Twitter hat Tausende Accounts mit Verbindung zur »russischen Trollfabrik« gelöscht

Imaginäre Freunde aus Russland

Networld Von Elke Wittich

Die Zahl der Twitter-Konten mit Verbindungen zur »russischen Trollfabrik«, von denen aus gezielt Tweets zur US-Präsidentschafts­wahl, Hassbotschaften und »fake news« verbreitet wurden, ist ­deutlich größer als zunächst angenommen. Mitte Februar löschte Twitter einige Tausend Troll-Accounts. Vielen Usern gefiel das gar nicht.

Die US-Wahl haben die Tweets der als »Trollfabrik« bekannt gewordenen russischen »Internet Research Ageny« (IRA) vermutlich nicht entschieden. Nach allem, was man heute weiß, haben sie jedoch dazu beigetragen, Hass zu verbreiten – nicht nur auf Hillary Clinton, die Demokraten und Minderheiten, sondern auch auf die US-amerikanische Polizei und Anhänger von Donald Trump.

Die zunächst von Twitter nach identifizierten Accounts mit Verbindungen zur IRA – eigenen Angaben 3 814 –waren entgegen der allgemeinen Lesart nämlich nicht nur damit beschäftigt, Propaganda für die Republikaner zu machen, sondern gaben sich auch erfolgreich als Aktivisten von Bürgerrechtsbewegungen wie etwa »Black Lives Matter« aus. Über Bot-Netze wurden ihre Tweets zigtausendfach verbreitet bevor Ende 2017 Twitter sie löschte.

Darüber waren nicht alle erleichtert. Die Tweets zu entfernen, sei »die Aus­löschung von Geschichte auf Orwell-Art«, twitterte etwa David Carroll, Professor für Mediendesign an der New Yorker New School University. Andere Experten bemängelten die Art und Weise, wie Twitter Anfang Januar mehr als 1,4 Millionen User benachrichtigte, die Troll-Botschaften unwissentlich verbreitet hatten. Diese bekamen eine unpersönliche E-Mail, in der, verbunden mit der Bitte, die jeweiligen Tweets zu löschen, nur kurz auf die dubiosen Hintergründe hingewiesen wurde. Eine genaue Auflistung der individuellen Interaktionen und eine detaillierte Erklärung wären viel wirkungsvoller ­gewesen, so die Kritik.

NBC News beauftragte daraufhin drei Insider, die sich mit der Twitter-Datenbank auskennen, anhand der vom Kongress veröffentlichten Account-Namen die gelöschten Tweets wiederherzustellen und zu dokumentieren. Die Identität der drei ist NBC zwar bekannt, sie bleiben aber anonym, weil sie mit ihren Aktivitäten unter anderem gegen die Richtlinien für Entwickler verstoßen haben dürften.

NBC News veröffentlichte am 14. Februar 200 000 Tweets. Diese stammen von Usern mit unverfänglichen Namen wie etwa @traceyhappymom und ­
@leroylovesusa. Sie posierten als Durchschnittsamerikaner, die auch harmlose Tweets über Alltagsereignisse veröffentlichten oder an beliebten Massenspielchen wie #ChristmasAHorror­Movie teilnahmen, bei denen es darum geht, Titel bekannter Filme möglichst lustig und treffend abzuändern. Nach Terroranschlägen oder in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten politischen Ereignissen, inklusive Präsidentschaftsdebatten, wurden aus den Darstellern von Durchschnittsbürgern dann plötzlich Hassschleudern.

 

Juden wurden »Skype«, Schwarze »Google« und Mexikaner »Yahoo« genannt. Und wenn es um Muslime oder Araber ging, wurde das Wort »Skittle« verwendet.

 

Hate speech zu identifizieren, ist für Betreiber von sozialen Medien ohnehin nicht immer einfach. Die Codes, mit denen Anhänger der Alt-Right die automatisierte Suche der Social-Media-Betreiber nach Hasspostings auszutricksen versuchen, ändern sich immer wieder. Waren es vor einigen Jahren noch zwei- oder dreifache Einklammerungen, mit denen sie zum Beispiel jüdische User kennzeichneten, benutzten sie vor rund anderthalb Jahren unverfängliche Bezeichnungen für ­Gewaltaufrufe, die nur Eingeweihten bekannt waren: Juden wurden beispielsweise »Skype«, Schwarze »Google« und Mexikaner »Yahoo« genannt. Und wenn es um Muslime oder Araber ging, wurde das Wort »Skittle« verwendet. Die Verwendung des Markennamens bunter Kau­dragees geht übrigens auf einen Tweet von Donald Trump Jr. vom September 2016 zurück. Der Sohn und politische Berater des damaligen Präsidentschaftskandidaten hatte ein Foto der bunten Süßigkeiten getwittert und darunter geschrieben: »Wenn ich eine Schüssel voll mit Skittles hätte und dir erklären würde, dass drei dieser Skittles dich umbringen – würdest du dir dann eine Handvoll nehmen? Das ist unser Problem mit den syrischen Flüchtlingen.« Bereits kurz nach seinem Tweet wurde »Skittles« dann auf Imageboards wie 4chan und 8chan als Tarnname für Muslime verwendet. Sowohl die rechten als auch die linken Twitter-Trolle arbeiteten mit eingängigen Memes, plakativen, hochaggressiven Sprüchen und eindeutig gefälschten Bildern. Noch etwas hatten sie gemeinsam: Sprachen andere User sie auf diese hetzerischen Fotos an und zeigten ihnen, woher sie in Wirklichkeit stammten, reagierten sie nicht.

