Kritische Astrologie - Der Nobelpreis und seine Macht über unser Leben

Literarisch geht die Welt zugrunde

Kolumne Von Leo Fischer

<p>Drei Dinge lernt man im Journalismusstudium schon in der ersten Woche: die politischen Einstellungen der Dozenten, die Gehaltsstufen bei Springer und das Datum der Nobelpreisverleihung.</p>

Drei Dinge lernt man im Journalismusstudium schon in der ersten Woche: die politischen Einstellungen der Dozenten, die Gehaltsstufen bei Springer und das Datum der Nobelpreisverleihung. Er ist ein derartiger Fixtermin im immergleichen Kanon der journalistisch abzuhandelnden Jahres- und Festtage, dass der Ausfall des Literaturnobelpreises in diesem Jahr bei den Zuständigen Gefühle auslöst wie eine Sonnenfinsternis im Mittelalter: Es ist der Weltuntergang, nicht weniger.

Von »Selbstvernichtung« schreibt deswegen auch angenehm apokalyptisch Thomas Steinfeld im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. So begeistert über dieses Wort ist er, dass er es gleich noch mal hinschreiben muss: »Selbstvernichtung«. Für Selbstvernichtung, das wird klar, ist er, Steinfeld, nicht zu haben. Alles, was lebt und strebt, will schließlich weiterexistieren – nur das kranke Tier trennt sich von der Herde, nur der sterbende Hund verweigert die Nahrung, und nur ein auf Selbsttötung programmierter Literaturpreis kann es überhaupt erwägen, die Bedingungen seiner Verleihung neu zu durchdenken. Sturheil weitermachen, ohne Rücksicht auf sich selbst und andere, noch der totalen Vernichtung lachend ins Gesicht blicken – damit kann sich der wackere SZ-Kulturseitenbeauftragte eher ­anfreunden. Selbstvernichtung, da steckt schon alles drin. Nicht in der Korruption, nicht im sexuellen Missbrauch liegt der Skandal, sondern dass man ihretwegen irgendwas anders macht, das man mal innehält und sich fragt: Ist das eigentlich so gut, was wir hier treiben? Für Steinfeld wird der Preis dadurch lächerlich: Wäre ja noch schöner, wenn es in Kultur und Literatur irgendwie um Selbstreflexion ginge! Im Gegenteil: Wieder haben die fiesen Feministinnen eine Bastion erobert, haben eine Säule der westlichen Wertegemeinschaft torpediert. Dieses Versprechen gibt er uns in die Hand: Wenn es morgen einen Missbrauchsskandal bei der Süddeutschen gibt, dann wird Thomas Steinfeld noch heute ein Apfelbäumchen pflanzen.