https://jungle.world/artikel/2018/18/windige-ueberbleibsel
Fast 29 000 Windräder drehen sich in Deutschland. 2020 läuft für viele der Anlagen nach 20 Jahren die Förderung aus. Mit dem Ende der Subventionen dürften viele von ihnen stillgelegt werden.
In den letzten Jahren ging bei weit über 300 000 Haushalten jährlich das Licht aus, in dem einen Jahr waren es ein paar mehr, im anderen ein paar weniger. Es kann mehrere Wochen oder Monate dauern, bis der Stromversorger die Leitung kappt, nachdem die Rechnung nicht bezahlt worden ist, doch irgendwann kommt der Tag.
Strom ist teuer in Deutschland: Mit durchschnittlich 30,5 Cent pro Kilowattstunde (kWh) teilen sich Deutschland und Dänemark den Spitzenplatz in Europa. Zum Vergleich: In Frankreich kostet die Kilowattstunde nur 16,9 Cent. Wer auf Unterstützungsleistungen des Staates wie Hartz IV angewiesen ist, hat kaum eine Chance, durch Einsparungen an anderer Stelle die steigenden Energiepreise aufzufangen; vom zur Verfügung stehenden Budget werden sie in der tatsächlichen Höhe ohnehin nicht abgedeckt. Deswegen fordern Sozialverbände wie die Caritas die Erhöhung der Regelsätze. Aber auch, wer einer Lohnarbeit nachgeht, tut sich immer schwerer, die Stromrechnung zu bezahlen: Während das Reallohnwachstum in den vergangenen 20 Jahren im einstelligen Bereich lag, hat sich der Strompreis in diesem Zeitraum verdoppelt.
Was für die einen Dunkelheit und Kälte bedeutet, ist für andere eine Erfolgsgeschichte: Das von der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschlossene und im Jahr 2000 in Kraft getretene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sicherte die Förderung von Wind-, Wasser- und Solaranlagen in einer neuen Größenordnung. Eine Umlage, die von den Stromkunden – mit Ausnahme von energieintensiven Betrieben –, bezahlt werden muss und neben den hohen Steuern der wichtigste Preistreiber im Energiebereich ist.
Das EEG bedeutete allerdings viel Geld auf der Einnahmenseite: Zwischen 6,19 und 9,10 Cent/kWh erhielten die Betreiber von Windenergieanlagen bisher. Oft waren es Fonds, die eine hohe Rendite mit einem guten Gewissen verbanden und für Vermögende eine lukrative Geldanlage darstellten. Der Zuschuss, der über 20 Jahre vom Staat garantiert wurde, sorgte für die gute Rendite. Das Gesetz löste einen Boom aus, der bis heute anhält: Drehten sich im Jahr 2000 gerade einmal gut 6 000 Windräder, sind es heutzutage an die 30 000.
Ob sich diese Zahl wird halten können, ist indes unsicher, denn ab 2020 läuft Jahr um Jahr für Tausende Anlagen die Förderung aus. Für die meisten Windräder dürfte dies das Aus bedeuten. »Die Anlagen werden bei einem Strompreis von drei Cent an der Börse nicht zu betreiben sein. Schon die Kosten für Wartung und Instandsetzung werden sich darüber kaum finanzieren lassen«, sagte Fritz Vahrenholt der Jungle World. Der Sozialdemokrat war früher Umweltsenator in Hamburg, später Vorstandsvorsitzender von Repower-Systems (später umbenannt in Senvion), einem der ersten Unternehmen der Windenergiebranche. Aber auch für die Shell AG und den Energiekonzern RWE war er tätig.
Für Vahrenholt war das EEG in erster Linie eine große Umverteilung von unten nach oben: »Das Geld floss nur in die Taschen der Vermögenden, die in die Windanlagen investiert haben; Arbeiter, kleine Angestellte, Rentner und Hartz-IV-Empfänger zahlten, ohne vom Boom etwas zu haben.« Die versprochenen Jobs im Bereich der erneuerbaren Energien seien, so sie denn überhaupt je entstanden waren, nach der Insolvenz von Unternehmen wie Solarworld und Fuhrländer oft schon wieder verschwunden. Auf die Betreiber der Altanlagen sieht er große Probleme zukommen: »Es wird ein Entsorgungsproblem geben. Viele Jahre konnte der Abbau der Anlagen gut finanziert werden. Es gab, zum Beispiel in Afrika, einen Markt für gebrauchte Anlagen, und wenn sie sich nicht mehr verkaufen ließen, war der verbaute Stahl so viel wert, dass man mit dem Schrott noch genug verdiente, um den Rückbau zu finanzieren.« Doch wenn ab 2020 jedes Jahr Tausende Anlagen auf diesen Markt kämen, würden die Einnahmen zur Finanzierung des Rückbaus nicht mehr ausreichen.