Zusätzlich organisierte die IRA Demonstrationen in den USA. Gegen 13 Personen hat Sonderermittler Robert Mueller mittlerweile Anklage erhoben – sie hatten unter anderem mit Hilfe von Facebook-Gruppen und Anzeigen in sozialen Medien Ralleys mit Titeln wie »Support Hillary, save American muslims« und »Down with Hillary« veranstaltet und Leute vor Ort beispielsweise dann dafür bezahlt, mit einem Porträt von Clinton zu posieren, unter dem stand, die Sharia sei eine »neue Richtung der Freiheit«.

»Es ist verblüffend, wie systematisch sie vorgingen«, stellte Ahmer Arif fest, der eine im Januar 2018 vorgestellte Studie der Universität von Washington über die russischen Troll-Aktivitäten mitverfasst hat. Der Content, den die IRA-Leute verbreiteten, sei »maßgeschneidert für die Vorlieben des jeweiligen Publikums« gewesen. Professorin Kate Starbird, die Leiterin des Projekts, betonte im Gespräch mit dem Magazin Mother Jones, dass »es sehr wichtig ist, Online-Desinformation nicht nur als Problem des jeweiligen politischen Gegners zu sehen, sondern als etwas, das uns alle zum Ziel hat«.

 

Unauffällige Trolle

 

Die Trolle fielen nämlich nicht auf. Viele der gern verbreiteten Erkennungsmerkmale für solche Accounts – kein Profilbild, willkürliche Zeichen statt Usernamen, wenige Tweets, kaum Follower – trafen auf sie nicht zu, sie verhielten sich völlig unauffällig. Selbst Jack

Dorsey, der CEO von Twitter, hatte zwei Tweets eines Troll-Accounts weiterverbreitet. @Crystal1Johnson stellte eine schwarze Frau dar, die sehr engagierte Postings zu Hashtags wie #BlackLivesMatter verfasste. Die neuesten Erkenntnisse über die IRA und ihre Troll-Aktivitäten ändern jedoch nichts daran, dass die User der sozialen Netzwerke weiterhin voller Begeisterung alles retweeten, was ihnen politisch in den Kram passt.
Schon kurz nach dem Amoklauf an der Marjory Stoneman Douglas High School in Florida verbreiteten Twitter-Accounts gefälschte Fotos der Jugend­lichen, die sich vehement für eine Verschärfung der Waffengesetze einsetzen. US-Verschwörungstheoretiker verbreiteten, sie seien gar keine Schüler, sondern »bezahlte Staatsschauspieler«, die immer dann eingesetzt würden, wenn eine staatliche false-flag-Aktion der Öffentlichkeit einen Anschlag oder Amoklauf vortäusche, um »uns unsere Waffen wegzunehmen«.

 

Als Twitter am 14. Februar Zigtausende Bot-Accounts löschte, waren viele User ganz und gar nicht dankbar dafür, nicht länger auf Trolle hereinzufallen. Unter dem Hashtag #TwitterLockOut beschwerten sie sich vielmehr über den Verlust von Followern 

 

Unterstützung bekamen diese real existierenden Sympathisanten der Alt-Right dann von einem russischen Troll. Ein kurz zuvor angemeldeter, ­allerdings aus Versehen mit einem nach Russland weisenden Geotag versehener Account namens »Laguna ­Beach Antifa« schrieb, dass einer der von CNN interviewten Schüler in Wirklichkeit ein alter Klassenkamerad von ihm aus einer ganz anderen Highschool sei. »Er wollte damals schon Schauspieler werden«, betonte er. Als Beleg diente ein offenkundig gefälschtes Jahrbuchfoto.

CNN interviewte daraufhin einige derjenigen, die die eindeutige Fälschung weiterverbreitet hatten. Nein, sagten diejenigen übereinstimmend, die sich vor der Kamera befragen ließen, mit Russen hätten sie gar keinen Kontakt gehabt. Alle, mit denen sie ihre Beiträge teilten, seien »aufrechte Amerikaner«. Auf die vorgelegten ­Beweise reagierten sie so, wie es auch Trump getan hätte: »Das sind Fälschungen der Lügenpresse. Und jeder weiß das, uns legt sie nicht mehr herein.« Die Reaktionen von auf Trolle hereingefallenen Linken fallen übrigens ähnlich aus.

Als Twitter am 14. Februar Zigtausende Bot-Accounts löschte, waren viele User ganz und gar nicht dankbar dafür, nicht länger auf Trolle hereinzufallen. Unter dem Hashtag #TwitterLockOut beschwerten sie sich vielmehr über den Verlust von Followern – manche hatten bis zu 5 000 verloren – und ­darüber, dass das alles eine perfide Unterdrückung der Meinungsfreiheit und eine Attacke auf »Konservative« sei. Dem unweigerlich einsetzenden Hohn und Spott darüber, dass da in den meisten Fällen doch nur imaginäre Freunde abhanden gekommen seien, wurde wie bei Twitter üblich mit Hass begegnet – um einander zu trollen und zu bedrohen, werden Fake-Accounts im Grunde gar nicht benötigt.