Die deutsche Außenpolitik im Konflikt um das Atomabkommen mit dem Iran

In der Sackgasse

Im Konflikt um das Atomabkommen mit dem Iran hat sich die deutsche Außenpolitik in eine fatale Lage hineinmanövriert.

Sechs Tage ließ sich der israelische Ministerpräsident Zeit, um der deutschen Bundeskanzlerin zur Wiederwahl zu gratulieren. Als das Telefonat zustande kam, hielten sich Angela ­Merkel und Benjamin Netanyahu nicht mit Nebensächlichkeiten auf. Wenn Donald Trump das Atomabkommen mit dem Iran aufkündige, meinte die Kanzlerin israelischen Medien zufolge, werde sich eine verhängnisvolle Kon­stellation ergeben. Dann stünden die Europäer, also Deutschland, Groß­britannien und Frankreich, die das Abkommen vehement verteidigen, ­gemeinsam mit Russland und China gegen Israel und die USA.

Über Netanyahus Antwort ist nichts überliefert, doch lässt sie sich unschwer erahnen. Er gehörte von Anfang an zu den schärfsten Kritikern der Vereinbarung, die unter dem Titel Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) am 14. Juli 2015 in Wien unterzeichnet ­wurde. Da scheint es konsequent zu sein, dass der israelische Ministerpräsident den US-Präsidenten unterstützt, der das Abkommen als schlechtesten Deal aller Zeiten bezeichnet. Zuletzt hat Trump den Vertragspartnern ein Ultimatum gestellt. Bis zum 12. Mai müssten sie sich bereit erklären, den JCPOA nachzubessern, sonst würden die USA die ­Vereinbarung kündigen und ihre Sanktionen gegen den Iran wieder in Kraft setzen. Mit seinen jüngsten Personalentscheidungen – er ernannte Mike Pompeo zum Außenminister und John Bolton zum Sicherheitsberater – unterstreicht Trump, dass es ihm ernst damit ist. Da sich der Iran dagegen sträubt, auch nur ein Jota am JCPOA zu ändern, dürfte es bald zur Entscheidung kommen. Merkel scheint nicht glücklich darüber zu sein. Aber sie hat sich mit ­ihrer Außenpolitik wissentlich in diese Lage hineinmanövriert.

Ohne Widerspruch von der Kanzlerin hat ihr damalige Stellvertreter Sigmar Gabriel (SPD) in den vergangenen Jahren erst als Wirtschafts-, dann als Außenminister keine Gelegenheit ausgelassen, einerseits Widersprüche zur israelischen Regierungspolitik zu verschärfen und andererseits seine Übereinstimmung mit dem Iran zu demonstrieren – die Iran-Lobby konnte zufrieden sein.

Gabriels Nachfolger als Außenminister, Heiko Maas, hingegen ist erkennbar bemüht, das Verhältnis zu Israel zu entspannen. Seine Position zur Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran hat er aber bisher nicht verraten. Wahrscheinlich unterstützt er die Idee des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Verhandlungen über eine Eindämmung des iranischen Raketenprogramms zu initiieren mit dem Ziel, dieses Programm nach dem Vorbild des Atomabkommens unter internationale Aufsicht zu stellen. Ob der Iran darauf eingeht, ist ungewiss; ebenso, ob das Trump zufriedenstellen wird. Die Europäer wollen es jedem recht machen. Barack Obama hatte wenigstens eine Strategie.

Der JCPOA soll das iranische Atomprogramm für zehn Jahre einfrieren und insbesondere die Gewähr dafür bieten, dass eine sogenannte breakout time von zwölf Monaten nicht unterschritten wird. Das heißt, unter Aufsicht der ­Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) sollen die nuklearen Ressourcen des Iran so weit beschränkt werden, dass das Land mindestens ein Jahr benötigt, um die für eine Atomwaffe erforderliche Menge hochangereicherten Nuklearmaterials zu produzieren. Im Gegenzug wurden die westlichen Sanktionen gegen den Iran erheblich gelockert, das Handelsvolumen steigt, Investitionen sind wieder möglich. Auf ­diese Weise sollten die sogenannten Reformer um Präsident Hassan Rohani in die Lage versetzt werden, ihr Modernisierungsprogramm zu realisieren und die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung zu verbessern.

Dieses Konzept ist nicht die schlechteste Idee aller Zeiten. Allerdings stand es von Anfang an auf einem unsicheren Fundament. Waren die beteiligten Regierungen wirklich von diesem Plan überzeugt oder gaben sie ihre Einwilligung mit anderen Absichten? Um die Unsicherheiten zu reduzieren, entschieden sich die Verhandlungspartner ­dafür, eine Fülle von Detailvorschriften in das Papier aufzunehmen. Um jede Zentrifuge wurde gestritten, um jedes Kilogramm Uran gefeilscht, jede IAEA-Kontrolle erstmal in Frage gestellt. Die iranische Seite kämpfte um jeden einzelnen Tag der breakout time.

