdings Thesen in den Text hinein, die Marx so nicht vertreten hat, und schließen voreilig von technologischen Möglichkeiten auf die ökonomische Wirklichkeit. Denn Marx diagnostiziert in diesem kurzen Text lediglich eine Tendenz.

Der Soziologe Claus Offe spricht von einer »Spekulation von Marx«. Auch wenn sie charmant und klug formuliert ist, gestaltet es sich schwierig, diese kurze Textpassage allein als Schlüssel zur Gegenwartsdeutung zu nutzen, gerade weil Marx an diesem Sachverhalt weitergearbeitet hat. Im »Kapital« beschreibt er, dass die »technische Basis (…) revolutionär ist, während die aller früheren Produktionsweisen wesentlich konservativ waren«. Der Kapitalismus transformiert sich zwar ständig selbst, wird dadurch aber nicht in Frage gestellt.

Unter kapitalistischen Bedingungen bedeutet technischer Fortschritt nicht zwingend sozialen Fortschritt – er kann sogar ins Gegenteil umschlagen. Zurzeit führt Modernisierung zu Massenentlassung, nicht Arbeitszeitverkürzung. Der technische Fortschritt macht Menschen überflüssig. Das liegt nicht an der Technik, sondern an der Dynamik ihrer kapitalistischen Verwertung. Technik könnte Marx zufolge so eingesetzt werden, dass die gesellschaftlich notwendige Arbeit auf ein Minimum reduziert wird. In einer postkapitalistischen Gesellschaft wäre Technik den Menschen ein Helfer, der sie nicht überflüssig macht, sondern ihnen freie Zeit verschafft und die Möglichkeit eröffnet, heutzutage vernachlässigten Tätigkeiten wie Pflege nachzugehen.

Die Mittel zur Bedürfnisbefriedigung aller sind längst da. Mit der Digitalisierung wäre es möglich, die Herstellung und Verteilung der Güter vernünftig zu planen. Ein digitaler Kommunismus muss allerdings erkämpft und gestaltet werden – von Menschen, die ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen und nicht mehr »Anhängsel der Maschine« sind. Dietmar Dath schreibt in seinem Essay »Maschinenwinter«: »Die Menschen müssen ihre Maschinen befreien, damit die sich revanchieren können.« Recht hat er.Die Digitalisierung verändert den kapitalistischen Betrieb fundamental – und damit auch die Formen des Arbeitens. Das Internet ist längst zum zentralen Faktor dieser Entwicklung geworden. Es ist nicht mehr nur das Fließband, das den Takt der Arbeit vorgibt, und es sind nicht mehr nur die herkömmlichen Industrie- und Finanzunternehmen, die die Wirtschaft bestimmen. Auch in der Industrie schreitet die Digitalisierung voran. Vermehrt lassen Router und Smartphones Arbeits­zeiten und -formen überall flexibler werden.

Mason und Daum beziehen sich auf eine Stelle, in der sich Marx Gedanken über die Rolle von Wissen und Technik macht: das sogenannte »Maschinenfragment« aus den »Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie«. Auf diesen wenigen Seiten entwirft Marx das Szenario einer Ökonomie, in der der Anteil von Maschinen an der Produktion immer weiter zunimmt, der Anteil an menschlicher Arbeitskraft hingegen schrumpft. Das Wissen, das in den Maschinen verkörpert ist, gewinnt an Bedeutung. Der general intellect, das Wissen in seiner gesellschaftlichen Funktion, wird zum »dominierenden Produktionsfaktor«.

Aber was bedeutet das nun? Im Kapitalismus ist die Ware Arbeitskraft die einzige Ware, durch deren Ausbeutung Mehrwert erzeugt werden kann. Ihr Nutzen ist größer als ihre Reproduktionskosten. Geht ihr Anteil zurück, gerät die Kapitalakkumulation nahezu zwangsläufig ins Stocken. Es gibt keine Arbeiter mehr, die Lohn erhalten und diesen als Konsumenten wieder auf den Markt werfen könnten. Der Kapitalismus kann den Wegfall der Arbeit bald nicht mehr kompensieren und frisst seine Arbeit sozusagen selbst auf. Hierauf gründen Mason und Rifikin ihre Krisentheorie. Sie deuten allerdings Thesen in den Text hinein, die Marx so nicht vertreten hat, und schließen voreilig von technologischen Möglichkeiten auf die ökonomische Wirklichkeit.

Denn Marx diagnostiziert in diesem kurzen Text lediglich eine Tendenz.
Der Soziologe Claus Offe spricht von einer »Spekulation von Marx«. Auch wenn sie charmant und klug formuliert ist, gestaltet es sich schwierig, diese kurze Textpassage allein als Schlüssel zur Gegenwartsdeutung zu nutzen, gerade weil Marx an diesem Sachverhalt weitergearbeitet hat. Im »Kapital« beschreibt er, dass die »technische Basis (…) revolutionär ist, während die aller früheren Produktionsweisen wesentlich konservativ waren«. Der Kapitalismus transformiert sich zwar ständig selbst, wird dadurch aber nicht in Frage gestellt.

Unter kapitalistischen Bedingungen bedeutet technischer Fortschritt nicht zwingend sozialen Fortschritt – er kann sogar ins Gegenteil umschlagen. Zurzeit führt Modernisierung zu Massenentlassung, nicht Arbeitszeitverkürzung. Der technische Fortschritt macht Menschen überflüssig. Das liegt nicht an der Technik, sondern an der Dynamik ihrer kapitalistischen Verwertung. Technik könnte Marx zufolge so eingesetzt werden, dass die gesellschaftlich notwendige Arbeit auf ein Minimum reduziert wird. In einer postkapitalistischen Gesellschaft wäre Technik den Menschen ein Helfer, der sie nicht überflüssig macht, sondern ihnen freie Zeit verschafft und die Möglichkeit eröffnet, heutzutage vernachlässigten Tätigkeiten wie Pflege nachzugehen.

Die Mittel zur Bedürfnisbefriedigung aller sind längst da. Mit der Digitalisierung wäre es möglich, die Herstellung und Verteilung der Güter vernünftig zu planen. Ein digitaler Kommunismus muss allerdings erkämpft und gestaltet werden – von Menschen, die ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen und nicht mehr »Anhängsel der Maschine« sind. Dietmar Dath schreibt in seinem Essay »Maschinenwinter«: »Die Menschen müssen ihre Maschinen befreien, damit die sich revanchieren können.« Recht hat er.