DJ Koze im Gespräch über das Leben als Musiker

»Ich will mir meine Unberechenbarkeit bewahren«

Interview Von Julian Brimmers

Stefan Kozalla alias DJ Koze über deutschen HipHop, seine neue Platte »Knock Knock« und das stressige Leben von DJs.

Um das für alle Zeiten mal festzuhalten – kannst du bestätigen, dass die deutsche Rapperin Cora E. für deinen Spitznamen Kosi verantwortlich ist?
Ja, genau, das ist sie. Sie war damals zu Gast im legendären Container-Studio in Bahrenfeld, dort, wo der Hamburger HipHop seine Geburtsstunde hatte. Mario von Hacht war damals der hochtalentierte Engineer und Producer. Cora E. hat Tracks für ihr Album aufgenommen und fragte nach einem DJ, der ihr was einscratcht. Mario meinte dann, der Koze könnte das machen. Cora sagte: »Was, wie heißt der denn?« Sie wollte so einen Namen nicht auf ihrer Platte haben, also hat sie mich Kosi oder Kose genannt. Ihre Socken hatte sie bei der Session vergessen, die ­wurden dann wie eine goldene Schallplatte im Container-Studio eingerahmt, mit dem Vermerk: »Für Kosi«. Ihr war der Name irgendwie zu ­primitiv. Seither war ich bei den Hip­Hoppern Kosi oder Kose.

Hast du noch Kontakt zu den Leuten von damals?
Lustig, dass du mich danach fragst. Ich habe zuletzt einen Themenabend zu Cora E. gemacht. Ich hatte einen Nostalgietrip, mich interessiert ja, was die alle noch machen … auch 3P, die Stieber Twins, Blumentopf, manchmal spielen die ja auch alle noch. ­Irgendwie kann man nicht gut alt werden mit deutschem HipHop. Ent­weder rettet man sich in so hybriden Elektro mit deutschen Texten und Abgehmusik, oder man verwaltet sein Erbe und macht dann ein »Best of« von früher, um die Gleichaltrigen mit Nostalgie zu versorgen.Ist halt auch schwierig: Ich finde, man braucht mit 45 den Leuten nicht mehr die Welt in gereimter Form ­erklären. Ist doch irgendwie albern. Warum soll ich mit 45 noch rum­reimen …

Curse ist ja jetzt Life-Coach und rappt darüber.
Das habe ich nicht mitgekriegt, aber ich hatte das irrste Erlebnis mit ­Curse. Ich war vor etlichen Jahren auf den Seychellen mit meiner Freundin. Jan Delay, mit dem ich befreundet bin, hatte gesagt: »Fahr mal dahin, das ist der Flash.« Da waren wir auf einer Insel, die man nur mit dem Flugzeug erreicht, wo es auch keine Autos, sondern nur Esel gibt, in so ­einem kleinen Kabuff. Und wer sitzt am Frühstückstisch mit mir? Curse. Das gibt’s doch einfach nicht. Wir ­haben auch kurz geschnackt und der war total cool und nett, aber ich dachte, das kann doch echt nicht sein.

Viele von denen sind auch Songschreiber für Popkünstler geworden.
Da war ich überrascht, dass die Fanta 4 so offen darüber reden, wer für sie schreibt. Positiv formuliert zeigt das nur, dass es immer weitergehen kann. Die Fantas sind ja auch immer noch sehr aktiv in Sachen Legendenverwaltung.

»Das Musikmachen ist immer eine Mischung aus ›Was höre ich gerne‹ und ›Was kann ich‹.«

Glaubst Du, ab einem bestimmten Alter macht man Platten vor ­allem wegen der Live-Auftritte?
Ich habe mich das oft gefragt. Ich bin mir persönlich sicher, dass ich nicht 30- bis 40-mal im Jahr auflegen würde – was ja schon super wenig ist –, wenn ich es gar nicht mehr nötig hätte. Ich verstehe die Motivation nicht. Aber viele sagen, es sei einfach langweilig ohne Auftritte. Man hat ja Bock auf Feedback und Liebe und Bewunderung, und diesen Rush kriegst du sonst nicht. Man ist ja eh schon so isoliert, dass man sich kaum noch Leuten gegenüber öffnet, kaum noch Freunde findet, weil man misstrauisch wird. Irgendwann ist man gelangweilt von dem Biotop, in dem man sich festgesetzt hat. Auftreten gibt dann Love, Bestätigung und Relevanz – das ist wahrscheinlich wohltuend, wenn man irgendwann mal eine Midlife-Crisis hat.

