Homestory

Homestory #17

Die New Economy und der ganze digitale Schnickschnack mit Selbstausbeutung lassen es vielleicht manchmal so erscheinen, aber die klassenlose Gesellschaft ist ja doch noch nicht ganz erreicht, schaut man einmal kurz am Bildschirm links vorbei auf die Verhältnisse. Doch unser aller geliebter Karl Marx, der dieses Jahr am 5. Mai seinen 200. Geburtstag mit uns feiern würde – wären die medizinischen Produktivkräfte damals schon so weit gewesen, dass er 200 Jahre alt hätte werden können, und wären dann noch genug Ressourcen übrig, damit es uns danach auch noch geben würde... ­Jedenfalls würde er nun mit uns vor seiner glutenfreien veganen Tonkabohnentorte sitzen und wir könnten ihm nach einem Ständchen (»Wie schön, dass du geboren bist«, natürlich gefolgt von »Die Internationale«) freudestrahlend erzählen, dass seine Mühen nicht alle völlig umsonst gewesen seien, dass trotz allen kapitalistischen Übels in der Welt doch etwas ganz Wichtiges von seinen Ideen hängengeblieben sei, nämlich ein vorzügliches marxistisches Arbeitsethos.

Zumindest wird hier in der Redaktion der Jungle World seit Tagen, ach was, seit Anfang vergangener Woche, davon geschwärmt, wie früh die Artikel für den Marx-Schwerpunkt geschickt wurden, wie diszipliniert unsere marxistischen Autorinnen und Autoren doch sind. Allerdings war ja schon seit 200 Jahren klar, dass Karl Marx nächste Woche seinen 200. Geburtstag feiert, daher konnte man sich darauf auch mit einem Unter-fünf-Jahresplan noch sehr locker vorbereiten. Die Freude angesichts der tollen Marx-Geburtstagsartikel und der Pünktlichkeit soll durch diesen Einwand aber nicht geschmälert werden.

Marx dürfte die Artikel natürlich auch alle lesen und Lob und Kritik äußern. Aber zunächst müsste er die 200 Kerzen auf der Torte auspusten (mit unserer Hilfe, mit 200 muss man nicht mehr ­alles alleine machen), etwas Sahne würde an seinem Bart klebenbleiben, was wir dezent übersehen würden. Danach würde er sich seinen von den Genossinnen und Genossen der Jungle World liebevoll in alten Ausgaben verpackten Geschenken widmen, als da ­wären: ein iPhone X und ein Facebook-Konto, ein ergonomischer Schreibtischstuhl, ein elektrischer Rasierapparat, die Adorno-Gesamtausgabe, ein Gutschein für einen Barbershop in Berlin (»nur pflegen, nicht abrasieren«), eine Flasche Wein, ein Amazon-Gutschein, noch ein Rasierapparat (Kassenbon aufheben!), ein Fahrradhelm, ein Flyer vom Jugendwiderstand zur Demonstration am 1. Mai, alle bisher erschienen Bände der Fantasyromanreihe »A Song of Ice and Fire« (im englischen Original), 200 Gramm MDMA, ein Fidget Spinner, der im Dunklen leuchtet, ein roter Tesla (da will aber jemand beeindrucken) und ein Jungle World-Abonnement. Danach könnten wir ihn endlich fragen, was er von der aktuellen Ausgabe hält und wie das gemeint war mit dem tendenziellen Fall der Profitrate und … Doch da wäre er schon eingenickt.

Wir danken der Illustratiorin Eva Müller, die für diese Ausgabe das Titelbild und die Bilder für die Thema-Seiten gezeichnet hat.