Small Talk mit Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe über die 22. Welt-Aids-Konferenz in Amsterdam

»Lücken in der Prävention«

Small Talk Von Kuku Schrapnell

Weltweit sind etwa 37 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert. Auf der 22. Welt-Aids-Konferenz, die vom 23. bis zum 27. Juli in Amsterdam stattfindet, nehmen 18 000 Menschen teil. Das Motto der Konferenz lautet »Barrieren durchbrechen, Brücken bauen«. Die Jungle World sprach mit Holger Wicht, dem Pressesprecher der Deutschen Aids-Hilfe, der an der Konferenz teilnimmt.

Eine HIV-Infektion gilt heutzutage als gut behandelbar. Das Thema ist in der öffentlichen Auseinandersetzung kaum noch präsent. Warum ist die Welt-Aids-Konferenz noch wichtig?
Es stimmt, die Welt verfügt über alle Mittel, HIV-Infektionen zu verhindern und Aids zu beenden. Aber nur 60 Prozent der HIV-­positiven Menschen weltweit erhalten die Medikamente. In 50 Ländern steigen die Infektionszahlen gerade wieder. In vielen ost­europäischen Ländern ist die Lage dramatisch. Das gilt vor allem in Russland, wo sich 100 000 Menschen pro Jahr infizieren. Prävention für die am stärksten betroffenen Gruppen gibt es dort nicht, Drogen konsumierende Menschen und schwule Männer gelten als Abschaum, der nichts wert ist. Und nur ein Drittel der Betroffenen ­erhält Medikamente. Weltweit infizieren sich pro Jahr knapp zwei Millionen Menschen mit HIV, knapp eine Million stirbt an Aids. Menschen mit HIV werden noch immer stigmatisiert. Wie könnte man da keine Welt-Aids-Konferenz einberufen?

Auf der Konferenz kommen Betroffene, Aktivisten und Wissenschaftler zusammen. Wie findet sich ein gemeinsamer Nenner?
Der gemeinsame Nenner lautet: Wir wollen die Aids-Epidemie beenden und Menschen mit HIV stärken. Die großartigen Erfolge, die wir in den vergangenen Jahrzehnten gemeinsam errungen haben, wollen wir ausbauen. Unsere Ziele erreichen wir nur, wenn Medizin, Prävention und Betroffene zusammenarbeiten. Es herrscht ein sehr starkes Gemeinschaftsgefühl, die globale Community der HIV-Positiven ist ungeheuer stark.

Ist die Überwindung der Krankheit auch eine gesellschaftliche Frage?
Sie ist vor allem eine gesellschaftliche und politische Frage. Medizinisch haben wir längst alle Möglichkeiten – von der Heilung abgesehen. Menschen mit HIV können ein Leben führen wie andere auch. Die HIV-Therapie sorgt auch dafür, dass HIV nicht mehr übertragbar ist. Wenn sich jetzt noch so viele Menschen infizieren, erkranken und sterben, dann hat die Welt nicht genug getan. Es sind gesellschaftlich marginalisierte Gruppen, die am stärksten betroffen sind, und sie bekommen nicht genug Unterstützung. HIV-Positive müssen immer noch mit Diskriminierung und Schuldzuweisungen rechnen. Eine Folge ist, dass viele Leute aus Angst vor Ablehnung nicht zum HIV-Test gehen und deswegen nicht behandelt werden können. Das gilt auch in Deutschland.

In Deutschland kommt im Herbst voraussichtlich der HIV-Selbsttest in den Handel und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat angekündigt, präventiv verabreichte HIV-Medikamente, die sogenannte Prep, als Kassenleistung einzuführen.
Das alles sind wichtige Fortschritte. Die Prep wird in Deutschland viele Tausend HIV-Infektionen verhindern. Dank Selbsttest werden mehr Menschen frühzeitig von ihrer Infektion erfahren und behandelt werden, denn er senkt die Hemmschwelle. Zurzeit ­leben 13 000 Menschen mit HIV, ohne es zu wissen. Mehr als 1 000 erkranken deshalb jährlich an Aids oder einem HIV-bedingten schweren Immun­defekt, obwohl das längst vermeidbar ist. Auch in Deutschland gibt es noch Lücken in der Prävention. Menschen ohne Aufenthaltspapiere haben keinen sicheren Zugang zu medizinischer Versorgung und bleiben deswegen oft unbehandelt. In zehn Bundesländern gibt es noch immer keine Drogenkonsumräume. Und drogenabhängige Häftlinge haben keinen Zugang zu sauberen Spritzen. Das alles führt zu vermeidbaren HIV-Infektionen. Wir haben in Deutschland zwar viel erreicht. Die Zahl der Neuinfektionen liegt bei 3 100 pro Jahr, das ist im internationalen ­Vergleich niedrig. Aber es könnten noch viel weniger sein.