Offizielle Besuche der AfD stellen KZ-Gedenkstätten vor Probleme

Besuch von rechts

Eine Gruppe von AfD-Mitgliedern und -Sympathisanten aus Baden-Württemberg hat die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen bei Berlin besucht.

Trotz wachsender zeitlicher Distanz zum Nationalsozialismus besuchen von Jahr zu Jahr immer mehr Menschen die deutschen KZ-Gedenkstätten. In die Gedenkstätte Sachsenhausen bei Berlin kamen Anfang der neunziger Jahre gut 170 000 Besucherinnen und Besucher im Jahr, mittlerweile sind es 700 000. Einen Großteil der Gäste stellen entweder Gruppen von Teenagern, die mit ihren Schulklassen gekommen sind, oder Berlin-Touristen, die erst das Brandenburger Tor bestaunen, um dann – wie Ruth Klüger einmal sagte – »in ehrerbietiger Bestürzung« das ehemalige Konzentrationslager zu besichtigen.

Auch das Bundespresseamt organisiert regelmäßig Besuche für Gruppen in Sachsenhausen, vergangene Woche war es erstmals eine Reisegruppe der seit Herbst 2017 neu im Bundestag vertretenen AfD. Die Gruppe kam den weiten Weg aus Baden-Württemberg nach Berlin, um ihren Abgeordneten Volker Münz zu besuchen. Das Bundespresseamt bietet allen Mitgliedern des Bundestags die Möglichkeit, dreimal jährlich eine Gruppe aus ihrem Wahlkreis zu sogenannten politischen Informationsfahrten nach Berlin einzuladen. Offiziell heißt es: »Feste Programmpunkte dieser Besuche sind neben Gesprächen mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages Termine im Bundeskanzleramt, im Bundespresseamt und in den Ministerien.

Darüber hinaus führen diese Informationsreisen in Museen und Gedenkstätten zur neueren deutschen Geschichte.« Darunter ist meist auch die Gedenkstätte Sachsenhausen. Im Programm der AfD-Gruppe aus dem Wahlkreis Göppingen haben die Organisatoren diesbezüglich keine Änderung vorgenommen.

Zwischen den meist sommerlich gekleideten Teens und Touris stachen die Hemdträger der AfD-Besuchergruppe – fast alles Männer über 50 – heraus.

Früher wurden Parteien wie die NPD nicht Nutznießer solcher Programme. Womöglich wäre es auch leichter, die AfD weiterhin zu ignorieren, wäre die Zahl ihrer Wählerinnen und Wähler noch so unbedeutend wie vor einigen Jahren. Zwar hatte der scheidende Leiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günther Morsch, noch vor kurzem klar Stellung gegen die AfD bezogen, als er sich für ein »konsequentes, scharfes Dagegen« aussprach – auch auf die Gefahr hin, dass die extremen Rechten sich als Opfer gerieren könnten. Morsch zog sogar einen Vergleich zur Zeit der Weimarer Republik. Damals hätten die Nationalsozialisten mit »genau den gleichen Methoden« die Demokratie »unterminiert und zerstört« wie heutzutage die AfD im Bundestag.

 

Das hielt die von ihm geleitete KZ-Gedenkstätte in Oranienburg nicht davon ab, die Gruppe aus AfD-Mitgliedern und -Sympathisanten einzulassen und wie jede andere über das Gelände des Gedenkorts zu führen. Schon optisch fiel die Gruppe auf: Zwischen den meist sommerlich gekleideten Teens und Touris stachen die Hemdträger – fast alles Männer über 50 – heraus. Geduldig warteten sie auf ihre Guides und waren offensichtlich nicht gekommen, um Krawall zu machen. Nach dem Eklat, den der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke im vergangenen Jahr mit seiner Dresdner Rede verursachte, als er vom Berliner Holocaust-Mahnmal als »Denkmal der Schande« sprach und eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« forderte, scheinen andere AfD-Mitglieder nun zumindest oberflächlich um Anpassung an den erinnerungspolitischen Mainstream bemüht.