Das ist genau, worüber ich mit dir reden wollte …
Meine Krise, ja … (lacht)

Um Himmels willen, nein. Aber an dieser Bestätigung hat es dir zeit deines Erwachsenenlebens doch nie gemangelt. Du warst in verschiedenen Szenen erfolgreich und akzeptiert – und mir scheint, das ist immer zu deinen eigenen Konditionen passiert.
Das hört sich richtig an. Von Genres und Competition habe ich mich ­immer ferngehalten. Ich muss jetzt nicht die 18jährigen abholen, mit ­Autotune und freshen Tropical-House-Tunes. Ganz viele Aspekte des Jobs machen mir sowieso nicht so viel Spaß, und dann versuche ich natürlich, mir alles so hinzubauen, dass es sich richtig anfühlt und ich in keine Rolle verfalle. Außer, ich stricke mir diese Rolle selber. Es ist für mich ein Wunder, dass ich das alles trotzdem noch machen darf. Nächste Woche spiele ich mit Loco Dice in Rimini, da kommen vielleicht sieben bis neun Fans wegen mir hin. Ich tauche in andere Milieus ein, ohne deren Musik machen zu müssen. Das Musikmachen ist immer eine Mischung aus »Was höre ich gerne« und »Was kann ich«. Ich würde gerne noch ganz andere Musik ­machen, kann ich aber (noch) nicht.

 

Helfen solche Limitierungen nicht auch? Wenn man alles beherrscht und einem alle Türen offen ­stehen, kann das ja seine eigene Schwierigkeit hervorrufen …
Ich weiß genau, was du meinst. Außerdem nerven Alleskönner: Musik-Weltmeister, die dann auch noch gute Maler sind. Ätzend. Ich limitiere mich ja schon. Es gibt eine Grundfarbe. Auf der neuen Platte kom­biniere ich Sachen, die für mich total nahe beieinander liegen. Die Ästhetik von HipHop-Instrumentals und Róisín Murphy, ausgebreitet auf einer Picknickdecke. Bei vielen Gleich­gesinnten würden diese Stücke organisch in einer Playlist laufen. Für mich ist das völlig unverständlich, dass das nicht öfter passiert, aber da draußen ist immer noch alles sehr in Genres separiert.

»Knock Knock« ist eine Anti-Genre-Platte?
Genau, ich will überraschen und mir meine Unberechenbarkeit bewahren. Das ist meinem Wesen immanent und ich finde das auch modern. Für mich ist das stilprägender, als wenn ich jetzt den nächsten großen Pop­entwurf aus der Hollywood-Fabrik mit den fettesten Producern kriege und die gleichen Zutaten, die man überall gerade bekommt, reinmische. Ich mag es, wenn Leute ihre eigene Welt ausformulieren, erst recht, wenn die ein bisschen spinnert ist. So rede ich mir das schön, was ich da mache. (lacht)

Die Platte lässt sich schwer zeitlich verorten. Dass sie aus diesem Jahr ist, hört man ihr gar nicht so sehr an.
Ich finde das schmeichelhaft. Elektronische Musik ist ja nichts außer ­Entscheidungen – ich könnte 1 000 Entscheidungen für diesen Song treffen, oder aber, ich treffe nur sieben. Was will ich mit diesen Entscheidungen erreichen? Möchte ich, dass es nach 2018 klingt, oder möchte ich ein Gefühl aus einer anderen Zeit entstehen lassen? Ich suche in jeglicher Musik nach einem Schmerz und einer Seele und einem Myste­rium. Zu 80 Prozent bin ich gelangweilt von dem, was ich mache. Es ist oft nicht besonders gut oder unerklärlich. Das, was es dann am Ende auf das Album schafft, ist für mich selbst dann mysteriös. In einer Band können sich drei, vier Talente gegenseitig befeuern und dann entsteht ein lustiger, spontaner Ideenpool. Aber alleine ist das total schwer.

