Die Opposition in Ungarn ist schwach

Vorwärts in die illiberale Demokratie

Nach den Wahlen in Ungarn wird die Regierung ihre autoritäre Politik vermutlich weiterführen. Bei einer Tagung in Budapest diskutierten Politologen und NGOs über die Schwäche der Opposition und die Strategien der Regierungsparteien zur Wahlmanipulation.

Das Sprichwort »Im Haus des Henkers spricht man nicht über den Strick« hat nach den ungarischen Parlamentswahlen am 8. April, die mit katastrophalen Ergebnissen für die linken Parteien endeten, seine Gültigkeit verloren. In Budapest diskutierten vom 24. bis 27. April Politologen und Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bei einer Tagung, wie es weitergehen wird mit der »illiberalen Demokratie«. Intensiv wurde debattiert, wie es möglich war, dass entgegen der Wahlprognosen das Parteienbündnis Fidesz-KDNP erneut eine Zweidrittelmehrheit erhielt.

Die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán hat mit dem 2011 beschlossenen Wahlgesetz dafür gesorgt, dass die Opposition keine Chance ­bekommt und dem Wahlbetrug Tür und Tor geöffnet werden. Erstaunliches ist in der Nähe der ukrainischen Grenze geschehen: Die Bevölkerungszahl einiger kleiner, fast unbewohnter Ortschaften ist binnen weniger Jahre um das Zwei- bis Dreifache gestiegen. Viele nicht Ungarisch sprechende ­Ukrainer erhielten nicht nur die ungarische Staatsbürgerschaft, sondern auch eine Adresse, denn nur so können sie in Direktwahl für einen Kandidaten stimmen. Diese »Ansiedelung« wurde zu einem lohnenden Geschäftszweig in den unterentwickelten nordöstlichen Gebieten Ungarns. Es gibt Einfamilienhäuser, in denen 200 Personen gemeldet sind, und Dutzende leben vorgeblich auf leeren Grundstücken. Am Tag der Wahlen rollten lange Autokarawanen an mit Wahlberechtigten, die für ihre Stimmabgabe 3 000 bis 5 000 Forint (etwa 9,50 bis 16 Euro) erhielten. In zahlreichen kleinen Dörfern gaben die aus der Ukraine kommenden »Staatsbürger« mehr Stimmen ab als die Dorfbewohner. Das hätte ohne die Zustimmung und Mitarbeit der lokalen Behörden nicht geschehen können.

In einigen Orten begleiteten Fidesz-Unterstützer Hunderte Roma-Wähler in die Wahlkabinen, mit dem Argument, dass diese Menschen Analphabeten seien und ihnen bei der Abgabe ihrer Stimme geholfen werden müsse. In vielen kleinen Ortschaften besuchten die Bürgermeister die Häuser und drohten den Armen, die von Sozialleistungen leben, dass sie jede Unter­stützung verlieren würden, sollten sie nicht die Regierungspartei wählen. Das mag der Grund sein, dass in den am wenigsten entwickelten Gebieten 85 bis 90 Prozent der Einwohner für Fidesz-KDNP stimmten, in einigen gar 100 Prozent.

Zahlreiche Politiker von Oppositionsparteien kündigten nach deren schlechtem Abschneiden ihren Rücktritt an. Gábor Vona, der bisherige Vorsitzende der rechtsextremen Partei Jobbik, trat noch in der Wahlnacht zurück. Sein Mandat gab er an einen Parteikollegen ab, einen ehemaligen Neonazi, der noch vor wenigen Jahren gefordert hatte, bekanntzugeben, wie viele Juden ins Parlament gewählt worden seien.

Die Oppositionsparteien hätten die Wahlen boykottieren können, doch für manchen Politiker war es wichtiger, ein verhältnismäßig hohes Einkommen als Abgeordneter zu beziehen – so legitimieren viele eine autokratische Regierung. Nach den Wahlen demonstrierten an mehreren Samstagen Zehntausende Menschen in Budapest gegen Orbán, darunter Mitglieder und Sympathisanten aller Oppositionsparteien. Vor den Wahlen hatten es allerdings nicht einmal die linken Oppositionsparteien geschafft, sich auf eine ­gemeinsame Wahlliste zu einigen.

Die bekannte Philosophin Ágnes Heller schrieb in der Wochenzeitung Élet és Irodalom: Um den demokratischen Rechtsstaat wiederherzustellen, brauche es eine »Vereinigte ungarische Oppositionspartei«. Doch Heller zufolge werde »die Donau rückwärts fließen«, bevor die existierenden Parteien sich einigen könnten, eine solche Partei zu bilden. Die Organisatoren und Funktionäre dieser neuen Partei sollten keine verbrauchten Partei­politiker sein und doch politische Erfahrung haben, es solle zu einem Bündnis von unabhängigen Bürgermeistern und Fachleuten kommen.

Solange die Oppositionsparteien nicht fähig sind, der rassistischen und antisemitischen Hetze der Regierungsparteien etwas entgegenzusetzen, wird sich in Ungarn nichts ändern. Das ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein moralisches Fiasko.