Am Ende verkündeten die Diplomaten, allen voran die damaligen Außenminister John Kerry (USA) und Frank-Walter Steinmeier (Deutschland) und die noch amtierende EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, sie hätten ein wasserdichtes Abkommen erreicht. Ihr Kollege Mohammed Jawad Sarif ließ sich in Teheran dafür feiern, dass er die arroganten Mächte in die Knie gezwungen habe, ohne am Atomprogramm wesentliche Abstriche gemacht zu haben. Im Januar 2016 trat die Vereinbarung in Kraft. Unmittelbar danach demonstrierte der Iran seine Entschlossenheit, die Schlupflöcher, die er gefunden hatte, konsequent zu nutzen. Er begann eine fortdauernde Testserie weitreichender ballistischer Raketen. Er präsentierte seine jüngsten Errungenschaften in der Anreicherungstech­nologie und ließ neu entwickelte Zentrifugen mit Urangas befüllen. Er intensivierte seine Intervention in Syrien ­sowie seine Waffenlieferungen an die libanesische Hiz­bollah und an die Houthi-Milizen im Jemen.
Noch bedeutender war die Entscheidung Russlands, am Syrien-Krieg ­teilzunehmen. Russland und der Iran nutzten die Befriedung des Atom­konflikts zu einer kriegerischen Offensive, deren Ergebnis eine erhebliche Ausweitung des iranischen Einflusses in der Region ist. Der JCPOA hat alle diese Fragen nahöstlicher Politik ausgeklammert, sonst wäre er nie zu­stande gekommen. Wer sich vom »Sieg der Diplomatie« allerdings eine positive Wirkung auf die Lage im Nahen Osten erhofft hat, muss mittlerweile zur Kenntnis nehmen, dass eher das Gegenteil eingetreten ist.

Doch der Iran geht nicht als Sieger auf der ganzen Linie aus dieser Auseinandersetzung hervor. Zum Jahreswechsel war das Regime mit einer kurzen, aber heftigen Protestwelle konfrontiert. Zwar mussten sich die Demonstrierenden der staatlichen ­Repressionsmaschine geschlagen geben, doch die Erschütterung des Systems hält an. Viele Menschen können und wollen nicht mehr verstehen, dass die Gewinne, die der Iran mit seinen Ölexporten nun wieder erzielt, dem Klerus und seinen Revolutionsgarden zufließen, während sie sich mit Hunger­löhnen durchschlagen müssen. Sie wollen die imperialen Ambitionen ihrer Regierung in Syrien, im Irak, Libanon und Jemen nicht mehr bezahlen.  

Trumps unverhohlene Feindschaft gegenüber dem JCPOA erleichtert es dem Regime, die Schuld für die schlechte wirtschaftliche Lage einmal mehr dem Ausland zuzuweisen. Besser wäre es, an den Ausgangspunkt der Atomverhandlungen zurückzukehren und die Einhaltung des damals erreichten Konsenses einzufordern: Für politisches Tauwetter gibt es wirtschaftliche Vergünstigungen, für Eiszeiten aber nicht. Das würde der iranischen Opposition helfen.

Hinzu kommt eine wenig diskutierte Verantwortung der deutschen Politik. Als bevorzugter Lieferant für Hightech-Importe leistet Deutschland, manchmal ungewollt, häufig skrupellos, einen wesentlichen Beitrag zum iranischen Atomprogramm. Ob es um hochwertige Werkstoffe, anspruchsvolle Spezial­ausrüstungen, computergesteuerte Maschinen oder automatisierte Abläufe geht, überall wünschen die Iraner Waren »Made in Germany« und bekommen sie auch. Diese Produkte müssen auch gewartet werden, sie sind auf den ­Service der Hersteller angewiesen. All dem könnte man, wenn man nur ­wollte, einen Riegel vorschieben. Es liegt in der Hand der deutschen Wirtschaft, das iranische Atomprogramm unabhängig vom JCPOA, von Nachverhandlungen oder neuen Verhandlungen um Jahre zurückzuwerfen. Ein vollständiger Boykott iranischer Nukleartechnik ist die einfache und kurzfristig machbare Maßnahme, die Deutschland zur Verhinderung einer iranischen Atomwaffe ergreifen kann, bisher aber nicht ergreifen will.