Ist das Konzept »Intersektionalität« politisch sinnvoll?

Diskriminierung komplett

Am Begriff der Intersektionalität kommt die Linke nicht mehr vorbei. Warum eigentlich nicht?

»Intersektionalität« avancierte in den vergangenen Jahren zu einem Schlüsselbegriff der politischen Standortbestimmung innerhalb der Linken. In der Antidiskriminierungsarbeit, vor allem im Bereich sexu­eller Orientierung und Geschlechts­identität, geht es neuerdings stets darum, eine »intersektionale Perspektive« zu entwickeln. Aber auch Theater, Medien und Clubs sind nun aufgefordert, »intersektional« zu arbeiten, um sich möglichst gerecht oder vielmehr »diskriminierungsarm« zu verhalten. Was genau mit dem geforderten intersektionalen Ansatz gemeint ist, bleibt dabei zumeist unklar.

Sicher scheint: Wer das eigene Handeln als »intersektional« bezeichnet, will damit kenntlich machen, dass er sich gegen jedes Unrecht wendet, mehrere Perspektiven »mitdenkt« und ein Bewusstsein von der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Formen von Diskriminierung besitzt. Um den individuell je unterschiedlichen Grad von Betroffenheit zu illustrieren, gebrauchen die Vertreter der »Intersektionalität« den Begriff des »Privilegs«, um eine gesellschaftliche Besserstellung in bestimmter Hinsicht anzuzeigen. Wer trans und deshalb »marginalisiert« ist – also randständig innerhalb der Gesellschaft –, kann diesem Konzept zufolge zugleich als »Weißer« privilegiert sein beziehungsweise ist demnach nicht von Rassismus in seinen vielfältigen alltäglichen Formen betroffen.

Einigkeit bestehe heute darüber, dass der Begriff auf Kimberlé Crenshaw zurückgeht. Mit dem Bild der Kreuzung (intersection) kritisierte die Juraprofessorin die Urteile in verschiedenen Gerichtsprozessen

Einerseits greift das Konzept der Intersektionalität eine innerfeministische Kritik auf, die besagt, dass keine Frau für alle Frauen sprechen könne, aber auch kein Schwarzer für alle Schwarzen, kein Schwuler für alle Schwulen sprechen  könne und so weiter. Diese Kritik an der Verall­gemeinerung wurde mit dem fehlenden Wissen der Aktivistinnen und Aktivisten über die Situation schwarzer und behinderter Frauen beziehungsweise der fehlenden Sensibilität für sie begründet. Andererseits bedeutet intersektionaler oder auch multiperspektivischer Aktivismus im Zusammenhang mit Privilegienkritik, dass all jene, die keine Betrof­fenen sind, über die jeweilige Diskriminierung, die sie nicht erfahren haben, nicht selbständig nachdenken und sich nicht ohne Rücksprache mit Betroffenen dazu äußern sollten. Ein Heterosexueller etwa hat demnach zu Homosexuellenfeindlichkeit nichts zu sagen als das, was ihm Homosexuelle darüber gesagt haben.

Und schon befinden wir uns in den teils verwirrenden, zu Konzepten geronnenen Interpretationen von »Intersektionalität«. Um Klarheit in die Debatte zu bringen, zeichnen sechs feministische Autoren und Autorinnen den Ursprung des Begriffs und seine politischen Wendungen bis in die Gegenwart in der Ausgabe 2/2017 des Hefts Psychologie und Gesellschaftskritik nach, darunter Gudrun-Axeli Knapp, Mai-Anh Boger und Michael Zander. Einigkeit bestehe heute darüber, dass der Begriff auf Kimberlé Crenshaw zurückgeht.

Mit dem Bild der Kreuzung (intersection) kritisierte die Juraprofessorin die Urteile in verschiedenen Gerichtsprozessen: Die Diskriminierung von schwarzen Frauen war rechtlich nicht als Diskriminierung anerkannt und sanktioniert worden, da dies, so das Gericht, eine Klagewelle ausgelöst hätte. Die soziale Realität, sowohl Rassismus als auch Sexismus erfahren zu haben, sollte keine juristische Würdigung erhalten. Crenshaw hielt dagegen, dass schwarze Frauen an der Kreuzung dieser Diskriminierungen stünden, die unterschiedliche Inhalte haben, sich aber gleichzeitig und ei­nander kreuzend auf eine Person negativ und spezifisch auswirken können. In anderen Worten: Es gibt eine spezifische Diskriminierung von schwarzen Frauen.

Intersektionalität wurde als notwendige Kritik an der Standardnormierung der Wahrnehmung angeführt. Sie gab, so Knapp, der »Problematik der Vermittlung multipler Formen von Ungleichheit und Herrschaft, von Diskriminierung und politisch-sozialen Identifikationen« einen Namen und führte diese komplexen Vorgänge auf das einleuchtend einfache Bild der Kreuzung zurück. Eine intersektionale Haltung fordere dazu auf, »sich für verschiedene Diskriminierungsformen zu interessieren«, wie Zander es in seinem Aufsatz formuliert.