Als im Februar der niedersächsische Landtag beschloss, das Gesetz zur Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten zu ändern, um der AfD keinen Sitz im Stiftungsrat zu ermöglichen, war man im Landesverband der Partei empört: Die AfD werde ausgegrenzt, undemokratisch sei ein solches Vorgehen; außerdem unnötig, denn auch sie wolle ja das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus wachhalten. »Der Holocaust ist ganz sicher ein Baustein unserer Erinnerung, den man nicht wegdiskutieren kann«, sagte der niedersächsische AfD-Landtagsabgeordnete Klaus Wichmann. Sein Braunschweiger Kollege Stefan Wirtz ergänzte, es sei selbstverständlich, dass die Erinnerungskultur weiter gepflegt werde. Dem hielt der Geschäftsführer der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, entgegen, dass »die AfD, in deren Reihen revisionistische, rassistische, antisemitische und den Holocaust verharmlosende oder gar leugnende Positionen mindestens geduldet werden«, genau diesem Auftrag entgegenstehe.

Dieses Vorgehen zeugt von einer Konsequenz im Umgang mit der AfD, die sonst fehlt. Und auch die Gesetzesänderung in Niedersachsen wurde letztlich nur auf Drängen von Überlebenden des KZ Bergen-Belsen angestrebt, die gedroht hatten, im Fall einer Beteiligung von AfD-Vertretern im Stiftungsrat ihre Mitarbeit in der Stiftung zu beenden. Ein Sitz der Partei im Aufsichtsrat einer Stiftung zur Würdigung von NS-Opfern oder auch der Vorsitz des Kulturausschusses im Bundestag, wie er kurzzeitig diskutiert und von vielen Gedenkstättenleitungen in einer Erklärung strikt abgelehnt wurde, hätte eine andere Qualität als ein bloßer Gedenkstättenbesuch. Dennoch stellt sich die Frage, wo die Grenze gezogen werden sollte.

KZ-Gedenkstätten seien mehr als nur Erinnerungs- und Lernorte, sagte Jörg Skriebeleit, der Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg, denn »dort geschieht eine kritische und reflektierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit«. Jedoch können, wie sich an der Visite der AfD besonders deutlich zeigt, Gedenkorte für NS-Opfer auch ohne jegliche kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus besucht werden. Einst war es der Anspruch der Gedenkstätten, deren Existenz oft erst hart erkämpft werden musste, »verunsichernde Orte« zu sein, die gesellschaftliche Übereinkünfte in Frage stellen, klare Positionen gegen nazistische Ideologie und Umtriebe beziehen und auch an den Überzeugungen der Besucher rütteln. Im Vermächtnis der Häftlinge von Sachsenhausen heißt es: »Wir beauftragen unsere Vertreter und Nachfolger, in unserem Namen allen Erscheinungen von Faschismus, Militarismus, Rassismus und Antisemitismus, jedweder Unterdrückung und Ausgrenzung von sozialen Gruppen oder Einzelpersonen auf Grund ihrer Weltanschauung, ihres Glaubens oder ihrer Herkunft entschlossen entgegenzutreten.«

Dass die AfD sich regelmäßig selbst als diskriminierte Gruppe einordnet, ist offensichtlich absurd. Umso mehr müssen sich Gedenkstätten wie die in Oranienburg fragen lassen, wie sie Besuche von AfD-Gruppen mit dem Vermächtnis der befreiten Häftlinge in Einklang bringen können. Selbstverständlich sollte es nicht das Ziel sein, die politischen Ansichten einzelner Besucher zu prüfen – zumal dies praktisch ohnehin unmöglich wäre. Aber die offizielle Betreuung einer AfD-Gruppe ist ein gesellschaftliches Signal, das der Normalisierung der Partei Vorschub leistet.