Die 68er liebten die Liebe. Heute wird sie eher überschätzt

Liebe ist ein Fünfbuchstabenwort

Liebe ist ein überschätzter Begriff, der in seiner unablässigen, stets unbeholfenen Verwendung vor allem auf die Grenzen von Sprache verweist.

Zweifelsohne gehört die Band Love zum Besten, das die Hippie-Bewegung hervorgebracht hat. Arthur Lee, aufgewachsen in Memphis und South Central (Los Angeles), gründete sie 1965 mit dem Co-Songwriter Bryan Mac­Lean. Lee war neben Jimi Hendrix einer der wenigen schwarzen Protagonisten der psychedelischen Folk- und Rockmusik. Seine Texte kreisten zwar oft um hippieske Themen wie Freiheit, Frieden und eben auch Liebe, aber häufig begleitet von einem nachdenklichen oder sogar düsteren und wenig blumigen Unterton – auch entgegen der Leichtigkeit und Entrücktheit der Songs.

In »Bummer in the Summer« vom dritten Love-Album »Forever Changes«, Ende 1967 erschienen, beschrieb er, kurz nachdem in San Francisco und anderswo der Summer of Love stattgefunden hatte, die Schattenseiten der Liebe: »You can go ahead if you want to/ ’cause I ain’t got no papers on you«, nur um noch selbstkritisch hinzuzufügen: »I ain’t got no papers on myself.«

»Ist das erste Geständnis einmal abgelegt, besagt ein ›ich liebe dich‹ nichts mehr; es greift ­lediglich auf rätselhafte Weise die alte Botschaft wieder auf.« Roland Barthes

Wenn Paare sich ständig, und erst recht in der Öffentlichkeit, ihrer gegenseitigen Liebe versichern, schwingt darin immer auch ein – hier von Lee abgelehnter – Besitzanspruch und zudem womöglich die Skepsis gegenüber der Liebe oder der anderen Person, also eine Verlustangst, mit. Denn wenn ich mir der Liebe des Gegenübers sicher wäre, wenn ich das Gefühl erkennen würde, dann müsste ich es ja nicht ständig und unvermeidlich phrasenhaft bestätigen ›lassen‹: »Ich liebe dich!« – »Ich dich auch!«

Roland Barthes hat sich in seinem Versuch, die »Fragmente einer Sprache der Liebe« zu ergründen, auch dieser Formel zugewandt: »Ist das erste Geständnis einmal abgelegt, besagt ein ›ich liebe dich‹ nichts mehr; es greift ­lediglich auf rätselhafte Weise die alte Botschaft wieder auf.« Allerdings übersieht er hier, dass Liebe (als Gefühl) wie auch ihre Äußerung immer nur für den Moment gilt – selbst wenn man sie sich naturgemäß als ewig anhaltend wünscht – und daher gerade keine Dauerhaftigkeit beanspruchen kann. Insofern bleibt einem doch nichts anderes übrig, als immer wieder neu nachzuspüren, ob sie überhaupt noch da ist, die Liebe. Eine gegenseitige Liebeserklärung ist nun einmal ein gänzlich anderer Sprechakt als etwa das doppelte Ja einer Hochzeitszeremonie. Schließlich habe ich keinen Vertrag mit dir, keinen Anspruch auf dich, singt Arthur Lee.

So unzureichend der sprachliche Ausdruck von Liebe auch ist, die übrigen zur Verfügung stehenden zwischenmenschlichen Zeichen sind es ebenfalls. Barthes ergänzt: »Wer nicht ich-liebe-dich sagt (wessen Lippen sich kein ich-liebe-dich entlocken lässt), ist dazu verurteilt, die multiplen, unsicheren, zweifelhaften, kargen Zeichen der Liebe auszusenden, ihre Indizes, ihre ›Beweise‹: Gesten, Blicke, Seufzer, Anspielungen, Ellipsen: Er muss sich deuten lassen.« Und Julia Kristeva erläutert in ihren »Geschichten von der Liebe« an Barthes anlehnend den Aspekt der Verschmelzung, der unter Liebenden letztlich angestrebt wird: »Denn in der Verzückung der Liebe gehen die eigenen Identitäten verloren, und gleichzeitig verschwimmt die Präzision der Referenz und des Sinns des Liebesdiskurses. Meinen wir dasselbe, wenn wir von Liebe sprechen?« Es bleibt halt kompliziert, über Liebe zu reden.

Bob Dylan schrieb 1965 den Song »Love Is Just a Four-Letter Word«, den er jedoch nie aufnahm, sondern seiner damaligen Freundin und Mitstreiterin Joan Baez überließ. Sie spielte den Song fortan live und veröffentlichte ihn schließlich 1968. Baez war die Hippie-Ikone, die Dylan selbst nie sein wollte. Der Song, tongue-in-cheek wie üblich bei Dylan, ist, wie der Titel bereits andeutet, alles andere als ein romantisches Liebeslied. Auch hier verschwindet die Liebe beziehungsweise bleibt nur als leeres Wort zurück: »After waking enough times to think I see/The Holy Kiss that’s supposed to last eternity/Blow up in smoke«. Die Liebeserklärung gilt nicht für die Ewigkeit. Schlussendlich handelt es sich lediglich um ein vergängliches Sprachspiel. Ob Baez’ Zuhörer, etwa in Woodstock, sich dieser Flüchtigkeit und sprachlichen Unzulänglichkeit bewusst waren und entsprechend ihre eigene ubiqui­täre idealistische Liebesrhetorik hinterfragten, muss offen bleiben. Es ist die eine Konstante jeder Sprache der Liebe: Missverständnisse und Enttäuschungen sind nicht unwahrscheinlich.