Die Autoren und Autorinnen beschäftigten sich mit den Grundlagen der Intersektionalität und leiten ­daraus eine immanente Kritik ab. Zwar wolle das Konzept der Intersektionalität sensibilisieren und den politischen Horizont erweitern, doch führe es regelmäßig zur Verengung feministischer Politik und kritischer Forschung, so Zander und Knapp. Die Intersektionalitätsforschung finde letztlich immer wieder heraus, dass die diskriminierende Gesellschaft diskriminierend sei. Die Privilegienkritik belasse es bei der Skandalisierung. Boger spricht daher von einer aktivistischen Trägheit des Ansatzes, wo nur noch Anerkennung dafür gefordert werde, dass man existiert. Die vielgebrauchten Begriffe »Macht« und »Ausschluss« bleiben entsprechend vage, erfahren keine Rückkoppelung an eine Gesellschaftstheorie und werden durch ihre Dehnbarkeit bedeutungsleer. Besonders eindrücklich wird das am Beispiel des sogenannten »outside privilege« deutlich, das alle jene Menschen genießen würden, die nicht inhaftiert sind.

 

Wozu kann man den Begriff der Intersektionalität noch gebrauchen?

 

Hier wird der Zirkelschluss des ­Intersektionalitätsansatzes deutlich: Als Identitätskritik angelegt, findet man sich plötzlich in einer deutlichen Konzentration auf die unterschiedlichsten Identitäten und daraus abgeleiteten Privilegierungen und Marginalisierungen wieder. Knapp zufolge wird aus diesen kategorialen Zuschreibungen eine aktivistische und auch theoretisch formulierte Moral, weil das Paradigma der social dominance theory im Mittelpunkt stehe. Hier liegt der Fokus auf Machtgefällen und Gegenüberstellungen, die mit der Vorstellung eines tatsächlich vielschichtigen Vorgangs der Subjektwerdung unvereinbar geworden sind. Die wich­tige Kritik an Diskriminierung und Gewalt wird derart eng geführt, schreibt Knapp, dass eine »umfassende Perspektive auf Gesellschaft und Subjektivität im feministischen Diskurs« verschwinde.  Die »norm­kritische Stoßrichtung der Intersektionalitätsforschung schlägt«, wie Zander ausführt, »um in Hypernormativität«.

Karin Stögner spitzt diese Kritik in ihrem Artikel zu: So gehe der intersektionale Ansatz, oder das, was aus ihm gemacht wurde, nicht nur an der sozialen Realität der Individuen vorbei, sondern bewerte darüber ­hinaus Phänomene entgegen der eigenen Verpflichtung, sich an Gerechtigkeit zu orientieren, höchst unterschiedlich. Antisemitismus werde ausgeblendet oder wie bei Jasbir K. Puar gegen die Betroffenen gewendet; die »nationale Selbstbestimmung von Juden und Jüdinnen« werde als »letzte Bastion des Imperialismus« an­gesehen. Ein Grund dafür sei das eingeschränkte Verständnis von Ethnie, das sich nur an der Unterscheidung von »weiß« und »schwarz« orientiere und mitunter dazu führe, »dass die Shoah als ein Verbrechen angesehen wird, das Weiße an Weißen begangen haben«.

Es stellt sich die Frage, wozu man den Begriff der Intersektionalität und die mit ihm einhergehende Privilegienkritik in der derzeit gängigen Form politisch und theoretisch noch gebrauchen kann. Boger wird da recht deutlich und spricht von einem Horrorkabinett, in dem kumu­lativer Schaden ermessen und hervorgehoben werde, man dehumanisierende Wortketten bilde und im Aktivismus mit »intersektionalen Bull­shit-Bingo-Privilegientests« in die Praxis überführe. Dem gegenüber steht das mehrfach diskriminierte Subjekt eigentlich im Gegensatz zum Intersektionalitätsansatz, da es den Wortketten der X-Y-Z-Identitätsreihen nicht entspreche.

Die Autoren und Autorinnen fordern eine Rückbesinnung auf die Ideen Crenshaws, eine Veränderung des Konzepts oder regen an, ganz auf den Begriff zu verzichten. So hat sich Mai-Anh Boger ihre bisherigen Veröffentlichungen nochmals angeschaut und ist zu dem Schluss gekommen, dass sie das Wort »Intersektionalität« in ihren Texten genauso gut ersatzlos streichen könnte, ohne deren Aussage zu verändern. »Intersektional« sei ihr zufolge ein Hinweis darauf, dass man sich einem Paradigma verschreibe, das die unterschiedlichen Facetten von Unrecht und Diskriminierungen anerkennt. Ob es dieses Etikett allerdings braucht, stellen nicht zuletzt die angeführten Autorinnen und Autoren in Frage.

 

Andrea Arnold et al. (Hrsg.): Intersektionalität. In: Psychologie & Gesellschaftskritik, Heft 2, 2017, Nr. 162. Pabst Science Publishers, Lengerich 2017, 13 Euro