Was die Entsorgung der alten Windräder so teuer macht, sind die Rotoren. Sie bestehen aus einem Mix von Kunststoffen und ihre dauerhafte Lagerung auf Deponien ist kostspielig. »Besondere Herausforderungen in der Demontage und dem Recycling von Rotorblättern bestehen zum einen in der großvolumigen Bauweise, dem Materialmix, der dem Recycler nicht bekannt ist, der geringen Werthaltigkeit des Glasfasermaterials gegenüber Primärmaterial sowie fehlender kontinuierlicher Rücklaufmengen«, sagte Elisa Seiler vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT der Jungle World. Die Forschungseinrichtung im baden-württembergischen Pfinztal arbeitet an einem Verfahren, mit dem die Kunststoffe der Rotoren getrennt und dann recycelt werden können: der energetischen Demontage, bei der die verschiedenen Stoffe zum Teil voneinander abgesprengt werden. Bis es tatsächlich eingesetzt werden kann, wird es allerdings noch dauern, so Seiler: »Das Verfahren funktioniert im Labor, bedarf aber noch weiterer Optimierung für einen industriellen Einsatz.« Da in Deutschland jährlich etwa 200 000 Tonnen glasfaserverstärkte Bauteile produziert werden und man beim Frauenhofer-Institut in Pfinztal davon ausgeht, dass diese Menge in Zukunft deutlich ansteigen wird, sei eine nachhaltige Methode zum Recycling der Verbundstoffe dringend erforderlich.
Wenn die Betreiber von Windanlagen über mehrere Jahrzehnte Rücklagen gebildet hätten, seien die hohen Kosten, die auf sie zukämen, gedeckt, sagte Mario Burda vom Landesverband Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen der Jungle World: »Die Kosten für den Rückbau und die entsprechenden Rücklagen einer Windenergieanlage und für die Entsiegelung lassen sich nicht pauschal beziffern, lagen jedoch laut einer Datenerhebung von 2012 bereits auf einem durchschnittlich niedrigen Niveau von vier bis fünf Prozent der Betriebskosten.« Doch wenn die Rücklagen nicht ausreichten, würden sich die Behörden an die Betreiber der Anlagen wenden, sagt Burda: »Sofern der Betreiber nach Nutzungsaufgabe der Anlage nicht über ausreichende Mittel für den Rückbau verfügt, wird die Bauaufsichtsbehörde im Falle der Ersatzvornahme auf die Sicherheitsleistung, die im Regelfall aus der selbstschuldnerischen Bürgschaft des Betreibers bei einer Bank besteht, zurückgreifen.« Und da der Betreiber in den meisten Fällen eine Kommanditgesellschaft ist, haften die Gesellschafter mit ihrem Privatvermögen. »Viele Investoren haben keine Rückstellungen gebildet«, berichtet Vahrenholt. Er ist sich sicher, dass in Berlin die Lobbyisten bereits daran arbeiten, dass sich auch bei der Entsorgung der Windräder am Ende die Allgemeinheit an den Kosten beteiligt wird. Kein unwahrscheinliches Szenario, denn bei der Atomenergie ist es genau so gelaufen und für den Fall, dass die sogenannten Ewigkeitskosten des Bergbaus, also Folgekosten, die nach Beendigung des Bergbaus an bestimmten Orten entstehen, nicht von der zu diesem Zweck gegründeten Stiftung gedeckt werden, wird ebenfalls die Allgemeinheit einspringen müssen.
Allerdings kann der Staat auch heute schon dafür sorgen, dass der Abriss eines Windrades nicht ganz so teuer wird: Die Region Dithmarschen in Schleswig-Holstein verzichtet nach einem Bericht des NDR darauf, dass die Windradbetreiber die viele Meter tiefen Betonsockel ganz entfernen. Es reicht, wenn man sie nicht mehr sieht.