Sind deswegen so viele Features auf den letzten zwei Alben?
Es bringt einfach mehr Spaß. Ich habe bei keinem Gesang erwartet, dass er so klingen würde, wie er nun auf der Platte ist. Das ist ja schon mal toll. Ich finde das faszinierend, grade bei Róisín. Wie sehr die von einem anderen Planeten kommt, mit ihrem Grace-­Jones-Wahnsinn. Ich bin viel besser im Verwalten als im Generieren von Material. Auch bei Remixen, da sehe ich die Essenz und lasse dieses weg und kondensiere jenes, und dann transponiert man die ganze Scheiße. Da habe ich meist rasch eine Vision.

Dazu müsst ihr, die anderen Musiker und du, dann auch gar nicht gemeinsam in einem Raum sein?
Ich finde, Anwesenheit im Studio ist überbewertet. Ich mag es, wenn ­jeder für sich mit einer Idee schwanger geht. Dann gehe ich in Klausur und konzentriere mich auf das, was mir gegeben wurde. Die Musik, die man am Anfang gar nicht schnallt, ist doch eigentlich die Tollste.

Die Idee von Growern, also Liedern, die den Hörern erst nicht gefallen und mit der Zeit ihr Potential entfalten, ist eigentlich unzeitgemäß.
Eben, das kannst du dir gar nicht mehr leisten heute! Mittlerweile gibt es ­Algorithmen, die checken, wie schnell und warum Leute wegskippen. Ein Hauptindikator ist, dass die Stimme zu spät einsetzt. Die ADHS-Menschen halten das nicht aus: »Was soll das, warum kommt die Stimme nicht, mach mal das nächste, ahh, da kommt ja der fette Vocal.« Das ist total verrückt, eine völlig falsche Tendenz der Industrie, diese Zivilisationskrankheit zu analysieren und sie zu bedienen, anstatt ein Gegengift in Form originärer Musik zu erarbeiten.

Wie ist denn das Verhältnis zwischen den Platten, die du zu ­Hause aufnimmst, und deiner Arbeit als DJ?
Das sind komplett andere Berufe. Außer, dass ich mit Timing, Stimmung, Temperaturen arbeite, ist alles komplett anders. Ich könnte auch, sagen wir, im Nebenerwerb Schauspieler sein. Vielleicht kommt das mal wieder zusammen, wenn ich eine Berghain-Platte mache oder so. Es ist ein bisschen anstrengend, ehrlich gesagt, so oft wechseln zu müssen.

Um das nochmal aufzugreifen: In der Nische, die du für dich geschaffen hast, kannst du aber gut älter werden?
Als Musiker generell kann man schon gut altern, denke ich. In manchen Genres eben nicht. Aber ein Jazzmusiker wird ja vielleicht immer feiner und besser. Als DJ ist das schon etwas anderes!

Darauf wollte ich hinaus. In deiner Generation von DJs scheinen sich viele Kollegen bestimmte Strategien zurechtzulegen, um mit dem Lifestyle klarzukommen. Manche verzichten komplett auf Alkohol und Substanzen, um öfter spielen zu können.
Ich finde es schöner, selten zu spielen, aber dann während des Auftritts trinken zu können, wenn ich Lust dazu habe. Man hört dieser Idee doch schon an, dass sie überlegenes Gedankengut ist. (lacht) Wenn ich 130 Gigs spielen würde, ginge das auch wirklich nicht. Ich finde es wichtig, mich nicht nur über das Künstlersein zu identifizieren. Ich will mein Glück und meine Zufriedenheit nicht zu sehr von außen abhängig machen. Ob ich akzeptiert werde, Feedback kriege, diese komische anonyme Liebe von draußen bekomme. Je mehr man sich davon löst, desto besser geht es einem. Erst mal muss man die Konditionen dafür schaffen, glücklich zu sein – on top kann man dann versuchen, mit seiner Kunst erfolgreich zu sein. Das ist übrigens Teil der Maslow’schen Bedürfnispyramide, die jeder von uns unbewusst hochklettert. Die letzte Stufe ist übrigens die Transzendenz!

