Viel war auf der Transmediale kritisch gemeint, Streit fand aber kaum statt

Nicken und Klicken

Das seit über 30 Jahren in Berlin stattfindende Medienkunstfestival Transmediale widmete sich kürzlich unter dem Titel »Face value« den Verbindungen zwischen Kunst, Medien und Politik. Die diesjährigen Beiträge schwankten zwischen politischer Naivität, Okkultismus und forcierter Authentizität.

Die Transmediale ist ein Festival über digitale Kultur. Vor 30 Jahren wurde es etabliert, als Ort der Debatten über das, was in den neunziger Jahren im Zeichen technischer Entwicklung unter dem Label Medienkunst figurierte. Wie die Medienkunst selbst, die die Verfransung der Künste schon in ihrer tautologischen Selbstbezeichnung anzeigt, durchzog auch das Festival die Frage, was Medium und was Kunst sei. Die politischen Implikationen dieser Frage wurden dieses Jahr unter dem Titel »Face value« programmatisch. Bemerkbar machte sich auf diese Weise eine Verschiebung, weg von künstlerischem Experiment und der Reflexion auf den Stand der technischen Möglichkeiten, hin zu einer Akademisierung im Bereich zeitgenössischer Kunst, die »künstlerische Forschung« betreibt und diese in der Regel an gesellschaftskritischen Themen zu entwickeln versucht.

Die digitalen Produktivkräfte sind in der politischen Linken in etwa so geringgeschätzt wie in der Regierung, für die Angela Merkel das Meme, das Internet sei für uns alle Neuland, schuf. Bei der Transmediale aber wissen alle Bescheid und bemühen sich, es richtig zu machen. Repräsentationskritisch wird zum Auftakt mit dem Brauch von Grußworten gebrochen (und damit werden die institutionellen Spuren verwischt); an ihrer Stelle gibt es kürzere Beiträge, deren manifestartiger Charakter den Ton für das Folgende setzt. Seit fake news den postmodernen Relativismus auf die Probe stellen, ist der Anspruch auf Wahrheit wieder zurück und mit ihm werden alle Register linker Kritik gezogen. Unter der Oberfläche der digitalen Kultur wird ihr Produktionszusammenhang wiederentdeckt, neokoloniale Ausbeutung, Klassenverhältnisse und Naturzerstörung, die geschlechtlich determinierte Genese der Technik, die algorithmische Sprache des weißen Mannes, verästelt noch in die fernsten Bereiche des menschlichen Lebens, zudem der an- und organischen Strukturen, von denen Ersteres mehr und mehr ununterscheidbar erscheint. Reform versus Revolution. Fast durchweg kamen Gedanken zur Sprache, denen niemand ihren reflexiven, kritischen Gehalt abzusprechen wagte. Fast jeden Absatz aber beginnt eine kommunistische Agitatorin mit »I am interested in«, das Publikums bedeutet »I like that«; Nicken und Klicken.

 

Eine dichte, bedeutungsüberladene Sprache beherrscht die Begleittexte und Ankündigungen der Transmediale. Die Dringlichkeit, alles auf einmal sagen zu müssen, ist spürbar, der Unterschied zwischen Argument und Sprachgeklapper
oft schmerzhaft.

 

Die Veranstaltung, ein Markt der kritischen Möglichkeiten, scrollt sich selbst. Gebildete Menschen in ihren besten Jahren diskutieren Chancen und Zweifel in ihrer algorithmischen Komfortzone, treffen sich immer wieder aufs Neue in Varianten des gleichen Themas als Selbstentwurf der Zukunft, um die es, je nach Stimmung, gleichermaßen gut wie schlecht bestellt ist. Die alten Modelle politischer Organisation riechen nach 20. Jahrhundert, Effektiveres ist gefragt. Die Anti-Google-Aktivisten aus dem Kiez können die Bühne für ihre Politperformance ohne Hilfe weder betreten noch verlassen: Sie haben sich mit Schutzanzügen und Masken soweit anonymisiert, dass sie nichts mehr sehen können. Sie tasten sich an den Oberflächen entlang, kompensieren ihre Blindheit aber mit Stimmgewalt.

Jauchzend identifiziert sich ein Teil des Publikums mit dem Trotz unbekümmerter Authentizität, während ein anderer gutmütig klatschend die verfehlte künstlerische Form und mangelnde analytische Tiefe verzeiht. Ähnliches wird noch einmal beim Auftritt der migrantischen Frauenrechtlerin Jennifer Kamau am Sonntag deutlich, der andächtig zugehört wird, deren praktische Perspektive sich aber nicht recht in den politischen Entwurf der anarchistischen Theoretiker einfügen mag, die auf sie setzen. Während die Theore­tiker die rechte Instrumentalisierung des Bildes »der Flüchtenden« kritisieren, werden in einer Präsentation des Panels bedeutungsvoll Bilder von Grenzzäune durchbrechenden Flüchtenden mit linken Demonstra­tionen montiert.

Sowohl der Akademie- wie auch der Kunstbetrieb sind auf die Authenti­zität der Handelnden angewiesen: sie ist ihr Gebrauchswert, als Objekt der Theoretisierung, als Material der Arbeit. Das Unbehagen dieser objektiv notwendigen Instrumentalisierung führt mit einer gewissen Notwendigkeit zur Hypostasierung der eigenen Wirkmächtigkeit und zur eifrigen Demonstration politischer Integrität, die sich im ostentativen Selbstverständnis ausdrückt, selbst Teil verändernder Praxis zu sein. Der objektive Widerspruch dazwischen, zugleich theoretisch und künstlerisch zu brillieren, Funktion im Wettbewerb zu sein, und kritische Praxis zu betreiben, zeigt sich in dieser Situation pars pro toto.

Die Beiträge selbst schwanken zwischen Zeitprognostik, materialistischer Analyse, politischer Agitation, veritablem Trash, bemühter Kreativität und selbstkritischen Fragen der Komplizität und Immanenz. Eine dichte, bedeutungsüberladene Sprache beherrscht die Begleittexte und Ankündigungen. Die Dringlichkeit, alles auf einmal sagen zu müssen, ist spürbar, der Unterschied zwischen Argument und Sprachgeklapper oft schmerzhaft.

 

Das Verschwinden des Geldes und die die Sinnlichkeit des emanzipatorischen Spiels mit Maschinen

 

Ein Panel diskutiert »Valuation and Non-Monetary Utopias«. Hier wird das Verschwinden des Geldes zugunsten unmittelbarer, nicht preisvermittelter Tauschverhältnisse prognostiziert, die die Utopie in der Digitalisierung durch Techniken des sharing keimen lässt. Im Einwand darauf wird die wärmende, auch spielerisch-emotionale Dimension des Geldes betont. Entzieht sich dem einen der Zusammenhang von Geld und Kapital, subtrahiert die Antwort noch den von Warenform und Denkform in Rekurs auf Anthropologie.

Spielend wird hier Gesellschaft naturalisiert, obgleich zu Beginn der Konferenz doch sehr genau denunziert wurde, wie sich Geld als Medium des gesellschaftlichen Zwangszusammenhanges setzt. »Face value«, Nominalwert, bare Münze – die Bedeutung des Titels der diesjährigen Transmediale changiert; zwischen seiner ökonomischen Definition und Gertrude Steins poetischem Verweis auf den Universalienstreit, dem Ausdruck fortschreitender Quantifizierung und Evidenz per se. Nur wenige wenden die janusköpfige Münze, deren Rückseite den Souverän zeigt, der die Geltung des Nominalwerts zu garantieren hat: etwa diejenigen, die der Ware Bitcoin den Geldcharakter absprechen, den staatlichen Akteuren noch globale Relevanz beimessen.

 

Die Omnipräsenz von kritischen Beiträgen bei vollständiger Abwesenheit von Streit und Kontroverse und die Koexistenz von bodenlosem Quatsch und wohlformulierter Kritik blieben das irritierende Moment der ganzen Veranstaltung.

 

Allen Beiträgen zugrunde liegt die durch die Digitalisierung dynamisierte financialization der Ökonomie. Den Vortragenden schien die wechselseitige Abhängigkeit von »Real-« und »Finanzwirtschaft«, entgegen der geläufigen ideologischen Entgegensetzung von produktiver und unproduktiver Arbeit, zumindest aufzuschimmern. Unter dem zweiten Schlagwort des racial capitalism, dessen Konzeption die ursprüngliche Akkumulation als koloniale Unterwerfung within beschreibt, die im Kolonialismus zu sich käme, trat die Entgegensetzung aber wieder hervor. Sie lädt dazu ein, bei aller richtigen Kritik an falscher Universalisierung der Tauschsubjekte, die Charaktermasken zu rassifizieren, die so wieder »ehrliche« und »unehrliche« Arbeit verkörpern können. So traten in den Beiträgen motivisch etwa die weißen Programmierer des Silicon Valley den »postkolonialen Körpern« der Flüchtenden gegenüber, die in die Aufspaltung in unmenschlich-abstraktes Prinzip (böse, quasi artificial intelligence) und authentischen Menschen zu münden droht.

Erst gegen Ende wird noch einmal herausgestellt, dass Maschinen nicht lernen und denken können, sondern einfach mit immer unüberschaubareren Datenmengen gefüttert werden. Auf die veränderten, auch versteckten Arbeitsverhältnisse, denen diese Produktionsprozesse zugrunde liegen, sei in der Kritik zu achten. Die Omnipräsenz von kritischen Beiträgen bei vollständiger Abwesenheit von Streit und Kontroverse und die Koexistenz von bodenlosem Quatsch und wohlformulierter Kritik blieben das irritierende Moment der ganzen Veranstaltung. Ein Urteil darüber, was die Transmediale war, müsste den inneren Zusammenhang dieser Widersprüche darlegen.

Um etwas über die Sinnlichkeit des emanzipatorischen Spiels mit Maschinen zu erfahren, in dem sich utopischer Gehalt verbirgt, muss man den Ort wechseln, um der freien Improvisation von Roscoe Mitchell und George Lewis auf dem parallel veranstalteten Musikfestival CTM zuzuhören. Beide sind Mitglieder der Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM). Lewis begründet seinen Umgang mit Maschinen in einem hervorragenden Vortrag am darauffolgenden Tag aus der Erfahrung der amerikanischen Sklaven, die für ihre Besitzer auf unheimliche Weise artificial intelligence gewesen zu sein: Waren und Maschinen, doch zugleich auch denkende und fühlende Menschen. Bei Lewis, der seit 30 Jahren mit dem Programm Voyager ein Instrument entwickelt hat, das Improvi­sationen generiert und ausspielt (hier in Verknüpfung mit einem Flügel), gilt es, ihm genauso wie seinem Mitmusiker aufmerksam zuzuhören, um sich auf die Unergründlichkeit des Spiels einzulassen. Während eines Solos der Maschine verlässt er lächelnd die Bühne, um ihr vom Zuschauerraum aus zuzuhören.