Das hieße, du hast zwei verschiedene Jobs und ein davon gesondertes Privatleben.
Das Selbstwertgefühl darf zumindest nicht abhängig vom beruflichen Erfolg sein. Das ist leicht gesagt – wenn alle das total langweilig fänden, was ich da abliefere, dann wäre das für mich auch ungeil. Als Künstler möchte man ja nicht in ein schwarzes Loch produzieren. Wenn die Leute dich mit Zuneigung überschütten, dann kannst du das wertschätzen und dankbar sein, aber du darfst dich nicht darüber definieren. Genauso wichtig ist es, zu akzeptieren, dass ich vieles nicht schaffe und dass das auch okay ist.

Hat sich diese Erkenntnis bei dir in der letzten Zeit entwickelt?
In den letzten fünf Jahren vielleicht, aber es ist ein Prozess und schwer zu verinnerlichen. Ich habe diese Doku über den DJ und Musikproduzenten Avicii gesehen, der kürzlich Selbstmord beging. Der tut mir richtig leid, der Arme. Er sagt da einen Satz: »Ich verstehe das nicht – die anderen sind genauso alt und die können das.« Und dann humpelt der mit Magenschmerzen durch eine Großraumhalle und weiß nicht, was falsch mit ihm läuft. Man darf sich einfach nicht vergleichen.

Wo liegt denn da das Grundproblem?
Wenn es jetzt normal wäre, dass DJs 30- oder 40-mal pro Jahr spielen, gäbe es dieses Problem vielleicht nicht. Aber wenn ich jetzt sehe, dass DJs 180-mal spielen und mir selber denke, das müsste ich eigentlich auch können … Hast du den Black-Coffee-Tourplan gesehen? Meine DJ-Kollegen und ich waren fassungslos. Im April und Mai spielt der 57 Gigs, oder so, in der ganzen Welt. Das ist eine neue ­Dimension von »Wie viel Gas kann ich geben«. Das hat doch mit Lebensqualität nichts zu tun. Da kann mir kein Mensch erzählen, dass das glücklich macht. Und jetzt ist das der neue Standard und ein Impulsgeber für andere. Das ist einfach crazy.

Ob man dafür geschaffen ist, lernt man schließlich auch erst, wenn man ­einmal in diesen ­Strudel gerät.
Das ist ja auch so. Es wird aber auch etwas geben, das einem selbst besser liegt. Avicii zum Beispiel. Ich habe die alle schwer auseinanderhalten können, Steve Aoki, David Guetta und so. Aber als ich diese Doku über Avicii gesehen habe, habe ich erst mal geschnallt, was der da macht! Der setzt die Noten ohne Keyboard direkt in die Software Ableton, und macht das alles ohne Schlaf und dirigiert dann auch noch Aloe Blacc. Das ist schon ein großes Talent gewesen. Nicht, dass das meine Musik ist, aber der hat eine Inselbegabung gehabt, im Halbschlaf Musik zu produzieren. Es wäre anmaßend, wenn ich sage, dass das keine gute Qualität ist. Der hatte ja einfach 300 Mil­liarden Clicks und ich vielleicht 30 000. Seine Musik trifft auf offene Herzen.

Avicii ist auch kein Einzelfall, es sind zuletzt einige junge Leute genreübergreifend daran kaputtgegangen, dass es so rasend schnell ging bei ihnen.
Das Erste, was passiert, ist, dass sich Blutegel postieren. Es hat ihm ja ­keiner gesagt – »Super, du hast jetzt 200 000 Euro bekommen für den Auftritt, die nächsten zehn Shows machst du dann zwei Millionen. Mach doch jetzt mal drei Jahre ruhig, gönn dir das doch.« Das Gegenteil ist der Fall! Und der Typ selbst ist vielleicht ein bisschen nerdy und hört darauf, wenn ihm jemand sagt, du wirst der nächste Michael Jackson. Ich glaube, der war ein lieber Kerl und wollte einfach nur Musik machen und wurde von außen in diese Scheiße gedrückt. Das ist doch, was die Gesellschaft dir vorschreibt – du bist erfolgreich, warum solltest du damit aufhören?

Macht dir dein eigenes Pensum noch Spaß?
Jetzt gerade bin ich ein bisschen am Limit, muss ich sagen. Ich muss viel Sport treiben und auf mich aufpassen. Generell macht es mir Spaß, weil ich versuche, alles nach meinem eigenen Tempo zu gestalten. Musik ist es wert.
Interview: Julian Brimmers

 

DJ Koze: Knock Knock (Pampa Records)